Sachrang liegt 740 Meter hoch. Rechts und links steigt es schon auf 1500 Meter. Dabei wirkt der Ort, als läge es weit verstreut in einem langgestreckten engen Tal. Knapp hinter dem Ort beginnt Österreich, beginnt Tirol. Und in der Ferne können wir die markante, dolomitenähnliche Gebirgskette des "Wilden Kaiser" sehen, das sind schon 2500-Tausender. Und dieses Grenzland, zwischen dem Chiemgau und Tirol war immer eine Arm-Leute-Gegend, auch ein Schmuggler-Dorado und eine Hochburg der Wilderer. Und hier treffen wir Johannes Mittermeier. Er kennt hier jedes Eichhörnchen mit Vornamen, ebenso die Wilderer-Burschen. Denn er war staatlicher Jäger und Aufseher im Revier.
"Gewildert ist immer schon geworden, zu allen Zeiten. Das ganze Tal ist ein armer Hund gewesen, damals. Wenn sie vom Baron keine Arbeit bekommen haben, dann sie da gestanden."
Was haben die denn abgeknallt, eine Wildsau?
"Nein, ein Rehbock oder eine Gams oder Hirsch. Wild hat's genügend gegeben, hier."
Nun sind Sie ja Jäger, auch im Auftrag des Staates, Sie waren ja dann der Aufpasser, der Gegner?
"Wenn ein Familienvater, mit vier, fünf Kindern, wenn der Hunger hat, ein Hungerleider, praktisch. Dass der auf ein Stück Wild aus ist - da haben wir es auch 'nicht gesehen'."
Es wurde im Zweifelsfall ja auch zurück geschossen. Sind auch in so ein Duell ...
"Nein, nicht gekommen. Man hat versucht in Wildererzeiten möglichst nicht in Konfrontation zu kommen."
Kein Jägerlatein. Heute ist Johannes Mittermeier 80 Jahre, fit wie Luis Trenker, selig. Und die Tochter vom Mittermeier ist auch so eine wilde Hummel, sie wurde Olympiasiegerin auf der Buckelpiste. Dies auch als kleiner Hinweis, dass in Sachrang nun die Schneekanonen die Wintersaison einschießen und einschneien.
Und nun kommen wir zu der Geschichte vom "Filmdorf Sachrang". Denn häufig ist die Wilderei ja auch das Szenario der Heimatfilme gewesen. Ein armer Wilddieb räubert das Herz der Förster-Christel, des Försters allerliebsten Töchterleins. Förster und Wilderer stehen sich im wilden Tann grimmig gegenüber Und dann kommt es doch noch zum Happy-End. Und dann gibt es eine zünftige Dorfhochzeit und der kantige Beppo Brehm fuchtelte noch einmal drohend mit der Mistgabel. Und die Dorfburschen legen einen Schuhplattler ein und die geschminkten Filmkühe von Sachrang jodeln und tanzen dazu. An sich sollte jetzt jemand hier aus Sachrang etwas zum Filmdorf sagen, es ist leider nicht eingehalten worden. So müssen wir es "lesen":
Es begann vor über 50 Jahren in Sachrang mit dem Film "Der Pfarrer vom Kirchfeld", mit bekannten Darstellern solcher Naturkomödien und Lederhosen- und Jodel-Dramen. Die aufwendigste Produktion war 1977 der Fernseh-Mehrteiler über den Müllner-Peter "Eine Chronik in den Bergen". Die Filmarbeiten haben Sachrang damals an über hundert Drehtagen teilweise lahm gelegt, weil in allen vier Jahreszeiten gedreht werden musste. Und die Häuser und Straßen wurden dazu auf 18-Hundert umdekoriert. In den 1990er-Jahren wurde auch die zwölfteilige Fernsehserie "Im Schatten der Gipfel" hier gedreht. In den letzten Jahren auch eine Folge der ZDF-Serie "Der Alte". Dazu kamen TV-Mehrteiler mit Jan Fedder und Michaela May oder auch ein Film mit den Darstellern Herbert Knaup und Gisela Schneeberger.
