Donnerstag, 16. Mai 2024

Archiv


Im Sog des Netzes

Die Untergrund-Bahn ist ein Ort, wo es möglich ist, am Leben anderer teilzuhaben, ohne wirklich einsteigen zu müssen. Die Unterwelt birgt Überraschungen ohnegleichen: strenge Gerüche und anmutige Menschen, Kleinbürger und Szene-Volk. Zeit im Untergrund kann unerträglich lang und über alle Maßen kurzweilig sein: beim Lesen, Betteln, Flirten, Entspannen. Auch wenn nach jedem Anschlag die Angst mitreist, die U-Bahn ist sicherer und schneller als das Auto - zumal wenn eine U-Bahn nicht nur U-Bahn spielt, sondern wirklich eine U-Bahn ist: etwa in New York, Moskau, Berlin. "Am Alexanderplatz reißen sie den Damm auf für die Untergrundbahn. Rumm rumm rumm wuchtet die Dampframme. Die basteln und murksen zu Hunderten rum den ganzen Tag und die Nacht." Schreibt Alfred Döblin. Die U-Bahn hat das Leben beschleunigt, sie hat Stadtteile zusammenrücken lassen und Untergrund-Fetischisten hervorgebracht. Wie wird einer ‚Pufferküsser'? Sind Tunnel-Süchtige im Geburtskanal stecken geblieben? Müssen wir uns fürchten vor dem Untergrund? Kommt von dort die Verschwörung, die Revolution - etwa in Person jener ‚Tunnel-People' in N.Y., die ihr Obdach unter dem Grund gefunden haben? Die Unterwelt ist durchlöchert: Alte Rohrpost-Tunnel und stillgelegte Kanäle sind zu finden in diesen Städten unter der Stadt, ebenso wie blinde Tunnel und tote Bahnhöfe. Diese Welt unter uns lebt: In den Blinddärmen unserer Metropolen werden Partys gefeiert und Musik-Wettbewerbe ausgetragen. Damit es nicht zum Darmverschluss kommt und die komplexen U-Bahn-Systeme nicht kollabieren, braucht es Streckenläufer, Leitstellen-Menschen und Psychologen. Denn in der Unterwelt gibt es Leben, aber auch den Tod.

Moderation: Susanne Burg und Andreas Main | 27.03.2004
    U-Bahnen - mit vielen weiterführenden Links:
    www.u-bahn.com/

    BERLIN
    www.u-bahn-berlin.de/

    Im Jahr 1902 eröffnete in Berlin die erste U-Bahnstrecke Deutschlands zwischen Warschauer Brücke (heute: Warschauer Straße) und Knie (heute: Ernst-Reuter Platz). Dem 100. Jubiläum im Jahr 2002 ist die zweite deutsche 10-Euro-Gedenkmünze gewidmet.
    www.muenzenmagazin.de/aktuell/100_jahre-ubahn.htm

    www.berliner-untergrundbahn.de/
    www.untergrundbahn.de/
    www.u-bahn-museum.de/

    Thomas Brussig
    Helden wie wir

    1998. FISCHER (TB.), FRANKFURT
    Die deutsche Geschichte muss umgeschrieben werden: Klaus Ultzscht war es, der die Mauer mit seinem überdimensionalen Penis zum Einsturz gebracht hat! Klaus, der Sachenverlierer und Multi-Perverse, ist eigentlich ein Versager par Excellence und doch der beste Repräsentant der DDR. Sein Vater ein Stasi-Spitzel, die Mutter Hygieneinspektorin. Wenn Klaus nun von seinem verschlungenen und aberwitzigen Weg bis zum Fall der Mauer erzählt, entfaltet sich schillernd die DDR-Spießigkeit in ihrer ganzen Pracht. Keiner hat bislang frecher und unverkrampfter den kleinbürgerlichen Mief des Ostens gelüftet als Thomas Brussig.
    Mit beißender Ironie und nicht mehr zu überbietender Komik durchleuchtet er die DDR in ihrer ganzen Lächerlichkeit. Ein Lesevergnügen allererster Ordnung.

    Thomas Brussig "Helden wie wir" (Auszug):
    Mr. Kitzelstein, da ich gerade von der Friedrichstraße rede, will ich Ihnen endlich erzählen, wie ich als Achtzehnjähriger, von sexuellen Nöten gepeinigt, dem verbotenen Westen ganz, ganz nahe kommen wollte, wie ich ihn spüren, riechen, hören, tasten wollte.

    Ich stellte mich nicht ans Brandenburger Tor - da war der Westen noch einhundertzwanzig Meter entfernt - , nein, ich kauerte mich auf einen U-Bahn-Schacht, und immer wenn eine U-Bahn unter mir hindurchfuhr, war der Westen ganze vier Meter weg... Ich verbrachte Stunden auf den Lüftungsgittern der U-Bahn-Schächte, natürlich aus sexuellen Nöten, welche durch meine erste Bekanntschaft mit dem Quelle-Katalog ausgelöst worden waren.

