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Im Theatermilieu

Die geheimen Wege der Seele und die Schatten der Transzendenz, das sind die Themen des schwedische Regisseurs und Dramatikers Ingmar Bergman. Nach seinem Tod 2007 wurde er auch für das Theater wieder- und neuentdeckt. Zu seinen psychologischen Kammerspielen zählt das Stück "Nach der Probe", das Bergman 1983 für das Schwedische Fernsehen produzierte. Ein Theaterstück, das im Theater spielt, und das es jetzt als deutschsprachige Erstaufführung am Schauspiel in Hannover gibt.

Von Michael Laages |
    Ob es da schon mal gab: Dass die erste, gemeinhin für ungemein wichtig erachtete Premiere der neuen Intendanz, womöglich gar der "neuen Ära" eines herausragenden Theaters über ein halbes Jahr vorher an einem anderen Theater stattfindet? Noch dazu quasi bei der Konkurrenz in der Nachbarschaft? Das Schauspielhaus des scheidenden Hannoverschen Intendanten Wilfried Schulz jedenfalls zeigt bereits jetzt die erste "eigene" Produktion der künftigen Hamburger Direktion am Thalia Theater, wo "Nach der Probe" erst in der nächsten Saison beim neuen Hamburger Thalia-Chef Joachim Lux zu sehen sein wird. Der Grund ist einfach - einer von dessen Haupt- und Haus-Regisseuren ist Luk Perceval; und der war gelegentlich auch bei Schulz in Hannover. Und dass mit der Schauspielerin Oda Thormeyer auch eine der Stützen der Hannoverschen Ensemble-Gesellschaft nach Hamburg wechselt, hat Kooperation sicher erleichtert. Merkwürdig ist das trotzdem - wie leichthin die neue Thalia-Mannschaft einen der ersten großen Paukenschläge zum Start aus der Hand gibt. Zumal dieses Bergman-Stück nur auf den ersten Blick nach einer Fingerübung für drei Schauspieler aussieht - der Text hat's in sich.

    Eine Gespräch mit den Toten also, nur praktischer gedacht und geschrieben als bei Heiner Müller. Und eine Tote "erscheint" tatsächlich, zur posthumen Wörterschlacht.

    Nach einer Probe am Vormittag, und vor der nächsten, außer der Reihe am Abend, sucht Anna, die junge Schauspielerin, die Auseinandersetzung mit dem Regisseur. Sie versteht nicht, warum er ausgerechnet sie, die sie sich viel zu jung fühlt, als "Agnes" besetzt hat im "Traumspiel" von August Strindberg. Zu Recht vermutet sie mehr als nur künstlerische Gründe - immerhin war Henrik, der Regisseur, mal der Geliebte ihrer Mutter, die sich vor einigen Jahren tot gesoffen hat und die Tochter nicht nur mit der Flüssig-Droge in unstillbaren Hass getrieben hat: auf sich selbst, auf das Schauspieler-Sein. Psycho-Muster also lauern zuhauf - Mutter-Hass und Vater-, genauer: Ersatz-Vater-Bindung, denn natürlich bahnt sich auch eine fatale Liebesverstrickung zwischen Regisseur und Darstellerin an. Dann platzt unvermutet eine Rückblende in den Beziehungskampf - auf tritt ("vor zehn Jahren") Rakel, natürlich: Annas schon schwer trunksüchtige Mutter: die Tote. Auf Knien quasi, und unter mancherlei wahrhaftiger Entblößung, drängt sie den Ex- und Immer-wieder-Geliebten, ihr mehr als nur eine Zwei-Sätze-Rolle zu geben in der neuen Inszenierung. Und wenn das auch nichts wird, so ist doch klar, dass diese beiden nie voneinander werden lassen können. Er wird in seinem Gefängnis bleiben, dem Theater, sie wird von Entzug zu Entzug weiter vor sich hin verrecken.

    Ende der Rückblende - und jetzt erklären Regisseur und Schauspielerin einander die (mögliche) Liebe; aber er lässt die beiden im Spiel die Zeit noch einmal zehn Jahre zurück drehen: Um ihr vorzuspielen, wie fahrlässig sie ihre Liebe verspielt hätten. Deshalb wird jetzt zwischen beiden nichts beginnen. Wahrscheinlich.

    Das ist - trotz sicher etwas platter Psychologie - ein Kammerspiel voller Schärfe, auch eine mitleidlose Lebensbilanz des alternden Künstlers ist das Stück auch, und eine Tragödie der Generationen obendrein - eine "Liebeserklärung an die Schauspielkunst" allerdings, wie die hannoversche PR-Poesie dichtet, ist der Text mit Sicherheit eher nicht. Bergman zeigt Menschen in Käfighaltung, geschlagen mit der Verzweiflungskunst des Schauspielers, Menschen darstellen zu wollen.

    Und der Regisseur im Stück hat durchaus Recht, wenn sie konstatiert, dass es für Theater wie dieses nichts braucht als Text und Spieler und dahinter vielleicht eine Wand. Luk Perceval hält sich daran leider nicht. Er zeigt "Nach der Probe" im "richtigen", realen Theater-Raum, nur umgekehrt: wir auf der Bühne, und im Saal, am Regietisch in Reihe 9, 10 oder 11, der obduzierende Arzt und Regisseur Henrik, ein Pedant, der Papier in ordentliche Häufchen legt und zum besseren Nachdenken Bleistifte spitzt, dann aber nicht weiß, wohin mit den Krümelholzresten. Vorn an der Rampe: erst die Junge und später die Ältere, Tochter und Mutter; und wenn "vor zehn Jahren" die Mutter erscheint, bleibt die Tochter (sie wäre jetzt 12) stumm und teilnahmslos sitzen im Saal. Dekorativ bedienen Regisseur und Jung-Akteurin zwischendurch mal die große Windmaschine, um noch mehr lose Textblätter in den Saal zu pusten, als eh schon darin liegen.

    Jenseits von derlei überflüssigem Aufgemöbel ist Perceval mit dem Darsteller-Trio aber auf der sicheren Seite. Picco von Groote, eine der erstaunlichen jungen Frauen, die die vergangenen Jahre im Schulz-Ensemble geprägt haben, Oda Thormeyer, die wieder bis an die Grenzen und darum unter die Haut geht, und Wolf-Dietrich Sprenger - was für ein Glück, diesen bedeutenden Schauspieler (und unterschätzten Regisseur) endlich wieder in einer besonderen Arbeit zu sehen.

    Wer drei von dieser Sorte hat, der braucht doch keine Windmaschine.