Wir stehen jetzt neben dem Eingang zur Dorfkirche St. Michael vor dem recht einfachen Grab des Müllner Peter. Lesen die Zahlen 1766 bis 1843. Er ist also 77 Jahre alt geworden. Und in diesem Dorfkirchl ist der fast schon vergessene Müll-ner Peter in den 1930-er Jahren quasi wieder entdeckt worden. Man fand auf der Empore, oben, da wo der Müller die Orgel gespielt- und seinen Dorfchor dirigiert hat, fand man einen Schrank über und über voll mit vergilbten Notenblättern und Spinnweben. Es kamen dann Fachleute und hoben und ordneten den sogenannten "Notenschatz von Sachrang". Und wir hören zur Einstimmung einen Josef Haydn aus eben diesem Notenschatz des Müllner Peter, handgezupft von Hans Berger.
Handgezupft auf der Zither. Nun aber alle Aufmerksamkeit dieser hochbarocken-, dieser überreichlich mit vergolden Figuren und verspielten Stuckarbeiten und Säulen und Ornamenten ausgeschmückten Dorfkirche. Erbaut 1688. Und sie widerspricht oder widerlegt die Mär von einer Armleutegegend. Siegfried Gattinger:
"Diese Kirche wurde von der Herrschaft bezahlt. Es ist die Herrschaft von Schloss Hohenaschau, Max von Preysing, der hat das Geld beschafft. Die Bevölkerung wäre viel zu arm gewesen."
Die Haupthandwerker waren fahrende Gesellen, die diese Kirche nach italienischen Rezepturen.
"So könnte man es nennen. Da war zunächst einmal Gaspare Zuccalli. Zuccalli sagt ja was. Das sind die Graubündner Maurer, die Muratori. Das war eine ganze Sippschaft. Nämlich in München hat Enrico Zuccalli, zum Beispiel, am Schloss Nymphenburg weitergebaut. Es hat parallel begonnen. Denn damals hat schon eine Kurfürstin Durchblick gehabt. Henriette Adelaide von Savoyen. Die hat nämlich unsern Max II., der hier der Geldgeber mit war, die hat er geheiratet. 15-jährig war die Hochzeit zu Turin, aber nur mit Stellvertretern."
Nicht die Hauptpersonen, gibt's das?
"In Turin, es ging sehr festlich zu. Aber gesehen haben sich die Beiden erst in Kiefersfelden, drunten, als 17-Jährige."
Ist das nicht eine tolle Geschichte?
"Und haben da erst Gefallen an einander gefunden. Ja, ja, sie war so enttäuscht, weil er noch so knabenhaft war, während sie schon - sie sind gleichaltrig."
Die Geschichte dieses Kirchleins ist voller Reisenotizen. Da ist ein Wittelsbacher Kronprinzlein, der mit einer italienischen Prinzessin in Turin verbandelt wird, mit einer "B"- Besetzung verheiratet. Und diese Savoyerin bringt dann den Bayern das italienische Hochbarock mit über die Alpen. Die Barock-Baumeister Zuccalli, mit italienschen Wurzeln, die bauen in München mit an der Theatiner-Kirche, Klammer auf: ich hab gelesen das ist diese imposanten Kuppel, 70 Meter hoch. Bauen gleichzeitig am Nymphenburger Schloss mit, sind nebenbei hier in der Nähe am Schloss in Hohenaschau und zusätzlich hier am Dorfkirchl des ärmlichen Wilderernestes Sachrang. Welch ein alpiner Kultur-Transfer. Und nun das riesige Altarbild, etwa drei Meter hoch: der Erzengel Michael.
"Der Erzengel Michael stößt den Satan Luzifer in die Tiefe und spricht aus, wer ist denn hier Gott? Keiner darf sich darüber erheben. Allerdings findet der Kampf nicht so statt. So stellt sich ihn sich das Barock vor. Das Barock will ja Glauben sichtbar, greifbar, riechbar, schmeckbar machen."