    Ein Mitschüler feierte seinen achtzehnten Geburtstag. Big Party, und da lag dieses Ding in seiner Wohnung, achthundert Seiten Vierfarbdruck auf Hochglanzpapier - oder so ähnlich. Ist das der Westen? Sieht es im Westen aus wie im Quelle-Katalog? (...) Aber die Fahrräder und Fotoapparate waren nichts, gar nichts, im Vergleich zu dem, was ich auf den Seiten der Damenunterwäsche sah: Westfrauen! So sahen sie aus? Solche Frauen liefen im Westen herum? Unglaublich! Diese lächelnden Gesichter! Dieses spielerisch herabfallende Haar! Diese Figuren! Diese Haut! Diese liebreizenden Augen! Von den Wimpern ganz zu schweigen! Hinreißend! Atemberaubend! Schlichtweg betörend! Ich schmolz dahin. Ich war ihnen verfallen.

    Es zog mich zu ihnen, diesen verwirrend schönen Westfrauen. Abgesehen davon, dass ich mich während der Geburtstagsparty nicht von den Seiten mit der Damenunterwäsche losreißen konnte und mir schließlich sogar vier Doppelseiten heimlich herausriß - erste Anzeichen für meine triebtäterische Veranlagung -, ich wollte diesen Frauen auch nahe sein, auf daß ich ihr Parfüm - ihr Ph-ffng - erschnuppere und sie crosse Chips knabbern höre.
    Aber wo im Osten kann man Westfrauen schon nahe sein? So nahe, daß es näher nicht geht? Genau, in der Friedrichstraße, über der U-Bahn. Ich kam auf vier Meter an sie ran. Ich sah sie zwar nicht, aber ich hatte meine vier Doppelseiten, die ich in vier Klarsichthüllen schonend aufbewahrte. Ich verbrachte Stunden auf dem Gitter der Lüftungsschächte, und jedesmal, wenn ich eine U-Bahn unter mir rumpeln hörte, warf ich einen lechzenden Blick auf die Quelle-Frauen meiner vier herausgerissenen Doppelseiten und wußte, daß die U-Bahn, die gerade unter mir hindurchfährt, voll von solchen Frauen ist.

    Meine Nase und meine Ohren waren gefordert: Vielleicht wird der Luftzug der U-Bahn ein winziges Wölkchen Eau de Toilette zu mir hinaufwehen, vielleicht ist ein Klappfensterchen angekippt, durch das die Düfte direkt von einer Westfrauenhaut in meine Nase aufsteigt? Oder, wenn das Fenster schon angekippt ist - vielleicht dringt durch den U-Bahn-Lärm gar ein Original-Westfrauenkichern? Und nicht nur, daß sie aussahen, wie die Frauen in meinen Klarsichthüllen - sie hatten vermutlich auch jene sagenumwobene G-Punkte. Und alles lächerliche vier Meter unter mir! Es war unglaublich!

    Dietmar Arnold, Ingmar Arnold
    Dunkle Welten

    Bunker, Tunnel und Gewölbe unter Berlin.
    2002. LINKS
    Die geheimnisvollen dunklen Welten unter Berlin sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und selbst den Verantwortlichen der Stadt geben sie mitunter Rätsel auf. Viele Dokumente gingen im Krieg verloren, sodass zur Überraschung immer wieder neue unterirdische Anlagen auftauchen.
    Die Autoren des Buches haben es sich mit ihrer Arbeitsgemeinschaft Berliner Unterwelten zur Aufgabe gemacht, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Sie durchforschten in- und ausländische Archive, befragten Zeitzeugen und erkundeten vor Ort Bahnhöfe ohne Gleisanschluss, Verbindungsgänge ohne Ausstieg und Betonkolosse ohne jede Funktion. Sie erzählen die Geschichte der vielfältigen Nutzung des Berliner Untergrunds und berichten dabei von Gruften und Brauereikellern genauso wie von Kanalisationsschächten, Rohrpostleitungen, Bunkern und blinden Tunneln.


    Dietmar Arnold hat den Verein Berliner Unterwelten gegründet. In seinem Buch "Dunkle Welten" porträtiert er blinde Tunnel und Geisterbahnhöfe in Berlin. Wenn Ingenieure im Laufe der letzten hundert Jahre Großprojekte planten wie am Alexanderplatz, dann dachten sie auch an die Zukunft. Um die Bahnhöfe künftig nicht wieder aufreißen zu müssen, bauten unsere Vorfahren direkt ein kurzes Tunnelstück in Richtung Zukunft. Tunnelvisionen: Womöglich würde ja noch eine weitere U-Bahn-Linie gebaut. Doch manch eines dieser Projekte wurde nie realisiert. Es blieben die ungenutzten Tunnel und Bahnhöfe. Dietmar Arnold hat die Länge der toten Tunnel ausgerechnet: 5,6 Kilometer in fast 80 Anlagen. Tunnel auf Vorrat anlegen - das kommt heute Tunnelwanderern entgegen. Interessierte tauchen ab in den Blinddarm des U-Bahnkörpers, in eine Welt des künstlichen Lichts und der Dunkelheit, eine Welt, in der das Zeitgefühl abhanden kommt.


