Zuerst kommt Kyla, dann übernimmt Allan, dann John und zuletzt Joe. Kyla ist ungefähr zehn Jahre alt, Joe ungefähr 70, Allan und John sind irgendwo dazwischen. Sie alle möchten sich mit einem über den Begriff "Fortschritt” unterhalten. Also spaziert man in ihrer wechselnden Gesellschaft die spiralenförmige Rampe des New Yorker Guggenheim Museums hinauf und bestaunt dabei die nackte Pracht der Architektur, zumal sämtliche Kunstwerke aus dem Museumsinnern entfernt worden sind.
Tino Sehgal stellt nämlich nicht aus, sondern an. Im Fall von "This Progress” Dutzende von Freiwillgen, die zusammen mit dem willigen Museumsbesucher einem der beiden gezeigten Werke zur Existenz verhelfen, indem sie ihn in besagte Diskussion über den Fortschritt verwickeln. Das andere Werk heisst "The Kiss” und besteht aus zwei Schauspielern, die im Atrium des Museums einen keuschen Liebesakt in Zeitlupe vollführen.
Die sechs Wochen dauernde Tino-Sehgal-Veranstaltung im Guggenheim Museum wurde von den hiesigen Kunstfreunden mit Spannung erwartet. Dies ist erst der zweite Soloauftritt in einem amerikanischen Museum für den 34-jährigen Künstler. In Europa praktiziert Sehgal seine Aufforderungen zur teilnehmenden Kunstbetrachtung bereits seit zehn Jahren erfolgreich.
Tino Sehgal habe eine vollkommen neue Kunstform im Bereich der visuellen Künste entwickelt, sagt die Guggenheim-Kuratorin Nancy Spector:
"Das Werk funktioniert in denselben räumlich-zeitlichen Dimensionen wie die bildende Kunst. Wie Skulpturen oder Bilder. Seine Werke finden statt, wenn die Leute ins Guggenheim Museum kommen, und hören auf, wenn sich die Türen am Abend schließen. Sie werden nicht dokumentiert. Es gibt keine Fotografien, kein Video, keine Tonbandaufnahmen. Dies, um die Vorstellung von etwas, das im Augenblick geschieht, von seiner Dokumentation zu trennen, von den Relikten, die es hervorbringt."
Wer sich in Tino Sehgals Arbeiten involvieren lässt, fühlt sich wie einst beim Kasperl, als dieser die versammelte Kinderschar zur Mithilfe bei der Suche nach dem Krokodil aufforderte. Nur dass es bei Sehgal um Abstrakteres geht. Denn Dinge mag der Künstler ja ganz und gar nicht. Seiner Ansicht nach gibt es viel zu viele davon, gerade im kommerzzerfressenen Kunstbetrieb. Kaufen kann man seine Werke natürlich trotzdem. Von irgendwas muss auch der systemkritischste Künstler schliesslich leben. So handelt es sich bei "The Kiss” im Guggenheim Museum um eine Leihgabe vom Museum of Modern Art, das das Werk vor zwei Jahren erstanden hat.
Ein echter Sehgal hat Warenwert, aber keinen Warencharakter. Derlei gefällt rezessionsgeschädigten Amerikanern mit intellektuellen Ansprüchen. Das gefiel auch den Kuratoren des Guggenheim Museums so sehr, dass sie vielleicht auf eine brandneue Sehgal-Kreation für die aktuelle Ausstellung hofften, aber nicht darauf bestanden. "This Progress” stammt aus dem Jahr 2006 und wurde erstmals im Institute of Contemporary Art in London gezeigt. Mit dieser Geste schlägt Tino Sehgal etwaigen Kritikern einmal mehr ein Schnippchen. Zum einen beweist er damit, wie ernst es ihm ist mit seiner Weigerung, sich den Gesetzen des Marktes zu beugen und immer Neues zu liefern. Zum anderen demonstriert er so die buchstäblich museale Natur seiner Werke. Nancy Spector jedenfalls betont, wie glücklich man mit den zur Verfügung gestellten Arbeiten ist:
"'The Kiss' ist ein Werk, das zum Zuschauen einlädt. Es ist gewissermaßen eine choreografierte Skulptur, welche die Leute betrachten, um die sie herumgehen können. "The Progress” ist ein interaktives, ein Konversationsstück, wenn Sie so wollen. Mit ihm gelangt man bis zum oberen Ende der Rotunde. Man begibt sich also auf eine Reise durch den Raum des Guggenheim Museums."