Wenn ich jetzt überlege, 1688, die Analphabeten und ein bisschen Hilfsschule. Waren diese Bilder für diese Analphabeten auch wichtig?
"Freilich, neben der Predigt und der Christenlehre, die darunten auch gepflegt worden ist. Gibt es eben auch diese Bilder, die einiges aussagen. Rechts drüben der heilige Franz in Gold. Der heilige Franz kann doch nicht in Gold sein Der geht doch in einfachsten Kleidern."
Das ist der Franziskus, und den hat man hier vergoldet, ein Bettelmönch?
"Der heilige Franziskus von Assisi. Allerdings heißt da oben dieser Spender, heißt auch Franz. Fürstbischof Franz von Preysing-Hohenaschau."
Und Hans Berger, der auch Leiter des Müllner Peter-Chores ist, entlässt uns aus dem prächtigen Pfarrkirchl -eben- mit Barockmusik.
Und wieder draußen an dem bescheidenen Grabkreuz vom Müllner Peter. Hier könnte man auch ein bisschen Theodor Fontane herauslesen. So wie der Ribbeck auf Ribbeck im Havelland eine Birne mit ins Grab nimmt und daraus den Dorfkindern auf Generationen ein neuer Birnbaum wächst. So hat der Müllner Peter durch seine Geschichte und über den daraus entstandenen Film Sachrang touristisch bekannt gemacht. Und wir lesen:
Der Müllner-Peter-Film löste 1978 eine touristische Lawine für Sachrang aus.
Münchener Zahnärzte investierten ihr Zahngold in Zweitwohnsitzen und bäuerlichen Ferienwohnungen. 200 Jahre zuvor war das hier ein "Arm-Leute-Land". Viel Steine gab's und wenig Brot. Und dazu harte Winter, Sachrang "vom Winter verweht" war in der Zeit des Müllner Peter normal. Ein klirrender Winter dauerte drei bis vier Monate. Das Dorf war oft abgeschnitten.
Einst klapperte die Mühle vom Müllner Peter am rauschenden Bach. Die gibt sie nicht mehr. Parallel zur Mühle, wovon eine Müllerfamilie damals alleine nicht leben konnte, gab und gibt es immer noch einen stattlichen Bauernhof. Mühle und Hof bewirtschaftet dieser Peter zusammen mit einigen Brüdern, Geschwistern, also rund 8 bis 10 Leuten, Knechten und Tagelöhnern.
Und nun steigen wir die Treppen zu einem sehr engen Müllner-Museum hoch. Hier ist ein Teil der vielen Bücher, beispielsweise aus der Medizin oder seine vielbenutzte Rezeptensammlung ausgestellt, die der Müllner Peter gesammelt oder selbst ge-schrieben hat. Cäcilie von Feilitzsch-Rauch, was gefällt Ihnen an diesem Müllner Peter?
""Mich persönlich fasziniert am meisten der junge Mann, Bauernbub, Müllnerbub, in einem winzig kleinen Dorf, der die Chance auf Bildung genutzt hat, und der Zivilcourage hat. Man geht davon aus, dass er eigentlich Theologie studieren sollte und Pfarrer werden sollte. Der ist natürlich zur Schule gegangen, wo genau, kann man nicht nachweisen. Aber eines ist sicher, dass er studiert hat, kein Pfarrer geworden ist, lange Zeit in München war und da sich weitergebildet hat."
Sie zeigen mir jetzt hier so einen dicken Wälzer ... .
"Er war Volksheilkundler. Und da hat er sich viel auch mit der Medizin beschäftigt. Hat auch die entsprechende Literatur besessen und benutzt. Er hat aber- und das ist besonders eine große Sammlung alter, volksheilkundlicher Rezepturen zusammengestellt, aufgeschrieben, auf ihre Wirkungsweise hin kommentiert."