    Dietmar Arnold
    Der Potsdamer Platz von unten

    Eine Zeitreise durch dunkle Welten.
    2001. LINKS
    Der Potsdamer Platz mit seinen zahlreichen Neubauprojekten ist zu einem der meistbesuchten Orte in Berlin geworden. Touristen und Einheimische erkunden das im Entstehen begriffene Stadtzentrum. Auch unter der Erdoberfläche wurden gewaltige neue Räume geschaffen. Ganze Stadtviertel werden über unterirdische Zufahrten versorgt, der Bahn- und Straßenverkehr wird in diesem zentralen Bereich durch riesige Tunnel geleitet. Die meisten Baugruben sind heute wieder geschlossen, und dadurch entziehen sich jene Einrichtungen der Neugier der Besucher. Unter Potsdamer Platz Nr.1 soll nun eine große Ausstellung einen Blick in den Untergrund der Großstadt und in die Vergangenheit dieses einstmals so belebten Verkehrsknotenpunktes ermöglichen. In einem U-Bahnhof, der als sogenannte Bauvorleistung unter den Arealen von Sony und DaimlerChrysler entstand, wird auf über 3000 Quadratmetern Ausstellungsfläche mit großformatigen Schautafeln, Fotos und Grafiken ein Panorama der dunklen Welten unter Berlin gezeigt. Das vorliegende Buch soll über die Geschichte des Potsdamer Platzes informieren und den Leser auf eine reich bebilderte Reise in den Berliner Untergrund mitnehmen. Ein Serviceteil im Anhang dient als praktischer Leitfaden durch die begehbaren unterirdischen Räume am Potsdamer Platz und in der näheren Umgebung. Das Buch wendet sich an die Besucher der neuen Stadtmitte und der Ausstellung sowie an alle anderen, die sich in kompakter Form über den Berliner Untergrund informieren wollen.




    MÜNCHEN


    Lothar Schiffler, Münchner, fotografiert U-Bahnhöfe in ganz Europa und hat Ausstellungen über Kunst im Untergrund gemacht. "Wir haben zum einen die Stationen, die in Deutschland in den 60er, 70er, 80er Jahren gebaut wurden in den Kernbereichen der U-Bahn-Systeme, und die sind zum Teil streng ingenieurmäßig konzipiert, da geht es um nichts anderes als Funktionalität, Sauberkeit, Sicherheit. Die sind im Grunde genommen zu Funktionskellern des Massentransports geworden. Aber Räume zum Sichwohlfühlen sind es nicht. Man muss bedenken, dass U-Bahnen im Laufe des 20. Jahrhunderts zu den meist frequentierten Orten der Erde überhaupt geworden sind. Es bewegen sich Millionen von Menschen jeden Tag dort. Münchener U-Bahn pro Tag eine Million Menschen, in Moskau sind es pro Jahr ungefähr drei Milliarden Menschen, die durch die U-Bahnen geschleust werden, zusammen mit Paris auch noch mal drei Milliarden macht das pro Jahr praktisch die gesamte Erdbevölkerung, die durch die U-Bahn wandert. In Tokio gibt es einen Bahnhof, den Shinjuku-Bahnhof, da steigen jeden Tag dreieinhalb Millionen Menschen ein und aus. Und solche Orte darf man einfach von der Ästhetik und der Architektur nicht nur dem reinen Funktionalismus überlassen."

    Die Stationen der U-Bahnen, Metros, Undergrounds oder Subways haben sich im Laufe des letzten Jahrhunderts zu den meistfrequentierten Orten der Erde entwickelt.
    Die Münchner U-Bahn transportiert täglich eine Million Menschen. Am Bahnhof Shinshuku in Tokyo steigen Tag für Tag dreieinhalb Millionen Passagiere ein und aus. Und die Moskauer Metro befördert im Laufe eines Jahres drei Milliarden Menschen - das entspricht zahlenmäßig der Hälfte der Weltbevölkerung.

    Bei allem Erfolg dieser Untergrund-Systeme, sie zwingen die Menschen in Höhlen unter die Erde, was für viele mit einem Gefühl des Unbehagens, wenn nicht der Angst oder Bedrohung verbunden ist.

    Vielleicht war es aber auch gerade das Bedürfnis, dieses Unbehagen zu überwinden, warum der Homo Sapiens vor über 30.000 Jahren irgendwo zwischen dem Rift Valley und der Schwäbischen Alb begann, die Wände der dunklen, aber auch schützenden Höhlen zu bemalen. Wenn aber der Mensch die Kunst in den Höhlen erfand, widerspricht es dann nicht seiner Natur, wenn er heute seine künstlichen Höhlen kahl und schmucklos belässt?

    Seit mehreren Jahren photographiert der Münchner Photograph Lothar Schiffler in den Metropolen Europas die schönsten Stationen der U-Bahnen, Undergrounds, Tunnelbanas und Metros. Seine Aufnahmen dokumentieren einerseits die Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, andererseits gelingt es ihm aber auch, die Spannung zwischen den statischen Kunstwerken und den Bewegungen von Zügen und Passagieren einfühlsam und zuweilen überraschend zu visualisieren.

