Archiv


Im Visier: männlich, über 50, gut situiert

Gut 110 Mitarbeiter benötigen durchschnittlich 350 Stunden, bis ein Wiesmann fertiggestellt ist. Fast jeder Gestaltungswunsch der gut betuchten Kundschaft wird erfüllt. Ozonloch, CO2-Diskussion oder Umweltverträglichkeit sind dagegen keine Themen für den Autobauer.

Von Michael Marek |
    Ungewöhnliches Design und PS-starke Motoren gehören zu ihren Markenzeichen. Seit 1993 produzieren die Brüder Friedhelm und Martin Wiesmann edle Sportwagen in Kleinserie und trotzen der Automobilkrise.

    Wer an die deutsche Automobilindustrie denkt, dem fallen Städte wie Wolfsburg, Stuttgart oder Köln ein. Aber wer kennt schon Dülmen? Hier, am Rande des Ruhrgebietes, steht die wuchtige Manufaktur Wiesmann. Streng genommen dürfte man sie gar nicht zur Automobilindustrie zählen, denn riesige Produktionshallen, in denen Arbeiter unterstützt von Robotern Tausende Fahrzeuge herstellen, sucht man vergeblich. "Es ist natürlich schon etwas ungewöhnlich, was wir hier machen", sagt Unternehmensgründer Martin Wiesmann.

    "Zum einen, weil wir Autos in Handarbeit fertigen. Und das Design unserer Autos ist natürlich auch ungewöhnlich: Es ist nicht so futuristisch, sondern mehr klassisch. Es kommt ja aus den fünfziger, sechziger Jahren, und in Kombination mit moderner Technik ist das ja auch etwas, was es sonst nicht gibt."

    1988 gründeten Martin und Friedhelm Wiesmann das Unternehmen. Angefangen hatten die Brüder im elterlichen Autohaus. Bis ihnen die Idee kam, einen eigenen Sportwagen im 1960er-Jahre-Retro-Design zu entwickeln:

    "1985 war ich auf der Essen Motor Show und sah dort viele Kleinserienautos, die zum Teil schlecht gebaut waren. Und ich dachte mir, das kannst du eigentlich besser. Und da ich immer etwas mit meinem Bruder zusammen machen wollte, überlegten wir, ob wir das nicht zusammen machen sollten."

    Heute sind ihre Sportwagen Liebhaberstücke, bei denen PS-starke Aggregate von BMW unter der Haube stecken und über deren lang gestrecktes Heck ein kleiner Gecko krabbelt, das Firmenlogo. Ein puristischer Wagen, bei dem automatische Fensterheber – anders als bei vergleichbaren Herstellern - nicht zur Serienausstattung gehören, so Wiesmann-Pressesprecher Frank Schütz:

    "Da passt es nicht so recht dazu, dass man sich über irgendwelche Einparkhilfen oder andere Elektronik Gedanken macht, sondern es geht darum, dass man ein Auto hat, was vor allem die Funktion hat, sportlich zu fahren."
    1993 ging der erste serienreife Wiesmann auf die Straße, bis 2003 wurden jährlich 50 Wagen hergestellt. Das sei zu wenig gewesen, sagt Martin Wiesmann. Ein neues Gebäude musste her und so wurde 2008 eine neue futuristische Manufaktur aus Stahl, Glas und Holz eröffnet. Heute schwebt über der gläsernen Produktionshalle in Dülmen ein stilisierter, 150 Meter langer Gecko. Wie eine Zunge ragt aus dem gläsernen Maul eine Serpentine, auf der die Autos von der Manufaktur direkt in den Ausstellungsraum rollen. Bis Ende 2010 wurden insgesamt 1400 Sportwagen hergestellt. Die Jahresproduktion liegt in diesem Jahr bei etwa 200 Wagen und soll auf 250 Stück in den kommenden Jahren hochgefahren werden. Marketing und Werbung wurden vor allem am Anfang auf ungewöhnliche Weise betrieben:

    "Mein Bruder hat sich häufiger in Hotels eingemietet, zum Beispiel in Hamburg, wo Tennisspieler waren, die am Rothenbaum bei den German Open spielten. Weltklassespieler. Und weil das Auto vor der Tür stand, konnte er Kontakte zu den Tenniscracks aufbauen, die sich natürlich auch im Auto ablichten ließen. Dann kam da die Presse mit rein. Einige Spieler sind dann auch mit unseren Autos gefahren und haben dann die Marke weitergetragen, wenn man so will. Solche Beispiele gab es viele. Wir haben in Monte Carlo während des Grand Prix versucht, internationale Bekanntheit zu erlangen."