Wenn in diesem - im Winter abgeschnittenen - Dorf, eingeschneit, eineinhalb Meter hoch, wenn sich hier einer was gebrochen hat ... den nächsten Arzt hätte der nie gefunden, nie erreicht.
"Er hätte ihn weder bezahlen können, noch hätte er die Reise dorthin über-lebt. Das heißt, es war ein großes Glück, dass er für Mensch und Vieh dieses sein Wissen eingesetzt hat. Er hat selbst Medizin hergestellt, angebaut."
Wenn wir ihn wieder nach Heute übersetzten. Könnten wir sagen, er hatte die Qualifikation von so einer Art Rettungssanitäter?
"Sicher. Es wurde ja verboten, die Volksheilkunde wurde ja verboten, damals. Und er hat eine Sondergenehmigung sich erkämpft für diesen Ort, dass er mit seinem Wissen weiterhin hier helfen kann."
In diesem kleinen Museum ist auch ein bisschen von der Mühle und der Apotheke des Müllner Peter nachgebaut. Aber all die vielen Bilder und Schautafeln vermitteln nur ein grobkörniges Bild vom Musikanten, vom Laiendoktor, vom Apotheker, Tierarzt und diesem Universaltalent aus einem Hinterwäldlerdorf am Ende der bayerischen Welt. Es gibt einen Buchband als Quelle und Recherche von zwölf Autoren verfasst. Erst mit diesem Buch begreift man, dass beispielsweise vor 200 Jahren nicht nur Sachrang, sondern allgemein unsere Dörfchen in der Eifel, im Harz oder im Schwarzwald oder im Thüringerwald ohne eine qualifizierte Dorfhebamme, ohne einen heilkundigen Laienarzt verloren waren. Zusammengefasst aus dieser Müllner-Peter-Literatur:
"Es muss solche Müllner Peter hundertfach gegeben haben, die auch einer in Not geratenen Dorfhebamme assistieren konnten, die chirurgische Schnitte wagten-, die sich lange vor dem Penicillin mit fundierter Heilkräuterkunde auskannten. Auch die Aufklärung des 18- Jahrhunderts ist bei dem belesenen Müllner Peter angekommen. Er hat keine religiösen- oder dämonologischen Kurpfuscherpraktiken verwandt."
Dieser Geschichte nachzugraben ist spannender als eine der unendlichen Arzt- und Krankenhaus-Serie im täglichen Fernsehen. Und nun wollen wir die hier im Museum ausgestellte Geige aufgreifen. Der Müllner Peter soll selber fünf Instrumente gespielt- und einen Dorfchor mit einer instrumentalen Begleitgruppe aufgebaut haben. Und in des Müllners breiten Notensammlung sind auch Stücke von Wolfgang Amadeus Mozart. Und da fragen wir Hans Berger, als Musikfachmann, könnten sich die Wege vom Müllner und dem zehn Jahre älteren Wolfgang Amadeus Mozart gekreuzt haben?
"Der Müllner Peter war ja, wie man vermutet, in München. Auch zu der Zeit, wo der Mozart einen ganzen Winter in München war. 1781. Da war der Müllner Peter dann 15 oder 16 Jahr alt. In dieser Zeit, wo Mozart die Oper Idomeneo im Cuvillies-Theater uraufgeführt hat. Und in dieser Zeit hat Mozart auch Gelegenheitskompositionen gemacht, Aufträge, kleine Lieder vertont."
Es kann durchaus sein, dass die sich so über den Weg gelaufen sind? Und der junge Peter einen tiefen Bückling gemacht hat, weil er wusste der Spaßkasper da, das ist der schon große Mozart, der verzweifelt um einen Job gesucht hat.
"Ja könnte man sich so vorstellen. Mozart hat ja auch geäußert, dass er in München gern wäre. Aber die Stelle war nicht frei."
Lassen sie mich einen dummen Witz drauf machen. Wenn ich heute sehe, Deutschland sucht den Superstar, wie einfach die es heute hätten, wenn sie bei Dieter Bohlen durchgekommen wären.