    Über 200 Stationen hat Lothar Schiffler in den letzten Jahren photographiert. Nicht nur in den Metrosystemen großer europäischer Hauptstädte wie London, Paris, Moskau, Stockholm, Lissabon, Brüssel oder Berlin - auch im funktional nüchternen Untergrund deutscher Städte hat er die künstlerisch gelungensten Beispiele ausfindig gemacht.
    www.metro-art.de/

    www.ubahn-muenchen.de/



    HAMBURG

    Die ersten Pläne für eine Schnellbahn für Hamburg entstanden 1893. Es war zunächst an eine Erweiterung des Netzes der Preußischen Staatsbahn für den Hamburger Ortsverkehr gedacht. Der Oberingenieur der Baudeputation Franz Andreas Meyer plante eine Vorortringbahn nördlich der Alster mit Anschluss an die Verbindungsbahn und zwei Abzweigungen nach Ohlsdorf. Sie sollte als Vollbahn mit Dampf betrieben werden.

    Eine staatliche Verkehrskommission entschied sich für eine Hoch- und Untergrund-Bahn, deren Streckenführung unabhängig von der Verbindungsbahn sein sollte und einen verengten Ring anstelle Südrings vorsah.

    Zu dieser Zeit entwickelte auch die Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft (SEG) Pläne für Tunnelstrecken in der Innenstadt, die jedoch von den Straßenbahnen benutzt werden sollten; sie wollte auch - mit Hilfe des Staates - einen Straßendurchbruch zwischen Rathausmarkt und Hauptbahnhof schaffen (hierzu muss man wissen, dass es die Mönckebergstraße damals noch nicht gab). Der Senat beschloss daraufhin den Straßendurchbruch. Die Pläne für Straßenbahn-Tunnelstrecken wurden aber von den Behörden und besonders von Bürgen-Meister Mönckeberg abgelehnt und nicht weiter verfolgt.
    Weiterlesen: www.u-bahn-hamburg.com/

    NÜRNBERG
    www.u-bahn-nuernberg.de/


    TOKIO
    www.tokyometro.go.jp/e/

    PARIS

    www.paris.org/Metro/

    Paris ist größer als Sie denken und die Entfernungen sind viel weiter als Sie glauben.
    Daher sollten Sie sich - auch wenn Ihnen dies möglicherweise zunächst unangenehm erscheint - unbedingt mit der U-Bahn, der METRO anfreunden, denn nichts bringt Sie schneller und sicherer zu Ihren Zielen. Nach kurzer Eingewöhnungszeit werden Sie die Metro und ihr Streckennetz lieben. Die für Sie wichtigsten Namen der METRO-STATIONEN werden Ihnen schneller vertraut sein, als Sie anfangs glauben.
    Weiterlesen: www.parisinfo.de/metro-paris.htm

    MOSKAU

    www.metro.ru/

    Die Moskauer M, deren erste Linie 1935 eröffnet wurde, ist viel mehr, als das wichtigste Nahverkehrsmittel der Hauptstadt, das täglich etwa 9 Millionen Passagiere befördert - jeden Moskauer also im Schnitt ein Mal und mehr Menschen, als jede andere Untergrundbahn der Welt. Palastartige Bahnhöfe, weitläufige Säle mit verzierten Kronleuchtern, Mosaik-geschmückte, riesige Hallen machen die Metro zum steingewordenen Triumph sozialistischer Utopie. Paläste für das Volk, die beste U-Bahn der Welt für die Hauptstadt des Arbeiter-und-Bauern-Reichs. 70.000 Quadratmeter verschiedenfarbigen Marmors, edle Metalle, Bronze, Mosaike, Gold, Glasschmuck und vieles mehr verschlang allein die erste Linie, die von der Station Park Kultury bis nach Sokolniki führte.
    www.aktuell.ru/mosseh0021/morenews.php?iditem=1
    Faltblatt Moskauer Metro:
    www.aktuell.ru/images/reklame/faltblatt-040125.pdf

    "Gehen Sie links!"
    Die Metrofrauen von Moskau

    Ein Leben an der Rolltreppe
    Die Moskauer Metro ruft. Eine strenge, weibliche Stimme sagt den Warnruf wieder und wieder. Auf russisch geht er so: "Stojte sprava, prokhodite sleva. Podnimajte poly dlinnoj odezhdy. Sledite za detmi." Übersetzt heißt das: "Stehen Sie rechts, gehen sie links. Heben Sie ihre Röcke und Hosen hoch, passen Sie auf Ihre Kinder auf." Die Metrofrauen in Moskau, die die langen Rolltreppen überwachen, hören diesen Ruf jeden Tag vielleicht hundert Mal. Er kommt über die Lautsprecher vom Band. Jeder kennt den Spruch. Niemand hört auf diesen Ruf. Doch die alten Metrofrauen achten darauf, dass jeder auf der Rolltreppe auf diesen den Inhalt der Worte achtet und den Passanten nichts passiert. Hier ist ihre Geschichte.
    Weiterlesen: www.pilsczek.de/metro.html