Eine Reise durchs Guggenheim Museum lohnt sich immer. Eine Reise zum Guggenheim Museum, um Tino Sehgal zu sehen, eher nicht. "Tino Sehgal” ist im Guggenheim Museum in New York noch bis am 10. März zu sehen.
Tino Sehgal stellt nämlich nicht aus, sondern an. Im Fall von "This Progress” Dutzende von Freiwillgen, die zusammen mit dem willigen Museumsbesucher einem der beiden gezeigten Werke zur Existenz verhelfen, indem sie ihn in besagte Diskussion über den Fortschritt verwickeln. Das andere Werk heisst "The Kiss” und besteht aus zwei Schauspielern, die im Atrium des Museums einen keuschen Liebesakt in Zeitlupe vollführen.
Die sechs Wochen dauernde Tino-Sehgal-Veranstaltung im Guggenheim Museum wurde von den hiesigen Kunstfreunden mit Spannung erwartet. Dies ist erst der zweite Soloauftritt in einem amerikanischen Museum für den 34-jährigen Künstler. In Europa praktiziert Sehgal seine Aufforderungen zur teilnehmenden Kunstbetrachtung bereits seit zehn Jahren erfolgreich.
Tino Sehgal habe eine vollkommen neue Kunstform im Bereich der visuellen Künste entwickelt, sagt die Guggenheim-Kuratorin Nancy Spector:
"Das Werk funktioniert in denselben räumlich-zeitlichen Dimensionen wie die bildende Kunst. Wie Skulpturen oder Bilder. Seine Werke finden statt, wenn die Leute ins Guggenheim Museum kommen, und hören auf, wenn sich die Türen am Abend schließen. Sie werden nicht dokumentiert. Es gibt keine Fotografien, kein Video, keine Tonbandaufnahmen. Dies, um die Vorstellung von etwas, das im Augenblick geschieht, von seiner Dokumentation zu trennen, von den Relikten, die es hervorbringt."
Wer sich in Tino Sehgals Arbeiten involvieren lässt, fühlt sich wie einst beim Kasperl, als dieser die versammelte Kinderschar zur Mithilfe bei der Suche nach dem Krokodil aufforderte. Nur dass es bei Sehgal um Abstrakteres geht. Denn Dinge mag der Künstler ja ganz und gar nicht. Seiner Ansicht nach gibt es viel zu viele davon, gerade im kommerzzerfressenen Kunstbetrieb. Kaufen kann man seine Werke natürlich trotzdem. Von irgendwas muss auch der systemkritischste Künstler schliesslich leben. So handelt es sich bei "The Kiss” im Guggenheim Museum um eine Leihgabe vom Museum of Modern Art, das das Werk vor zwei Jahren erstanden hat.
Ein echter Sehgal hat Warenwert, aber keinen Warencharakter. Derlei gefällt rezessionsgeschädigten Amerikanern mit intellektuellen Ansprüchen. Das gefiel auch den Kuratoren des Guggenheim Museums so sehr, dass sie vielleicht auf eine brandneue Sehgal-Kreation für die aktuelle Ausstellung hofften, aber nicht darauf bestanden. "This Progress” stammt aus dem Jahr 2006 und wurde erstmals im Institute of Contemporary Art in London gezeigt. Mit dieser Geste schlägt Tino Sehgal etwaigen Kritikern einmal mehr ein Schnippchen. Zum einen beweist er damit, wie ernst es ihm ist mit seiner Weigerung, sich den Gesetzen des Marktes zu beugen und immer Neues zu liefern. Zum anderen demonstriert er so die buchstäblich museale Natur seiner Werke. Nancy Spector jedenfalls betont, wie glücklich man mit den zur Verfügung gestellten Arbeiten ist:
"'The Kiss' ist ein Werk, das zum Zuschauen einlädt. Es ist gewissermaßen eine choreografierte Skulptur, welche die Leute betrachten, um die sie herumgehen können. "The Progress” ist ein interaktives, ein Konversationsstück, wenn Sie so wollen. Mit ihm gelangt man bis zum oberen Ende der Rotunde. Man begibt sich also auf eine Reise durch den Raum des Guggenheim Museums."
Eine Reise durchs Guggenheim Museum lohnt sich immer. Eine Reise zum Guggenheim Museum, um Tino Sehgal zu sehen, eher nicht. "Tino Sehgal” ist im Guggenheim Museum in New York noch bis am 10. März zu sehen.