"Mozart hat zwei Serien geschrieben. Und die sind vom Müllner Peter handschriftlich authentisch genau laut Köchelverzeichnis abgeschrieben worden."
Wechseln wir flugs noch einmal in diese Barockkirche. Und mit einer Melodie von Mozart aus dem Sachranger Notenschatz, gespielt vom Ensemble Hans Berger, lassen wir unseren Adventsspaziergang in Sachrang ausklingen.
"Gewildert ist immer schon geworden, zu allen Zeiten. Das ganze Tal ist ein armer Hund gewesen, damals. Wenn sie vom Baron keine Arbeit bekommen haben, dann sie da gestanden."
Was haben die denn abgeknallt, eine Wildsau?
"Nein, ein Rehbock oder eine Gams oder Hirsch. Wild hat's genügend gegeben, hier."
Nun sind Sie ja Jäger, auch im Auftrag des Staates, Sie waren ja dann der Aufpasser, der Gegner?
"Wenn ein Familienvater, mit vier, fünf Kindern, wenn der Hunger hat, ein Hungerleider, praktisch. Dass der auf ein Stück Wild aus ist - da haben wir es auch 'nicht gesehen'."
Es wurde im Zweifelsfall ja auch zurück geschossen. Sind auch in so ein Duell ...
"Nein, nicht gekommen. Man hat versucht in Wildererzeiten möglichst nicht in Konfrontation zu kommen."
Kein Jägerlatein. Heute ist Johannes Mittermeier 80 Jahre, fit wie Luis Trenker, selig. Und die Tochter vom Mittermeier ist auch so eine wilde Hummel, sie wurde Olympiasiegerin auf der Buckelpiste. Dies auch als kleiner Hinweis, dass in Sachrang nun die Schneekanonen die Wintersaison einschießen und einschneien.
Und nun kommen wir zu der Geschichte vom "Filmdorf Sachrang". Denn häufig ist die Wilderei ja auch das Szenario der Heimatfilme gewesen. Ein armer Wilddieb räubert das Herz der Förster-Christel, des Försters allerliebsten Töchterleins. Förster und Wilderer stehen sich im wilden Tann grimmig gegenüber Und dann kommt es doch noch zum Happy-End. Und dann gibt es eine zünftige Dorfhochzeit und der kantige Beppo Brehm fuchtelte noch einmal drohend mit der Mistgabel. Und die Dorfburschen legen einen Schuhplattler ein und die geschminkten Filmkühe von Sachrang jodeln und tanzen dazu. An sich sollte jetzt jemand hier aus Sachrang etwas zum Filmdorf sagen, es ist leider nicht eingehalten worden. So müssen wir es "lesen":
Es begann vor über 50 Jahren in Sachrang mit dem Film "Der Pfarrer vom Kirchfeld", mit bekannten Darstellern solcher Naturkomödien und Lederhosen- und Jodel-Dramen. Die aufwendigste Produktion war 1977 der Fernseh-Mehrteiler über den Müllner-Peter "Eine Chronik in den Bergen". Die Filmarbeiten haben Sachrang damals an über hundert Drehtagen teilweise lahm gelegt, weil in allen vier Jahreszeiten gedreht werden musste. Und die Häuser und Straßen wurden dazu auf 18-Hundert umdekoriert. In den 1990er-Jahren wurde auch die zwölfteilige Fernsehserie "Im Schatten der Gipfel" hier gedreht. In den letzten Jahren auch eine Folge der ZDF-Serie "Der Alte". Dazu kamen TV-Mehrteiler mit Jan Fedder und Michaela May oder auch ein Film mit den Darstellern Herbert Knaup und Gisela Schneeberger.
