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Im Zeichen der Muschel

Zwei Drittel der französischen Jakobsmuscheln werden an der Küste der Normandie gefischt, jener Region im Nordwesten Frankreichs - und zwar zwischen Oktober und Mitte Mai, nur dann ist der Fang erlaubt. Einer der Haupthäfen für den Jakobsmuschelfang ist der kleine Ort Port-en-Bessin. Dort findet jedes Jahr zum Auftakt der Saison ein zweitägiges Fischerfest rund um die Jakobsmuschel statt, Claudia Hennen hat es besucht.

    "Tata, weißt Du was über die Jakobsmuschel, kennst Du Anekdoten oder Geschichten? "

    "Also, bei uns heißt die Jakobsmuschel "Cofiche"."

    "Cofiche" - so nennen die Fischer die Jakobsmuschel im normannischen Dialekt. Ein Wort, das sich in keinem Wörterbuch findet. Willkommen in Port-en-Bessin, einem lebendigen Fischerort an der so genannten Perlmuttküste der Normandie.

    Volksmusik tönt aus der Fischhalle am Hafenkai, drinnen ist es rappelvoll.

    Das Jakobsmuschelfest lockt nicht nur Einheimische an, sondern auch Liebhaber dieser zarten Meeresfrucht aus Caen, Rouen oder Paris. Es hat sich herumgesprochen, dass die Fischer von Port-en-Bessin große Mengen Muscheln günstig verkaufen - ohne Zwischenhändler, direkt an die Verbraucher. Es ist bitterkalt an diesem Sonntagvormittag. Die begehrte Ware wird in Plastiksäcke verpackt, das Klappern der Muschelschalen füllt die Luft.

    Frisch und lecker sei sie, die normannische Jakobsmuschel, schwärmen die Kunden. Viele tragen sie kistenweise davon, decken sich gleich für die Tage zwischen den Jahren ein. Stolz präsentiert Fischhändlerin Isabelle vom Boot "L'Imagine" ihren Fang: Eine Tonne rostroter Jakobsmuscheln leuchtet uns, auf Eis gebettet, entgegen. Sie zu fischen, war nicht einfach:

    "Wir hatten die letzten Tage schlechtes Wetter und nur vier Boote konnten herausfahren, die kleinen mussten im Hafen bleiben. Wir sind Freitagabend los und gestern Mittag zurückgekommen. Unsere Muscheln sind also etwa 24 Stunden alt, das ist absolut okay. Mehr als 36 Stunden sollten sie aber nicht liegen. Wenn Sie Muscheln lange frisch halten wollen, raten wir Ihnen, sie sofort im Ganzen einzufrieren, damit sie ihren vollen Geschmack behalten."

    Aber wie lässt sich die kräftige, fest verschlossene Muschel am besten öffnen? Und wie wird der wohlschmeckende Klappenmuskel, den die Franzosen "la noix" - "die Nuss" - nennen, richtig herausgetrennt? Isabelles Kollegin Sandrine, Tochter eines Fischers aus Ouistreham, nimmt ein Messer zur Hand und zeigt uns, wie es geht:

    "An der Seite gehen Sie mit der Klinge rein und kratzen dann innen auf der flachen Muschelseite, bis sie aufspringt. Dann müssen sie die Innereien, wir nennen das den Bart der Muschel, herausziehen - am besten machen Sie hier einen kleinen Schnitt unterhalb der kleinen schwarzen Kugel, die die Schalen zusammenhält. Danach müssen Sie die Nuss nur noch waschen und sofort kochen!"

    Nicht nur der hellweiße Muskel ist eine Delikatesse, auch der daran hängende Rogen - "le corail" sagen die Franzosen dazu. Er ist leuchtend orange-rot. Bei der normannischen Jakobsmuschel ist er besonders üppig, erklärt Sandrine:

    "Wir haben Sand auf dem Meeresboden, der macht einen schönen Rogen. Das ist der Unterschied zu anderen Küsten, etwa in der Bretagne, dort ist es felsig, da entwickelt er sich nicht so gut. Deswegen ist unsere Jakobsmuschel so schön, dem Sand sei Dank!"

    Doch diese Qualität hat ihren Preis, Fischer Dimitri Rogoff wird nicht müde, darauf hinzuweisen. Der bärtige Mittvierziger steht am Kai, gerade hat sein Kutter angelegt. Er winkt seinem Kollegen auf Deck zu - das Ausladen kann beginnen.

    Der Benzinpreis sei gestiegen, klagt der Fischer. Für eine Tour braucht sein Kutter etwa siebenhundert Liter Sprit. Erst ab Dezember darf er direkt vor der Küste fischen, jetzt muss er noch weit aufs Meer hinausfahren, meist sticht er für einen ganzen Tag in See. Deshalb sind seine Muscheln teurer als im letzten Jahr, fünfeinhalb Euro kostet das Kilo.

