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Im Widerstreit vereint
Gemeinsam forschen mit der Konkurrenz

Was verbirgt sich hinter dem menschlichen Bewusstsein? Eine allgemein anerkannte "Theorie des Geistes" existiert nicht, wohl aber gegensätzliche Modelle. Man könnte sich der Wahrheit annähern, wenn Forschungsteams mit widerstreitenden Auffassungen zusammenarbeiten, glaubt die Psychologin Lucia Melloni.

Lucia Melloni im Gespräch mit Sophie Stigler |
Illustration: zwei Männer mit Kommunikationsproblemen mit verworrener regenbogenbunter Sprechblase.
Wahrheitsfindung durch das Zusammenwirken widerstreitender Auffassungen (imago / Ikon images / Pablo Blasberg )
Konkurrenz belebt das Geschäft – das ist oft auch in der Forschung so. Unterschiedliche Arbeitsgruppen verfolgen jeweils eigene Ansätze, und sie durchleuchten fremde Theorien und Forschungsarbeiten auf Schwachpunkte. Die Psychologin Lucia Melloni vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik hat da allerdings einen anderen Vorschlag: Warum nicht die Konkurrenzteams zusammenbringen? Dafür plädiert sie zusammen mit anderen im Fachmagazin Science.

Sophie Stigler: Die da zusammenarbeiten sollen, das sind ja potenziell Menschen, die eigentlich bisher eher darauf bedacht waren, besser und schneller zu sein als das Konkurrenzteam – warum wäre das trotzdem sinnvoll?
Lucia Melloni: Das Ziel ist, gegensätzliche Meinungen zusammenzubringen. Wenn der eine denkt, die Erde ist flach und der andere, die Erde ist rund und wenn es unklar ist, wer nun Recht hat. Dann kann jedes Team Belege sammeln für seine These. Es gibt aber ein Problem und das ist der Confirmation Bias oder Bestätigungsfehler. Das bedeutet, wir finden viel eher, was wir finden wollen. Ein großer Vorteil der Zusammenarbeit von Konkurrenten ist, dass beide darüber nachdenken müssen, wo ihre Ansichten auseinandergehen, wo die Ursachen dafür liegen könnten und wie ein Experiment aussehen könnte, mit dem man sagen kann: Unter diesen Umständen ist die Erde flach oder rund. Das sollte den Fortschritt der Forschung beschleunigen.

Ein Unparteiischer muss ins Spiel kommen

Stigler: Wie sieht diese Zusammenarbeit praktisch aus?
Melloni: Eine Möglichkeit ist, dass die Konkurrenten selbst ihr Experiment entwickeln und es selbst durchführen und sich vorher darauf einigen, wie sie die Ergebnisse auswerten. Eine andere Möglichkeit ist, sozusagen unabhängige Schiedsrichter dazuzunehmen, die dabei helfen, das Experiment und die Analyse anzulegen und durchzuführen. Diese Menschen haben nichts zu gewinnen oder zu verlieren – egal wie die Ergebnisse aussehen. Für diese Variante haben wir uns entschieden, um mehr über das Bewusstsein herauszufinden. Wir haben uns mit einem Konkurrenzteam zusammengetan und ein Experiment entwickelt. Aber andere Arbeitsgruppen führen es durch und machen die Auswertung.
Stigler: Wie klappt das? Ich könnte mir vorstellen, dass da durchaus mal alte Feindseligkeiten durchkommen…
Melloni: Das Ziel unseres Experiments ist nicht nur, rauszufinden, was unser Bewusstsein ausmacht, sondern auch, wie wir Forschung betreiben können. Wie können wir Streit beilegen und verstehen, dass wir alle das Gleiche wollen. Natürlich gibt es da einige Schwierigkeiten – weil wir menschlich sind. Natürlich ist es schwer – es ist so viel schwieriger, als in Ruhe im eigenen Labor an den eigenen Theorien zu forschen.
Stigler: Ist diese Art der Zusammenarbeit ein ganz neues Konzept oder gibt es damit schon Erfahrungen?
Melloni: Was noch nicht gemacht wurde, ist diese große Kollaboration, die wir haben, mit unabhängigen Experten, vielen verschiedenen Techniken, die wir anwenden, also die Größenordnung ist neu.

Die Nagelprobe: Replizierbarkeit

Stigler: Anhand der Erfahrungen, die man schon hat, kann man sagen, dass die Zusammenarbeit von Konkurrenten bessere Ergebnisse hervorbringt? Oder weiß man noch zu wenig?
Melloni: Es gibt einige Punkte, warum ich denke, dass man so bessere Ergebnisse bekommt. Einerseits können wir für unser Experiment viel mehr Menschen untersuchen als normalerweise möglich ist. Das ist ein Problem in der Psychologie, dass wir zu wenig Daten haben und das Ergebnis nicht so verlässlich ist. Unser Ergebnis ist verlässlicher.
Stigler: Und das ist möglich, weil das Team größer ist und Sie mehr Ressourcen haben?
Melloni: Genau. Außerdem haben wir das gleiche Experiment zweimal gemacht. Wenn ein Ergebnis richtig ist, dann muss man es replizieren können. In unterschiedlichen Laboren, unterschiedlichen Ländern, Menschen. Man muss viel Arbeit in die Standardisierung stecken, aber es lohnt sich mehr, als einsam im eigenen Labor vor sich hinzuarbeiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.