Wir stehen jetzt neben dem Eingang zur Dorfkirche St. Michael vor dem recht einfachen Grab des Müllner Peter. Lesen die Zahlen 1766 bis 1843. Er ist also 77 Jahre alt geworden. Und in diesem Dorfkirchl ist der fast schon vergessene Müll-ner Peter in den 1930-er Jahren quasi wieder entdeckt worden. Man fand auf der Empore, oben, da wo der Müller die Orgel gespielt- und seinen Dorfchor dirigiert hat, fand man einen Schrank über und über voll mit vergilbten Notenblättern und Spinnweben. Es kamen dann Fachleute und hoben und ordneten den sogenannten "Notenschatz von Sachrang". Und wir hören zur Einstimmung einen Josef Haydn aus eben diesem Notenschatz des Müllner Peter, handgezupft von Hans Berger.
Handgezupft auf der Zither. Nun aber alle Aufmerksamkeit dieser hochbarocken-, dieser überreichlich mit vergolden Figuren und verspielten Stuckarbeiten und Säulen und Ornamenten ausgeschmückten Dorfkirche. Erbaut 1688. Und sie widerspricht oder widerlegt die Mär von einer Armleutegegend. Siegfried Gattinger:
"Diese Kirche wurde von der Herrschaft bezahlt. Es ist die Herrschaft von Schloss Hohenaschau, Max von Preysing, der hat das Geld beschafft. Die Bevölkerung wäre viel zu arm gewesen."
Die Haupthandwerker waren fahrende Gesellen, die diese Kirche nach italienischen Rezepturen.
"So könnte man es nennen. Da war zunächst einmal Gaspare Zuccalli. Zuccalli sagt ja was. Das sind die Graubündner Maurer, die Muratori. Das war eine ganze Sippschaft. Nämlich in München hat Enrico Zuccalli, zum Beispiel, am Schloss Nymphenburg weitergebaut. Es hat parallel begonnen. Denn damals hat schon eine Kurfürstin Durchblick gehabt. Henriette Adelaide von Savoyen. Die hat nämlich unsern Max II., der hier der Geldgeber mit war, die hat er geheiratet. 15-jährig war die Hochzeit zu Turin, aber nur mit Stellvertretern."
Nicht die Hauptpersonen, gibt's das?
"In Turin, es ging sehr festlich zu. Aber gesehen haben sich die Beiden erst in Kiefersfelden, drunten, als 17-Jährige."
Ist das nicht eine tolle Geschichte?
"Und haben da erst Gefallen an einander gefunden. Ja, ja, sie war so enttäuscht, weil er noch so knabenhaft war, während sie schon - sie sind gleichaltrig."
Die Geschichte dieses Kirchleins ist voller Reisenotizen. Da ist ein Wittelsbacher Kronprinzlein, der mit einer italienischen Prinzessin in Turin verbandelt wird, mit einer "B"- Besetzung verheiratet. Und diese Savoyerin bringt dann den Bayern das italienische Hochbarock mit über die Alpen. Die Barock-Baumeister Zuccalli, mit italienschen Wurzeln, die bauen in München mit an der Theatiner-Kirche, Klammer auf: ich hab gelesen das ist diese imposanten Kuppel, 70 Meter hoch. Bauen gleichzeitig am Nymphenburger Schloss mit, sind nebenbei hier in der Nähe am Schloss in Hohenaschau und zusätzlich hier am Dorfkirchl des ärmlichen Wilderernestes Sachrang. Welch ein alpiner Kultur-Transfer. Und nun das riesige Altarbild, etwa drei Meter hoch: der Erzengel Michael.
"Der Erzengel Michael stößt den Satan Luzifer in die Tiefe und spricht aus, wer ist denn hier Gott? Keiner darf sich darüber erheben. Allerdings findet der Kampf nicht so statt. So stellt sich ihn sich das Barock vor. Das Barock will ja Glauben sichtbar, greifbar, riechbar, schmeckbar machen."
Wenn ich jetzt überlege, 1688, die Analphabeten und ein bisschen Hilfsschule. Waren diese Bilder für diese Analphabeten auch wichtig?
"Freilich, neben der Predigt und der Christenlehre, die darunten auch gepflegt worden ist. Gibt es eben auch diese Bilder, die einiges aussagen. Rechts drüben der heilige Franz in Gold. Der heilige Franz kann doch nicht in Gold sein Der geht doch in einfachsten Kleidern."