    In kariertem Hemd, schwarzer Jeans und feiner Designerbrille spricht der 58-jährige Martin Wiesmann über die Firmengeschichte. Zum Beispiel, wie es ihm gelungen ist, BMW-Motoren verwenden zu dürfen, obwohl die BMW-Rechtsabteilung zunächst eine Abmahnung geschickt hatte:

    "Am 1. September 1993 sind wir nach München gefahren und haben das Auto mitgenommen und präsentiert. Und Wolfgang Reitzle, der damalige BMW-Vorstand, war damals davon sehr angetan. Er hat dann bewirkt, dass eine Entscheidung bei BMW getroffen wurde, uns zu beliefern."

    Gut 110 Mitarbeiter, darunter Dreher, Schweißer, Elektroniker und Sattler benötigen durchschnittlich 350 Stunden, bis ein Wiesmann fertiggestellt ist. Rahmen, Tanks, Auspuffanlagen und Karosserie - alles wird in Dülmen hergestellt, be- und weiterverarbeitet, erklärt Martin Wiesmann:

    "Wir haben zum Beispiel eine Kälteanlage entwickelt. Normalerweise geht ein Autohersteller zu einem Zulieferer, der ihm eine komplette Klimaanlage entwickelt, und liefert ihm die ans Montageband. Bei uns war es so, dass wir alles selber machen mussten, weil wir keinen fanden, der das für eine so kleine Stückzahl machte."

    Die Wiesmänner erfüllen fast jeden Gestaltungswunsch ihrer Kundschaft. Jeder lieferbare Lack wird aufgetragen, jedes beliebige Leder genäht, gern auch mit dekorativem Stich und passend zu Handtasche und Aktenkoffer. Eine Selbstverständlichkeit angesichts eines Grundpreises von rund 180.000 Euro für den GT5. Die Klientel der Wiesmänner entspricht ganz dem Klischee: männlich und über 50 Jahre alt, gefülltes Bankkonto.

    "Die Ausnahme ist sicherlich ein Zwanzigjähriger. Junge Leute haben meistens noch nicht die finanziellen Möglichkeiten. Wiesmann-Wagen werden in der Regel als Zweit-, Dritt- oder Viertwagen benutzt. Dafür ist es notwendig, in seinem beruflichen Leben wirtschaftlichen Erfolg gehabt zu haben, um so sich so etwas leisten zu können."

    Etwa 60 Prozent der produzierten Wagen werden in Deutschland verkauft, der Rest geht nach Asien, Europa und in den Nahen Osten. Mittlerweile sind die Wiesmänner sogar in China gefragt. In 19 Ländern ist man derzeit mit Vertriebs- und Servicestützpunkten vertreten, kürzlich wurde bei Ferrari um Ecke in Mailand eine Filiale eröffnet. Mit dem bekannten politisch korrekten Themen-Repertoire der Großen in der Autobranche hat man bei Wiesmann schlichtweg nichts am Hut. Ozonloch, CO2-Diskussion, Umweltverträglichkeit, aktive und passive Sicherheit - alles keine Themen für den Autobauer, der damit nicht nur mit Blick auf das Design, sondern auch mit Blick auf die Firmenphilosophie ziemlich aus der Zeit gefallen scheint:

    "Ich glaube, es gibt ein Interesse bei unserer Kundschaft, geringere Verbräuche zu haben und CO2-Ausstoß zu minimieren und umweltgerechtere Autos zu fahren. Aber das steht sicherlich nicht zentral im Vordergrund. Wichtig ja, aber nicht das entscheidende Argument für den Kauf."

    Trotzdem sieht Martin Wiesmann einer Wirtschaftskrise gelassen entgegen: Als Kleinserienhersteller und Nischenanbieter sei man nur bedingt konjunkturabhängig, so der Unternehmer. Mit einem Umsatz von gut 32 Millionen Euro im letzten Jahr sei man zufrieden. Anlass zur Sorge besteht für Martin Wiesmann nur in anderer Hinsicht: Trotz der flachen und extrem abgerundeten Wagenform ist man da bei über 500 PS von den Radargeräten der Polizei überhaupt zu blitzen?

    "Da macht es keinen Unterschied, ob Sie mit einem Wiesmann oder einem sonstigen Auto unterwegs sind."

    Mehr zum Thema