Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Imi Knoebel in der Hamburger Kunsthalle

"Raum 19" - das klingt gefährlich nach radioaktiv verseuchter Sperrzone, doch genau genommen handelt es sich um nicht mehr als eine Abstellkammer für Keilrahmen und anderes Künstlerwerkzeug. Die Legende aber will es, dass gerade in "Raum 19" die Künstlerlaufbahn des Imi Knoebel begann.

Von Carsten Probst | 20.05.2004
    Vor etwa dreißig Jahren begab sich der angehende Maler gemeinsam mit seinem Künstlerfreund Imi Giese in die Düsseldorfer Kunstakademie, wo sie sich Joseph Beuys als Malerduo "Imi und Imi" vorstellten. Beuys, der bekanntlich nicht viel von Malerei hielt, war am Ende der Sitzung derart von den beiden Imis überzeugt, dass er ihnen spontan jenen Raum 19 in der Akademie zugeteilt haben soll. Imi und Imi zogen klaglos ein in die Abstellkammer und verwandelten sie in einen Kunstraum, ohne dabei ihren Inhalt übrigens groß zu verändern. Noch heute trifft man in Imi Knoebels Ausstellung in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle eine Installation mit zweiunddreißig unfertigen, nackten Keilrahmen. Irgendwo an die Wand gelehnt, sind sie eine stehende Verführung für Reinigungskräfte: Nur das auffällig daneben gehängte Schild mit dem Titel sorgt dafür, dass sie nicht inzwischen entsorgt worden sind.

    Zwischen dem Rohmaterial der Bilder und dem Kunstprodukt im engeren Sinn macht Imi Knoebel keinen deutlichen Unterschied. In den meisten seiner Werke tritt das eine nicht ohne das andere auf. Immer scheint etwas vom Hintergrund durch, den das Bild eigentlich verdecken soll, oder dieser Hintergrund, das eigentlich Verschwindende, zu Verdeckende übernimmt sogar die Hauptrolle. Der 1940 geborene Knoebel hat ein ironisches Verhältnis zur Bedeutung von Bildern und Kunst entwickelt. Seine Frage ist nicht die so häufig nach dem Zweiten Weltkrieg gestellte: Was ist überhaupt Kunst, oder Was bedeutet Kunst? Sondern Knoebel fragt allgemeiner nach dem Bild selbst. Deshalb kann ein nackter, unfertiger Keilrahmen auch schon ein Bild werden, weil er auf die klassische Leinwand verweist, die klassische Leinwand als so etwas wie ein Kernsymbol für Künstlertum. Andererseits aber, bei allem Hintersinn und bei aller Ironie ist Knoebel doch keiner, der sich über Kunst und Bilder und ihre Benutzung einfach nur lustig macht. Die Albernheiten eines Sigmar Polke oder eines Martin Kippenberger gehen ihm ab. Die Ausstellung zeigt ihn als analytischen Maler, dessen Werk sich fast schon symbiotisch in die streng kubischen Räume von Oswald Matthias Ungers' "Galerie der Gegenwart" einpassen. Humor und Analyse gehen ständig Hand in Hand Mal geben sie sich als späte Adaption von Kasimir Malewitschs Suprematismus mit strengen, viereckigen Formen. Dann wieder verfallen sie ins Spielerische, Scherzende, wie bei der Wandinstallation "Russisch Brot" von 1999. "Russisch Brot" ist ein echtes Bekenntniswerk Knoebels. Auf Holzbalken hat er mehrere viereckige Holzplatten montiert und sie in den typischen Rot-, Blau- und Gelb-Tönen der russischen Konstruktivisten bemalt. Kleine Spalten zwischen den Platten lassen alles aber ganz buchstäblich "konstruiert" aussehen. Daneben hat Knoebel einen hohen, unbemalten Holzkorpus gestellt, der ein wenig wie ein kahles Monument oder ein Schrein aussieht und dessen dunkelbraune Holzfarbe tatsächlich an das Gebäck "Russisch Brot" erinnert, das man als Kind in Form von Buchstabenkeksen zugesteckt bekam. Diese höchst merkwürdige Zusammenstellung von Einzelheiten wirkt auf wundersame Weise so, als gehörten sie immer schon zusammen. Man kann es als Liebeserklärung des Künstlers an die russische Avantgarde verstehen, der sein Werk viel verdankt und vielleicht wirklich das "tägliche Brot" ist, von dem es bis heute zehrt. Andererseits aber will Knoebel nichts mehr mit dem heiligen Ernst der Verkündigung zu tun haben, den die russischen Avantgardisten noch an den Tag legten.

    Im nächsten Raum nimmt er sich die niederländische und deutsche Avantgarde der Moderne vor. Weiße, mehrfach geschichtete Bilderrahmen sind mit monochromen Farbfeldern in Schwarz, Blau oder Gelb ausgefüllt, man denkt dabei ziemlich schnell an Bilder von Mondrian oder an Bauhaus-Design. Die dicken, aus mehreren Leisten geschichteten Holzrahmen sind jedoch pro Schicht selbst noch einmal mit unterschiedlichen Farben bemalt, die dann sozusagen übereinander kleben und sich so bis auf wenige Andeutungen verdecken. Sandwich-Bilder nennt Knoebel sie scherzhaft, bei denen er Holzleisten oder ganze Bildplatten übereinander leimt, so dass sie die darunter liegenden Farbschichten verbergen und allenfalls noch durch die Farbspuren an den Rändern erahnen lassen. Eine Schicht löscht die andere nahezu aus - Kunst wird zum Akt der Verdrängung. Diese Einsicht betrifft übrigens in anderer Hinsicht auch Imi Knoebels Werk selbst, denn nur relativ selten sind ihm konzentrierte, sorgfältig kuratierte Einzelausstellungen gewidmet wie hier in Hamburg. Obwohl er fraglos zu den herausragenden lebenden deutschen Künstlern zählt, ist Knoebel nicht unter das Rudel der westdeutschen Malerfürsten wie Baselitz, Kiefer oder Polke zu fassen. Das könnte man freilich auch als Vorzug verstehen.