Das ist der Franziskus, und den hat man hier vergoldet, ein Bettelmönch?
"Der heilige Franziskus von Assisi. Allerdings heißt da oben dieser Spender, heißt auch Franz. Fürstbischof Franz von Preysing-Hohenaschau."
Und Hans Berger, der auch Leiter des Müllner Peter-Chores ist, entlässt uns aus dem prächtigen Pfarrkirchl -eben- mit Barockmusik.
Und wieder draußen an dem bescheidenen Grabkreuz vom Müllner Peter. Hier könnte man auch ein bisschen Theodor Fontane herauslesen. So wie der Ribbeck auf Ribbeck im Havelland eine Birne mit ins Grab nimmt und daraus den Dorfkindern auf Generationen ein neuer Birnbaum wächst. So hat der Müllner Peter durch seine Geschichte und über den daraus entstandenen Film Sachrang touristisch bekannt gemacht. Und wir lesen:
Der Müllner-Peter-Film löste 1978 eine touristische Lawine für Sachrang aus.
Münchener Zahnärzte investierten ihr Zahngold in Zweitwohnsitzen und bäuerlichen Ferienwohnungen. 200 Jahre zuvor war das hier ein "Arm-Leute-Land". Viel Steine gab's und wenig Brot. Und dazu harte Winter, Sachrang "vom Winter verweht" war in der Zeit des Müllner Peter normal. Ein klirrender Winter dauerte drei bis vier Monate. Das Dorf war oft abgeschnitten.
Einst klapperte die Mühle vom Müllner Peter am rauschenden Bach. Die gibt sie nicht mehr. Parallel zur Mühle, wovon eine Müllerfamilie damals alleine nicht leben konnte, gab und gibt es immer noch einen stattlichen Bauernhof. Mühle und Hof bewirtschaftet dieser Peter zusammen mit einigen Brüdern, Geschwistern, also rund 8 bis 10 Leuten, Knechten und Tagelöhnern.
Und nun steigen wir die Treppen zu einem sehr engen Müllner-Museum hoch. Hier ist ein Teil der vielen Bücher, beispielsweise aus der Medizin oder seine vielbenutzte Rezeptensammlung ausgestellt, die der Müllner Peter gesammelt oder selbst ge-schrieben hat. Cäcilie von Feilitzsch-Rauch, was gefällt Ihnen an diesem Müllner Peter?
""Mich persönlich fasziniert am meisten der junge Mann, Bauernbub, Müllnerbub, in einem winzig kleinen Dorf, der die Chance auf Bildung genutzt hat, und der Zivilcourage hat. Man geht davon aus, dass er eigentlich Theologie studieren sollte und Pfarrer werden sollte. Der ist natürlich zur Schule gegangen, wo genau, kann man nicht nachweisen. Aber eines ist sicher, dass er studiert hat, kein Pfarrer geworden ist, lange Zeit in München war und da sich weitergebildet hat."
Sie zeigen mir jetzt hier so einen dicken Wälzer ... .
"Er war Volksheilkundler. Und da hat er sich viel auch mit der Medizin beschäftigt. Hat auch die entsprechende Literatur besessen und benutzt. Er hat aber- und das ist besonders eine große Sammlung alter, volksheilkundlicher Rezepturen zusammengestellt, aufgeschrieben, auf ihre Wirkungsweise hin kommentiert."
Wenn in diesem - im Winter abgeschnittenen - Dorf, eingeschneit, eineinhalb Meter hoch, wenn sich hier einer was gebrochen hat ... den nächsten Arzt hätte der nie gefunden, nie erreicht.
"Er hätte ihn weder bezahlen können, noch hätte er die Reise dorthin über-lebt. Das heißt, es war ein großes Glück, dass er für Mensch und Vieh dieses sein Wissen eingesetzt hat. Er hat selbst Medizin hergestellt, angebaut."
