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Bewusstsein
Das Geheimnis hinter der Intelligenz

Schon bei der Frage, wie menschliches Bewusstsein empirisch nachzuweisen ist, stoßen Wissenschaftler auf Schwierigkeiten. Wo genau liegt das Bewusstsein? Und verfügt künstliche Intelligenz womöglich auch über Bewusstsein?

Der Philosoph und Autor Thomas Metzinger im Gespräch mit Barbara Weber | 18.04.2019
In this image released on Tuesday, June 13, 2017, electrodes measure brain activity to tell if a patient is conscious and, if so, to let them communicate via mindBEAGLE. mindBEAGLE is the very first and only EEG-based Brain-Computer Interface (BCI) that enables communication with patients who suffer from locked-in syndrome (LIS), complete locked-in syndrome (CLIS) or disorders of consciousness (DOC). It is widely known that these patients need BCIs that do not rely on visual stimuli and are easy to use. Paradigms based on non-visual evoked potentials and motor imagery can be effective for these patients. Therefore, mindBEAGLE has been developed and works with auditory, vibro-tactile (both based on P300) and motor-imagery paradigms in less than 20 minutes. For further information visit http://www.apmultimedianewsroom.com/newsaktuell. (Florian Voggeneder/Guger Technologies) |
Aufzeichnung elektrischer Aktivität des Gehirns (Florian Voggeneder/Guger Technol)
Barbara Weber: Was verstehen Sie unter Bewusstsein?
Thomas Metzinger: Das erste, was man, glaube ich verstehen muss, ist, dass das Problem des Bewusstseins nicht ein Problem ist, sondern ganz viele. Das ist ein Problem in der Philosophie, das ist auch ein Problem in der Neurologie und in der Hirnforschung, und das hat sehr viel verschiedene Aspekte, zum Beispiel die Einheit des Bewusstseins, das ist ein klassisches Problem, das zum Beispiel auch in der deutschen Philosophie viel diskutiert worden ist, wie kommt es eigentlich, dass meine Welt eine ist, meine erlebte Welt, wie kommt es, dass all das immer integriert ist in eine Situation mit einem Erleben im Selbst. Das wäre zum Beispiel das Problem der globalen Integration, das beschäftigt auch Hirnforscher, die würden sich fragen, wie wird das Modell der Welt im Gehirn global integriert, wie wird es zu einer Ganzheit.
Weber: Darf ich da mal kurz einharken. Das heißt, wir nehmen ganz viel wahr, wir sehen viel, wir hören viel, wir schmecken alles Mögliche, und das wird dann von unserem Gehirn als eine Einheit wahrgenommen. Ist das gemeint?
Metzinger: Ja, wir haben ja das Gefühl, in einer Welt zu leben und nicht in mehreren, und allein das übersieht man häufig, ist schon ein großes Problem. Wie schafft es das Gehirn eigentlich, Gerüche, Klänge, Farben, Kanten zu Gegenständen zusammenzuführen, das nennt man auch das Bindungsproblem, zu Dingen, die ich gleichzeitig tasten, hören , sehen kann, und wie kommt all das zusammen, auch mit meinen Bauchgefühlen, mit meiner Körperwahrnehmung, warum ist das so eine bruchlose Ganzheit.
Das ist das Problem der Einheit des Bewusstseins, und wenn man es genau betrachtet, stellt sich das auf verschiedenen Ebenen: Wie entstehen ganzheitliche Gegenstände in der Wahrnehmung, wie entsteht ein ganzheitliches Ich-Gefühl aber auch die Welt als Ganze.
Die unterschiedlichen Aspekte von Bewusstsein
Metzinger: Dann gibt es aber auch noch andere Probleme des Bewusstseins, zum Beispiel die Frage, gibt es sowas wie Atome des subjektiven Erlebens, kleinste, unteilbare Einheiten? Philosophen haben zum Beispiel sehr viel über so genannte Qualia gesprochen, die subjektiven Empfindungsqualitäten, also die Schmerzhaftigkeit bei einem Schmerzerlebnis oder die Qualität der Röte in einem Farberlebnis, die Geschmacksqualität der Süße. Und es gibt viele Leute, die denken, das ist zum Beispiel etwas, was eine Maschine nie haben kann, richtige subjektive Empfindungsqualitäten.