    Eine Fahrt mit der schnellsten Metro der Welt lohnt sich. Steigen Sie ab in den Untergrund - die Metro in Moskau ist nicht nur eine Metro, sondern auch ein Zeugnis hoher Baukunst und vor allem Kunstfertigkeit - Sie finden dort beeindruckende Skulpturen, Glasmalereien, Fresken etc. In der Metro tobt das Leben. Wenn Sie Zeit haben: Fahren Sie einmal auf der braunen Ringlinie herum! Auf den Gängen spielen Musiker auf Ihren Instrumenten, eine alte Frau verkauft einen selbstgestrickten Pullover....Metro ist das Synonym für Erlebnis. Sie benötigen einen Fahrschein mit Magnetstreifen, den Sie an den Kassen ("kassy") in jeder Metrostation bekommen - und schon kann es losgehen.
    www.moskauonline.de/metro.htm


    Berühmt ist die Moskauer Metro für die palastartig ausgestalteten Metrostationen der ersten Linien. Marmorböden, Mosaike und Kronleuchter machen aus Metrostationen richtige Paläste. Jedes Jahr werden weit über zwei Milliarden Menschen befördert.
    www.bahnen.de/rus/moskau.htm



    NEW YORK

    New Yorker Metropläne
    www.newyork.citysam.de/subway.htm


    Julia Solis ist U-Bahnfan. Aber die Deutsche, die seit 25 Jahren in New York lebt, begeistert weniger die Technik und die Masse Mensch als die Ruhe und Einsamkeit der Tunnel. Sie hat darüber ein Buch geschrieben mit dem Titel "New York Underground". Bis die Sicherheitsvorkehrungen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verschärft wurden, kletterte sie regelmäßig hinab in die Dunkelheit, in tote Tunnel.
    Julia Solis: "Die ersten paar Male war es unheimlich ruhig. Aus der Weite hörte man das Rattern der Züge, die näher kamen auf den Gleisen, die direkt neben uns waren. Und wir haben einfach gewartet bis die Züge an uns vorbei gerauscht sind. Und das war ein ganz tolles Erlebnis, weil das war wie ein wildes Tier zu sehen. Es war wie eine Safari, wo man neben den Tieren steht und sieht, wie sie vorbei preschen. Da war natürlich das Gefühl der Gefahr, es war unheimlich aufregend. ... Ich glaube, dass viele New Yorker wissen, dass es unter dieser Stadt noch eine riesige Schattenstadt gibt, die viele Geheimnisse birgt. (...) Es gibt tatsächlich noch Orte, die man erforschen kann. Und sonst gibt es ja in New York nicht mehr viel. Alles ist sehr öffentlich. Überall sind unheimlich viele Leute, aber im New Yorker Untergrund kann man noch spazieren gehen ohne auf irgendjemanden zu stoßen. (....) Es gibt tatsächlich Orte, an denen ich mehrmals war über die Jahre und wo sich überhaupt nichts verändert hat und man fragt sich, war irgendeine Person hier seit ich da war vor einem Jahr? Und ich muss fast sagen nein, niemand hat irgendeine Spur hinterlassen. Und der Stuhl, der so stand, der steht immer noch so, und das ist schon toll, vor allem in einer Stadt wie New York, die so wahnsinnig groß ist wie New York."

    Julia Solis
    New York Underground

    Anatomie einer Stadt.
    2002. LINKS

    New York erscheint mit seinen Wolkenkratzern vor allem als Stadt der Vertikale. Beim Blick nach oben vergisst man jedoch oft, dass sich die Metropole auch ungewöhnlich tief in die Erde streckt. Wie bei einem lebenden Organismus wird die Stadt durch ein verdecktes inneres System, das kaum jemand überschaut, am Leben erhalten. Seit Jahrzehnten graben unterschiedliche private Firmen kaum koordiniert immer neue Untergrundverbindungen, so dass die tieferen Schichten New Yorks inzwischen so durchlöchert sind, dass man an einigen Stellen mit Einsturzgefährdungen rechnen muss. Mit den meisten dieser Schächte und Tunnel kommen die Bewohner der Oberstadt nie in Berührung. Sie wissen nichts von den Legenden über leerstehende U-Bahn-Stationen mit Kronleuchtern und Springbrunnen, von Kanalinspektoren, die Jagd auf Alligatoren machen, von Obdachlosen, die hier in straff organisierten Großkommunen zusammenleben. Julia Solis erforscht seit Jahren das Labyrinth unter New York City, stöbert nirgends verzeichnete geheime Schächte auf, erstellt eigene Wegweiser und findet Kontakt zu einer faszinierenden und zugleich abschreckenden Welt. Ihr gelang es auch, die Ereignisse im Untergrund des World Trade Centers zu rekonstruieren und durch Fotos zu dokumentieren.

    Auszug aus dem Mauskript der Sendung:

    In den neunziger Jahren lebten rund 5.000 Obdachlose in den U-Bahnschächten und Tunnelsystemen New Yorks, so die Schätzungen. Doch seit den Anschlägen vom 11. September 2001 bemüht sich die Polizei, das Tunneltreiben zu unterbinden und hat an vielen Eingängen Wachposten aufgestellt. U-Bahn-Freaks wie Julia Solis, die früher aus Spaß in die Tunnel geklettert sind, müssen nun fürchten, verhaftet zu werden. Sie haben ihre Erkundungen größtenteils eingestellt, doch sie wissen, dass viele Obdachlose nach wie vor dort leben.