Wenn wir ihn wieder nach Heute übersetzten. Könnten wir sagen, er hatte die Qualifikation von so einer Art Rettungssanitäter?
"Sicher. Es wurde ja verboten, die Volksheilkunde wurde ja verboten, damals. Und er hat eine Sondergenehmigung sich erkämpft für diesen Ort, dass er mit seinem Wissen weiterhin hier helfen kann."
In diesem kleinen Museum ist auch ein bisschen von der Mühle und der Apotheke des Müllner Peter nachgebaut. Aber all die vielen Bilder und Schautafeln vermitteln nur ein grobkörniges Bild vom Musikanten, vom Laiendoktor, vom Apotheker, Tierarzt und diesem Universaltalent aus einem Hinterwäldlerdorf am Ende der bayerischen Welt. Es gibt einen Buchband als Quelle und Recherche von zwölf Autoren verfasst. Erst mit diesem Buch begreift man, dass beispielsweise vor 200 Jahren nicht nur Sachrang, sondern allgemein unsere Dörfchen in der Eifel, im Harz oder im Schwarzwald oder im Thüringerwald ohne eine qualifizierte Dorfhebamme, ohne einen heilkundigen Laienarzt verloren waren. Zusammengefasst aus dieser Müllner-Peter-Literatur:
"Es muss solche Müllner Peter hundertfach gegeben haben, die auch einer in Not geratenen Dorfhebamme assistieren konnten, die chirurgische Schnitte wagten-, die sich lange vor dem Penicillin mit fundierter Heilkräuterkunde auskannten. Auch die Aufklärung des 18- Jahrhunderts ist bei dem belesenen Müllner Peter angekommen. Er hat keine religiösen- oder dämonologischen Kurpfuscherpraktiken verwandt."
Dieser Geschichte nachzugraben ist spannender als eine der unendlichen Arzt- und Krankenhaus-Serie im täglichen Fernsehen. Und nun wollen wir die hier im Museum ausgestellte Geige aufgreifen. Der Müllner Peter soll selber fünf Instrumente gespielt- und einen Dorfchor mit einer instrumentalen Begleitgruppe aufgebaut haben. Und in des Müllners breiten Notensammlung sind auch Stücke von Wolfgang Amadeus Mozart. Und da fragen wir Hans Berger, als Musikfachmann, könnten sich die Wege vom Müllner und dem zehn Jahre älteren Wolfgang Amadeus Mozart gekreuzt haben?
"Der Müllner Peter war ja, wie man vermutet, in München. Auch zu der Zeit, wo der Mozart einen ganzen Winter in München war. 1781. Da war der Müllner Peter dann 15 oder 16 Jahr alt. In dieser Zeit, wo Mozart die Oper Idomeneo im Cuvillies-Theater uraufgeführt hat. Und in dieser Zeit hat Mozart auch Gelegenheitskompositionen gemacht, Aufträge, kleine Lieder vertont."
Es kann durchaus sein, dass die sich so über den Weg gelaufen sind? Und der junge Peter einen tiefen Bückling gemacht hat, weil er wusste der Spaßkasper da, das ist der schon große Mozart, der verzweifelt um einen Job gesucht hat.
"Ja könnte man sich so vorstellen. Mozart hat ja auch geäußert, dass er in München gern wäre. Aber die Stelle war nicht frei."
Lassen sie mich einen dummen Witz drauf machen. Wenn ich heute sehe, Deutschland sucht den Superstar, wie einfach die es heute hätten, wenn sie bei Dieter Bohlen durchgekommen wären.
"Mozart hat zwei Serien geschrieben. Und die sind vom Müllner Peter handschriftlich authentisch genau laut Köchelverzeichnis abgeschrieben worden."
Wechseln wir flugs noch einmal in diese Barockkirche. Und mit einer Melodie von Mozart aus dem Sachranger Notenschatz, gespielt vom Ensemble Hans Berger, lassen wir unseren Adventsspaziergang in Sachrang ausklingen.