Die kann vielleicht Wellenlängen analysieren, aber viele Leute haben Schwierigkeiten, sich vorzustellen, die bewusste, selbsterlebte Qualität der Röte in einer Maschine auftreten könnte. Ich nenn noch mal einen dritten Aspekt des Bewusstseins-Problems: Warum ist das eigentlich alles subjektiv? Wenn wir das Gehirn öffnen, finden wir ja kein Bewusstsein oder finden wir auch kein selbst. Da sehen wir nur feuernde Neuronen, und scheinbar ist Bewusstsein das einzige Phänomen, das wir in der Wissenschaft kennen und auch in der Philosophie, das an eine subjektive Innenperspektive gebunden ist, also es gibt irgendwie jemand, der das erlebt als ein erlebendes Selbst. Und viele Leute haben sich gefragt, ob man das wissenschaftlich erklären kann, also die Subjektivität des Bewusstseins mit objektiven Forschungsmitteln, geht das?
Weber: Also das heißt, um das mal ein bisschen aufzudröseln, objektive Forschungsmittel wären ja jetzt, wenn ich zum Beispiel sage, ich untersuche das Gehirn mit irgendwelchen Methoden und schaue mir an, wie es funktioniert beispielsweise?
Metzinger: Genau! Sie können zum Beispiel sehen, immer, wenn sie ein Gelb-Erlebnis haben, sind diese Erregungsmuster im Gehirn vorhanden, in diesem Bereich des Gehirns, und immer wenn sie ein Grün-Erlebnis haben, sind diese Erregungsmuster vorhanden, und wenn man da eine Elektrode reinsteckt, kann man sogar ein Grün- und ein Gelb-Erlebnis machen, das wissen wir alles heute.
Trotzdem sagen viele Leute, nichts an diesen beiden Ereignissen im Gehirn zeigt mir, dass sich das grün anfühlen muss oder dass sich das Gelb anfühlen muss. Ein Marsmensch, der in unser Gehirn guckt, würde das nie verstehen, was wir da empfinden, und traditionell hat es viele Leute gegeben, die gesagt haben, dass es da etwas gibt, was die Wissenschaft nicht erklären kann, nämlich das, was der Marsmensch auch nicht verstehen würde.
Wo findet Bewusstsein im Gehirn statt?
Weber: Ich schließe jetzt daraus, dass man nicht sehen kann oder bis heute nicht weiß, wo das Bewusstsein im Gehirn ist?
Metzinger: Wir wissen viel, viel mehr als vor 30 Jahren. Wir kennen die neuronalen Korrelate von bestimmten Erlebnisinhalten teilweise sehr gut. Wir können zum Beispiel mit einer Elektrode im Gehirn ihnen das Gefühl geben, sie wären außerhalb ihres Körpers mit ihrem Ich-Gefühl. Wir schalten den Strom wieder ab, sie sind wieder im Körper, wir schalten ihn wieder an, sie sind wieder außerhalb, das heißt, auch die Grundlagen unseres Selbstgefühls werden langsam immer mehr und genauer bekannt, und wir haben sehr viel Detailwissen über viele verschiedene Formen.
Was wir noch nicht haben, ist eine vereinheitlichende Theorie bei der diese ganzen vielen kleinen Puzzle-Stückchen zusammenfallen in einem Bild. Davon sind wir weit entfernt.
Weber: Nicht nur wir Menschen haben Bewusstsein. In eingeschränktem Maße auch Tiere. Aber was ist mit den Dingen, die wir geschaffen haben? Hat Künstliche Intelligenz womöglich Bewusstsein? Und wenn ja, wie ist das zu beurteilen?
Alita - Battle Angel von Robert Rodriguez
Alita: Battle Angel ist ein US-amerikanischer Cyberpunk-Actionfilm. Der Film kam am 14. Februar 2019 in die deutschsprachigen und US-amerikanischen Kinos. (imago stock&people)
Hat Künstliche Intelligenz Bewusstsein?