    Der irische Schriftsteller Colum McCann hat die Tunnelmenschen Ende der 90er Jahre immer wieder besucht. Sein Roman "Der Himmel unter der Stadt" erzählt von ihnen, vom Leben "unter New York".

    Colum McCann
    Der Himmel unter der Stadt

    Roman
    2000. ROWOHLT TB.
    Das New Yorker Subway-System ist ein gigantisches Tunnellabyrinth mit verlassenen Gewölben, stillgelegten Gleisen, vergessenen Waggons - letzte Zuflucht für Tausende von Obdachlosen. Hier lebt auch der ehemalige Stahlbauer Treefrog und hier trifft er eines Nachts auf Angela, die ihn an seine Frau erinnert. Ihr erzählt er seine Geschichte. McCann führt uns in eine unbekannte, häufig brutale Welt, erzählt von Iren, Italienern, Farbigen, Indianern, die zu Beginn des Jahrhunderts durch ihre Arbeit den Bau Manhattans vorantrieben und nie vom wachsenden Wohlstand der Stadt profitierten.



    Don DeLillo
    Cosmopolis

    Roman.
    2003. -KIEPENHEUER & WITSCH-

    New York an einem Tag im April 2000. Eric Packer, erfolgreicher und steinreicher Vermögensverwalter, fährt in seiner weißen Stretchlimousine durch die Stadt. Weltweit wackeln die Börsenkurse, geraten die Finanzmärkte ins Trudeln. Auch Eric Packers Leben gerät ins Wanken. "Cosmopolis" ist die Geschichte eines Tages im Leben eines besessenen "Global Players" - grotesk, witzig, böse, klug.

    Eric Packer ist achtundzwanzig und besitzt alles, was man besitzen kann - ein Milliardenvermögen, eine Luxuswohnung, eine reiche Frau. Zweierlei hat sich Eric, ein besessener Global Player, für diesen Tag im April 2000 vorgenommen, als er morgens in seine mit allen digitalen Finessen versehene Limousine steigt - er will zum Friseur auf der anderen Seite der Stadt und an der Börse spekulieren.
    Auf der Fahrt durch Manhattan bleibt der Wagen ständig im Stau stecken, denn der Präsident ist zu Besuch, der Beerdigungszug eines Rappers verstopft die Straßen, eine gewalttätige politische Demonstration findet statt, ein Film wird gedreht. Eric, immer online, empfängt währenddessen in seiner Limousine der Reihe nach seine Finanz- und Psychoberater sowie seinen Arzt. Er verlässt den Wagen, um seine Frau oder andere Frauen zu treffen. Die Situation an der Börse wird immer riskanter für ihn, zudem meldet sein Sicherheitsdienst Gefahr. Der Haarschnitt ist noch nicht fertig, als Eric einem anderen Besessenen begegnet.

    Don DeLillo "Cosmopolis" (Auszug):

    Es war einer von seinen, von Moonmans Zügen, er hatte ein Dutzend Werke im Netz laufen, top-to-bottom-burners, vollgemalt von oben bis unten, und wie es sich so fügte, war er in dieser Nacht selbst an Bord, unter den Wasserleitungen und Abwasserrohren, unter Gas und Dampf und Strom, zwischen den Hochwasserkanälen und den Telefonleitungen, und er ging bei jeder Station einen Wagen weiter und schaute die Einsteigenden mit ihren abnehmbaren U-Bahn-Gesichtern prüfend an, und die Türen machten Dingdong bevor sie zuknallten.

    Ismael Munoz, dunkel und finster die Einsteigenden im Blick. Der spärlich bestoppelte Ismael las Lippen und Gesichter, in der Hoffnung, einen Bravo-Kommentar aufzuschnappen. Hey, dieser Typ peppt die Linie auf. Dies war sein neuestes Werk, hier fuhr er also Richtung uptown mit dem Washington-Heights-Local, jeder Wagen mit seinem eigenen Neon-Zoom signiert, mit Hervorhebungen und überlappenden Buchstaben und 3-D-Effekt, dem ganzen wild-style-Ding, bei dem du aus deinem Namen und der Nummer deiner Straße eine Art Alphabet City machst, wo die Farben sich ineinanderschieben und bluten, die Buchstaben überlappen, und alles swingt und springt, hüpft und schreit - selbst die Spritzer sind Absicht, superscharf gemalt, um auszudrücken, wie die Buchstaben schwitzen, wie sie leben und atmen und essen und schlafen, sie tanzen und spielen Sax.

    Das war nicht bloß fensterabwärts. Das war ein komplett bemalter Zug, die Fenster übersprayt und jeder Buchstabe, jede Zahl größer als ein Mann.