    Ein Lastkran hebt Holzkisten aus dem Schiffsbauch und hievt sie an Land. In Windeseile bringt Rogoff die Jakobsmuscheln zum Verkauf in die Fischhalle.

    "Die Fischer aus der Region können mehr schlecht als recht von der Jakobsmuschel leben. Wir müssen sie einfach gut verkaufen, am besten das ganze Jahr über, und nicht nur in der Saison von Oktober bis Mai. Wissen Sie, wenn wir viel im Oktober fischen, will sie keiner, haben wir im November einen Engpass, schreien plötzlich alle danach. Wir müssen uns besser organisieren und die Muschel besser vermarkten!"

    Dimitri Rogoff ist Präsident eines Interessenverbandes, der hohe regionale Qualitätsstandards für den Fang und Verkauf der Jakobsmuschel festgesetzt hat. Das "Label Rouge". Denn die Muschel gehört zu den bedrohten Arten, ihr Fang ist streng reglementiert. Gefischt wird sie mit Schleppnetzen aus Metall, an denen Eisenzähne befestigt sind. Sie durchpflügen den Meeresgrund und graben die Muschel aus. Diese braucht zwei bis drei Jahre, bis sie ausgewachsen ist. Daher dürfen nur Exemplare gefangen werden, die mindestens elf Zentimeter groß sind. In mühsamer Handarbeit werden sie noch auf See vermessen - und gehen zurück ins Meer, wenn sie zu klein sind.

    "Die Muschel hat nur einen Feind - das ist der Fischer. Dann gibt es noch die Seesterne, naja, aber sobald die Muschel groß genug ist, kann sie ihnen wegschwimmen - den Fischern jedoch entgeht sie nicht!"

    Doch es gibt auch noch die gemeine Pantoffelschnecke, eine Kleinmuschel, die sich an die Jakobsmuschel heftet, bis sie abstirbt. Es heißt, sie sei mit der Landung der Alliierten vor über sechzig Jahren eingeschleppt worden. Während sie sich in der Bretagne zu einer wahren Plage entwickelt hat, blieb die Normandie verschont. Dimitri Rogoff zeigt uns eine Muschel, die befallen war.

    "Wir kratzen die mit der Hand ab, wir haben kein Problem damit. Unser Glück ist die starke Strömung im Ärmelkanal und in der Bucht der Seine, sie löst Verschmutzungen auf und schwemmt die Larven der Pantoffelschnecke weg, das ist wahrscheinlich unsere Rettung."

    In einem Zirkuszelt neben der Hafenschleuse schmettert der Chor von Port-en-Bessin Seemannslieder von der Bühne, Lieder, die vom rauen, aber auch romantischen Leben der Fischer erzählen.

    Kurz vor Port-en-Bessin liegt das Schloss "La Chenevière". Früher wurde hier Hanf angebaut, für die Taue der Fischer. Heute beherbergt das prächtige Anwesen ein Luxushotel, die Küche führt der 35-jährige Didier Robin. Sein Handwerk lernte er in einem Zwei-Sterne-Restaurant in Caen. An diesem Sonntagnachmittag stellt er sein Jakobsmuschelmenü vor. Darin lotet er - von der Vorspeise bis zum Dessert - die kulinarischen Möglichkeiten der Meeresfrucht aus. "Durchdeklinieren" nennt er das.

    "Wenn ich das frische Muschelfleisch aufschneide, zuckt der Muskel noch. Das fühlt sich an, als ob einem Ameisen über die Finger krabbeln würden!"
    "Das wird jetzt ein Muschel-Carpaccio. Dazu schneide ich die Nuss in hauchdünne Scheiben, richte sie als Rosette auf dem Teller an, bestreue sie mit Schokoladensplittern und Gewürzen, einer Prise Salz aus der Gironde, und Olivenöl: Voilà!"

    Den Rogen hat Didier Robin in ein dunkelrotes Gewürz verwandelt, das er ganz zum Schluss auf den Tellerrand streut. Ausnahmsweise verrät er uns sein Rezept.

    "Dieses feine Puder hier, ist der Rogen. Ich habe ihn im Ofen getrocknet und dann in einer elektrischen Kaffeemühle gemahlen. Er gibt dem ganzen einen intensiven Geschmack."

    Die Gäste sind begeistert.

    Bei solchen Delikatessen sollten Sie aber nicht vergessen, dass die Jakobsmuschel immer eine Speise einfacher Leute war. Die Einheimischen essen sie am liebsten, kurz in Butter gebraten, mit Salz und Crème fraîche abgeschmeckt. Aber wissen Sie noch, wie sie auf normannisch hieß?

    "Cofiche. Voilà!"