Metzinger: Ich halte das für ein Zukunftsrisiko, ich glaube nicht, dass wir morgen Maschinen mit Bewusstsein haben werden und auch nicht übermorgen. Das sage ich einfach als jemand, der sich seit 30 Jahren mit Bewusstseinsforschung beschäftigt, aber manchmal sind Sachen auch viel schneller und viel früher passiert.
Zum Beispiel hat Enrico Fermi noch ganz kurz vor der ersten erfolgreichen Kernspaltung mit Uran gesagt, dass das wahrscheinlich niemals gelingen wird, und dann hat er es selber durchgeführt und es gibt mehrerer solcher Beispiele, und sowas könnte uns im Moment auch passieren. Es könnte sein, dass es ein Zusammenwirken von KI-Forschung und Hirnforschung zum Beispiel gibt, die plötzlich zu Sachen führt, die wir nicht erwartet haben. Deswegen sag' ich, wir sollten da ganz, ganz vorsichtig sein.
Weber: Aber kann es nicht sein, dass unser Bewusstsein ein vollkommen anderes sein könnte als das, was eine KI entwickelt?
Metzinger: Das würde, glaube ich, mit Sicherheit ein ganz anderes sein, weil wir sind ja Lebewesen, die Angst vor dem Tod haben und Kinder haben wollen. Wir sind seit Millionen von Jahren darauf optimiert, unsere eigene Existenz zum Beispiel zu erhalten und nicht zu sterben. Wir sind Überlebensmaschinen. Eine Künstliche Intelligenz, die ganz vernünftig ist, könnte niemals ein Problem damit haben, wenn es Gründe gibt, sich selbst abzuschalten, das auch einfach zu tun aus vernünftigen Gründen, weil die hat ja diese kreatürliche Angst vor dem Tod nicht, die wir haben, und sie hat auch - wir wissen nicht, wie diese Systeme mal aussehen werden - aber sie hat ganz bestimmt nicht dieselbe Art von Embodiment wie wir, das heißt, sie haben keinen eigenen Stoffwechsel.
Sie atmen nicht. Sie essen nicht. Sie kennen alle solche Sachen wie Hunger, Durst, Krankheiten nicht, das heißt, es könnte eine Form von Intelligenz sein, die nicht so leiblich verankert ist wie wir, oder wenn sie in Robotern auftritt, auf eine so andere Weise sich selbst fühlt und sich selbst erlebt, dass wir das eigentlich gar nicht richtig verstehen können, was für eine Art von Bewusstheit das da ist, weil die so fremdartig ist, eben die erste nicht-biologische Form von Geist auf der Erde.
Weber: Merken wir das, wenn KI Bewusstsein entwickelt? Und woran könnten wir sowas merken?
Metzinger: Das ist eine sehr gute Frage. Man kann ja nur entscheiden, wann jemand Bewusstsein hat und wann nicht, wenn man eine Theorie des Bewusstseins hat. Das zeigt sich beim Menschen zum Beispiel ganz deutlich in der Komaforschung, wenn man wirklich wissen will, ob jemand wirklich noch etwas erlebt, bei verschiedenen Arten von Koma oder in der Narkoseforschung, wenn man Bewusstsein ausschalten will und welche Stufen da noch sind. Da braucht man eigentlich eine Theorie des Bewusstseins.
Und da wir die noch nicht haben, würde es uns auch bei Maschinen sehr schwer fallen, und im Prinzip - also das sind jetzt wirklich Science-Fiction-Szenarien - könnte es natürlich sein, dass da etwas entsteht, was wir nicht verstehen. Wir behandeln ja viele andere Lebewesen auf dem Planeten einfach wie Dinge oder wie Maschinen, und dasselbe Problem könnte da auftauchen. Es könnte sein, dass wir nicht genau hingeguckt haben und etwas ist schon längst entstanden. Es könnte auch sein, dass wir großes Leiden verursachen, ohne es zuerst zu verstehen, dass wir das tun.
Weber: Das aktuelle Buch zum Thema Bewusstsein von Thomas Metzinger heißt "Der EGO Tunnel – Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik" und ist bei Piper erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.