    LONDON
    Londoner Underground: tube.tfl.gov.uk/
    Mind the gap Wenn Sie diesen Spruch vernehmen, befinden Sie sich mit Sicherheit in einem Wagen oder einer Station der London Underground, der ältesten U-Bahn der Welt. Den Rat sollten Sie auf jeden Fall befolgen, an manchen Bahn- steigen misst der Abstand zwischen Plattform und Zug eine ganze Fußlänge. Die London Underground, genannt Tube gehört zu London wie Big Ben und der Tower und stellt das unterirdische Herz der Stadt dar. Die Zahl der Passagiere pro Jahr ist vergleichbar mit der Einwohnerzahl Australiens, nämlich 18 Millionen. Diese unternehmen in dieser Zeit knapp eine Milliarde Fahrten mit der Tube. Im Durchschnitt beträgt das Passagieraufkommen pro Stunde im Gesamtnetz ca. 150.000. Ein einzelner Zug legt in einem Jahr siebenmal die Strecke London - Sydney zurück.
    Weiterlesen: www.tt20.de/London_Life/tube.html


    Keith Lowe
    Auf ganzer Linie

    Roman. Aus d. Engl. v. Claus Varrelmann u. Annette von der Weppen.
    2003. HEYNE
    Ist es möglich, das gesamte Londoner U-Bahn-Netz an einem einzigen Tag abzufahren? Wenn man eine verrückte Wette abgeschlossen hat, von der nicht mehr und nicht weniger abhängt als die eigene Zukunft, hat man nur eine Wahl. Man muss alles auf eine Fahrkarte setzen...

    Keith Lowe "Auf ganzer Linie" (Auszug):

    Gerade als ich mir selbst dazu gratuliere, in einer so vorurteilsfreien Gesellschaft zu leben, gerade als ich erwäge, der Queen einen Brief zu schreiben, in dem ich ihr vorschlagen will, den Londoner U-Bahn-Benutzern eine Auszeichnung zu verleihen, steigt auf einmal jemand ein, der meine Illusionen zerstört.

    "Kiss me!", sagt er, als er zwischen den sich schließenden Türen gerade noch ins Abteil schlüpft. "Kiss me!"

    Der Neuankömmling ist klein und braun und sieht aus, als stammte er aus Südostasien. Indonesien vielleicht. Oder von den Philippinen. Er wirkt irgendwie unbefleckt, als würde die U-Bahn-Patina noch nicht an ihm haften.

    "Kiss me, kiss me!", sagt er und schiebt sich durch die Menge. Ein Mann mit Schnauzer sieht ihn entsetzt an, aber die meisten anderen haben schon begriffen, dass der Neue keinen Kuss einfordert, sondern bloß Schwierigkeiten hat, "excuse me" richtig auszusprechen. Natürlich entschuldigen sie sein Verhalten trotzdem nicht. Kein Gedanke daran. Man macht es ihm so schwer wie möglich, und zwar aus dem einfachen Grund, dass diese Fahrt für ihn offenkundig eine Premiere ist. Man sieht es ihm schon aus einem Kilometer Entfernung an: Er ist ein Novize. Ein U-Bahn-Neuling.

    So tolerant die Leute in der U-Bahn sonst auch sein mögen: Was sie absolut nicht leiden können, sind Anfänger. Einen U-Bahn-Anfänger kann man ganz leicht erkennen: Das ist einer, der auf der Rolltreppe auf der falschen Seite steht und nicht merkt, dass sich hinter ihm eine Menschenschlange gebildet hat, die ihn am liebsten lynchen würde. (...) Wenn man so jemand auf der Straße trifft, hilft man ihm spontan, aber wenn er in einem der unterirdischen Gänge, in denen man nicht überholen kann, vor einem her trödelt, weil er im Gehen den Stadtplan lesen will, dann packt einen das unwiderstehliche Verlangen, ihn aus reiner Boshaftigkeit in die falsche Richtung zu schicken. Und wenn er zudem kaum Englisch versteht, kann man sich selbst dabei ertappen, wie man plötzlich unverständlichen Cockney-Slang spricht. So ist das nun mal in der U-Bahn: Zu Anfängern darf man nicht nett sein, das gehört sich einfach nicht. Hier unten sind Anfänger Freiwild.

    (...) Der Typ, der jetzt eingestiegen ist, trägt alle Merkmale eines Anfängers: Stadtplan, Minirucksack, ein T-Shirt, das vielleicht vor acht Jahren in war. In dem Moment, in dem er den Wagen betritt, scheinen alle hörbar aufzustöhnen und ihn anzufunkeln, als wollten sie ihn fragen, was zum Teufel ein Filipino in Leytonstone zu suchen habe. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich genau das Gleiche denke. Als hätte die Central Line zur Rushhour eine latente Fremdenfeindlichkeit in mir zum Leben erweckt.

    "Kiss me!" Er wiederholt seinen Spruch, bis er ein Fleckchen gefunden hat, wo er stehen kann - und das ist direkt vor meiner Nase. (...)"Kiss me," sagt er und beugt sich mir entgegen: "... Stra'ford?" In dem Moment, in dem er das sagt, fahren wir in Stratford ein. "Ja", sage ich, "da wären wir." "Stra'ford?" sagt er lästigerweise noch einmal. "Ja." Ich zeige zum Fenster hinaus auf den Bahnsteig. "Stratford." Der Filipino zögert einen Augenblick, als wäre er immer noch nicht recht davon überzeugt, aber dann drängelt er sich doch zur Tür.

