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Imageträger aus Draht

Der gute alte Kartoffelkorb hat zwar als unverzichtbares Arbeitsmittel in der Landwirtschaft längst ausgedient. Trotzdem hat der fast unverwüstliche Drahtkorb überlebt - und mit ihm sein wohl letzter deutscher Hersteller. Bei Dippe und Sohn in Quedlinburg wird der Kartoffelkorb immernoch wie vor hundert Jahren überwiegend in Handarbeit gefertigt.

Von Susanne Arlt |
    Michael Zander läuft die ausgetretenen Stiegen hinab vom Büro Richtung Werkstatt. Verschachtelte Gänge führen durch 170 Jahre altes Fachwerk. Erst vor zwei Jahren feierte Dippe und Sohn seinen 100. Geburtstag, sagt der Geschäftsführer stolz. Auf dem Hof der Quedlinburger Draht- und Eisenwarenfirma liegen stapelweise Absperrgitter, türmen sich zwei Meter hoch.

    Den größten Teil unseres Umsatzes, sagt Zander, machen wir mit der Herstellung von gewebtem Wellengitter. Das robuste Material könne man für Absperrgitter, Zäune oder Siebe verwenden. Der Geschäftsführer läuft auf eine alte Holztür zu.

    Das Herzstück der Firma steht im ersten Stock. Zwei vollautomatische Webstühle, die im Sekundentakt Drahtseile zu Wellengittermatten weben.

    "Wellengitter ist viel fester, ist viel sicherer. Wird im Sicherheitsbereich verwandt. Bei Maschendraht brauchen Sie nur einen Draht durchzuschneiden, dann können Sie das Ding auseinandernehmen und entflechten, wie man so schön sagt."

    Das Webprinzip für Draht ist einfach: Die Längsfäden, die sogenannten Kettfäden, sind auf lange Rollen aufgewickelt. Sie werden in den Webstuhl eingehängt und laufen von da an automatisch. Die Schussfäden, erklärt Zander, müssen wir von der Seite noch von Hand einschießen, gewebte Wellengittermatten entstehen. Doch mit großen Unternehmen, die dasselbe Material im Akkord produzieren, kann sich der Betrieb nicht messen.

    "Wir haben Nischen, das heißt wir arbeiten für Schlossermeister, für Sicherheitsbetriebe. Wir machen Fixmaße. So wie angefragt wird, diese Nische, die bieten wir an und die füllen wir auch entsprechend aus und die wird auch sehr gut angenommen. Denn wer kann sich heute noch bei den Drahtpreisen Abfall leisten."

    Zu den Nischen des Quedlinburgers Unternehmens gehört auch der berühmte Kartoffelkorb. Ernst Dippe, der Gründer des Unternehmens, hatte 1910 den zündenden Einfall. Leider sei nicht mehr überliefert, wie er auf diese Idee gekommen kam, erzählt Enkelin und Gesellschafterin Hella-Imone Glück. Aber er ließ sie sich sofort patentieren.

    Der Korb war bereits in den 20er Jahren ein Renner. Als Horst Dippe den Betrieb seines Vater übernahm, investierte er in die Entwicklung der Webstühle. In den 60er Jahren konnte das Quedlinburger Unternehmen mit der neuartigen Technik 380.000 Kartoffelkörbe im Jahr produzieren. Doch die goldenen Zeiten endeten 1972 mit der Zwangsenteignung. Hella-Imone Glück:

    "Wenn wir nicht zugestimmt hätten, dann wäre uns der Betrieb weggenommen worden und mein Vater und wir hätten überhaupt nicht mehr den Betrieb betreten können. Er hatte aber das große Glück, er durfte noch drin bleiben im Betrieb, er durfte Direktor bleiben."

    Allerdings nur für zwei Jahre, dann bekam er einen Vorgesetzten vor die Nase gesetzt. Trotzdem blieben Vater und Tochter dem Unternehmen treu. Nach der Wende kauften sie den Betrieb für eine D-Mark zurück. Doch innerhalb weniger Monate brach der Markt für ostdeutsche Produkte ein. Die Dippes blieben auf ihrem Wellengitter sitzen.

    Doch was im Osten nicht mehr gut genug war, entdeckte dafür der Westen. Ein Anruf aus München brachte die unternehmerische Wende. Die Geschäftsleitung der Heim- und Handwerkmesse lud die Dippes ein, ihren Kartoffelkorb auf Deutschlands größter Verbrauchermesse zu präsentieren.

    Hella-Imone Glück und Michael Zander packten einen LKW voll mit Kartoffelkörben. Die Kosten für den damals 12.000 D-Mark teuren Stand finanzierte die Stadt München aus einem Förderprogramm für altes Handwerk. Das hätten wir uns Anfang der 90er Jahre gar nicht leisten können, erzählen Michael Zander und Hella-Imone Glück. Und dann kommen sie ins Schwärmen:

    "Und dann haben wir Körbe verkauft, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich glaube wir haben über 10.000 Körbe da verkauft in den zehn Tagen, das war unvorstellbar."

    "Wie wir das erste Mal in München waren, oh, das war ja super. Also, die Leute waren so begeistert. Und das Schöne ist ja, oder das nicht so Gute ist, die kommen heute noch und sagen, ich habe das erste Mal auf der Messe ihren Korb geholt und der ist heute noch wie neu. Na, so gut ist das nicht, ne?"

    Inzwischen hat sich die Produktion auf 15.000 im Jahr eingependelt. Dippe und Sohn verkauft seine Kartoffelkörbe auch nach Japan und Österreich, in die USA und die Schweiz. Die Sparte mache aber nur einen Bruchteil unseres jährlichen Umsatzes aus, sagt Michael Zander. Der liegt bei etwa 700.000 Euro. Doch die Zeiten werden härter. Der Preis für Draht steigt stetig. Kostete Anfang der 90er eine Tonne Draht 225 Euro, liegt sie jetzt bei 800 Euro. Entsprechend teurer wird auch der für das Unternehmen so wichtige Imageträger Kartoffelkorb.

    Das Wellengitter für den Kartoffelkorb wird zwar maschinell hergestellt, doch der Rest ist Handarbeit. Zwei der insgesamt zehn Mitarbeiter sitzen in einer kleinen Werkstatt und geben den Körben den letzten Schliff. Die Arbeiter nehmen einen Eisenring und ören die einzelnen Drähte drum herum. Anschließend kommt der Henkel dran. Ein Arbeiter schafft gerade mal 24 Stück am Tag, sagt Michael Zander:

    "Rein von der Sache her werfen sie kaum Gewinn ab. Dafür müssten wir sie astromisch teuer machen. Es bleibt, weil sie uns ans Herz gewachsen sind..."