    (...) Ich merke, wie ich mich etwas verkrampfe, (...) als an der Tür ein kleiner Tumult ausbricht. Verursacher ist der Filipino, der hektisch mit den Fäusten gegen die Scheibe hämmert, weil er die Tür nicht aufkriegt. Er kann offensichtlich keine englischen Worte lesen, denn sonst würde er in seinem Drang, aus diesem Zug zu entkommen, wohl kaum immer wieder auf den roten Knopf mir der Aufschrift "Tür schließen" drücken. Der Panik nahe, wendet er sich an die Dame neben sich. "Kiss me!", fleht er sie an, aber die Frau wendet sich entrüstet von ihm ab. Dann fährt der Zug langsam wieder an. In einem Akt der Verzweiflung reißt der Mann an der Notbremse, und die Bahn kommt mit kreischenden Bremsen abrupt zum Stehen. "Herrgott noch mal", sagt der Mann mit dem Schnäuzer zu der Frau an der Tür. "Sie hätten den Knaben doch ruhig küssen können."


    Barbara Vine
    König Salomons Teppich

    Roman.
    1994. DIOGENES
    Salomons Zauberteppich war aus grüner Seide und so groß, dass beliebig viele Menschen darauf Platz fanden. König Salomon nannte dem Teppich das Reiseziel, und der erhob sich in die Lüfte und setzte alle an der gewünschten Stelle ab. - Welcher fliegende Teppich trägt uns heute überallhin? Die Londoner U-Bahn! Von ihr aber gibt es Begebenheiten zu erzählen, die alles andere als märchenhaft sind...

    Barbara Vine "König Salomons Teppich" (Auszug):

    Es wurde immer heißer. Der Zug ruckte an, es war wie ein Rülpser, und sie klammerte sich fest und wartete mit angehaltenem Atem auf die Weiterfahrt. Der Zug seufzte und verfiel erneut in Reglosigkeit. Der Mann neben ihr grunzte. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen und sah aus wie naßgesprüht. Ein Schweißtropfen lief ihr über die Stirn ins Auge. Dort brannte er. Merkwürdig, dachte sie, wie kommt es, daß eine salzige Träne nicht brennt, wohl aber salziger Schweiß?

    Während sie darüber nachdachte, mit feucht-glitschiger Hand die Stange umklammernd, indes die Hitze aufstieg und sich verdichtete, rülpste der Zug erneut, und diese Bewegung (...) brachte die Leiber um sie her in wogende Bewegung, so daß sie in eine Art menschlicher Flutwelle geriet. Das Gesicht an einen Tweedrücken gepreßt, rang sie nach Luft, versuchte sich zappelnd freizukämpfen, und dann stöhnte sie auf, als (...) ein eisiger Tropfen an ihrem Körper herunterrann und den Schmerz auslöste.

    Er schien ihn auszulösen, schien ihn zu bewirken, denn als der Tropfen, einer Eisperle gleich, über ihre Haut rollte, durchfuhr ein rasender Schmerz ihren linken Arm, als habe eine eherne Pranke ihn gepackt. Sie wölbte den Rücken, versuchte den Hals hochzurecken, über Fleisch und Haare und Gerüche hinweg. Der Zug fuhr an, setzte sich mühelos gleitend in Bewegung, und die ehernen Pranken umfaßten sie wie die Gliedmaßen eines Monsters.

    Umfaßten sie und zogen sie zu Boden, vorbei an Schultern und Armen und Hüften und Beinen, zogen sie herunter zu einer Ansammlung schmutzig-abgetretener Schuhe. Die U-Bahn rollte zügig in Richtung Chancery Lane. Als letztes, ehe das Herz stillstand, mit dem eine Kleinigkeit nicht ganz in Ordnung war, sah sie zwischen zwei Hosenbeinen die Einkaufstüte mit ihrem Kleid.

    Es war kein Platz im Zug. Kein einziger Fahrgast hätte sich mehr hineinzwängen können. Und doch wichen die anderen zurück, als sie zu Boden sank und starb, sie rückten von ihr ab und schafften ihr den Raum, den sie zum Leben gebraucht hätte.


    Geoff Rymans U-Bahn-Roman "253" im Internet

    Geoff Ryman ist ein kanadischer Autor, der seit langem in England lebt und dort die Londoner U-Bahn wohl so lieb gewonnen hat, dass er ihr ein besonderes Projekt gewidmet hat: den Internet-Roman "253". Er ist inzwischen zwar auch als Buch erschienen, auf Deutsch bei dtv. Diese Fassung verliert allerdings gegenüber der originalen Internetversion an gewollter Nicht-Linearität: Eine bestimmte Reihenfolge, in der die Kapitel zu lesen sind, gibt es hier nämlich nicht, und auch die Quer-Links zu den anderen Kapiteln fehlen naturgemäß. Dafür kann man "253" nun in der U-Bahn lesen.

    Die Titel gebende Zahl hat in dem Werk gleich mehrfache Bedeutung: 253 ist die Nummer der U-Bahn-Linie von der Station "Embankment" bis "Elephant and Castle", deren epische Fahrt Ryman beschreibt. Jedes Kapitel widmet sich in 253 Worten einem der 252 Fahrgäste. Die Zahl der Handelnden wird durch den Fahrer auf 253 komplettiert, der schließlich die Katastrophe auslösen wird...