Stefan Koldehoff: Christiane Vielhaber, war er denn ein guter Zeichner?
Christiane Vielhaber: Ja, es ist ein großer Unterschied, ob Sie ein großes oder ein kleines Format beherrschen. Bei großen Formaten können Sie immer so mit schönen Stellen den Betrachter eigentlich auch überrumpeln. Sie können auch so ein bisschen schmieren. Und Immendorff neigte ja zu großen Themen. Ich will nicht sagen, dass er irgendwann mal geschmiert hat. Aber in dem kleinen Format müssen Sie sich ja konzentrieren. Und wenn Sie sich überlegen, ich glaube, dass Sie und ich in der Lage wären, eine Retrospektive von Immendorff-Gemälden wenigstens in einer Stunde abzuhaken. Man sieht das Frühwerk, ach so, das haben wir gesehen, das mittlere Werk, die Lidl-Zeit, dann das Spätwerk, die Historienmalerei, Café Deutschland. So, dann geht man raus und sagt: ganz schön. In dieser Ausstellung, in dieser Retrospektive gibt es 300 Arbeiten zu sehen und das zieht sich. Es ist eine Ausstellung zum Lesen. Sie müssen sich das so vorstellen, diese 300 gerahmten Zeichnungen an der Wand sind fast alle DIN A4 groß, und Immendorff ist jemand, der kommentiert. Der lässt also diese Zeichnungen nicht einfach so stehen, sondern Sie gehen da wirklich durch, ja wie durch einen Comicstrip und das macht auch Spaß, weil Sie Gesichter wiedererkennen, Beuys zum Beispiel nicht nur an dem Hut. Sie sehen auch, dass er ein toller Porträtist war, es ist also, ob Sie jetzt Harry Seemann oder seinen Galeristen Michael Werner oder Penck oder Brecht oder so. Sie erkennen die Leute sofort, also das konnte er. Und was Sie auch noch merken, er gilt ja als der berühmte Beuys-Schüler des berühmten Beuys. Aber er hat angefangen bei Theo Otto und er hat Bühnenbild studiert, drei, vier Semester in Düsseldorf an der Akademie, und das sehen Sie. Sie sehen von Anfang an, wie konstruiert diese winzigen Bildbühnen sind, egal jetzt, ob es politisches Agitprop ist, er war ja dann auch Maoist und gehörte der Kommunistischen Partei an. Es ist dann die Zeit, wo er dann sagt: "Tüss Tunst", also in dieser Kindersprache, Tschüss Kunst, und hört auf zu malen und geht auf die Straße und kämpft. Auch das haben Sie auf Bildbühnen und selbst auch das Intime, die Begegnung zum Beispiel mit Penck 1976 erstmalig in Dresden, also in Ostdeutschland, in der DDR und dann in Ostberlin. Und dann hat das auch so etwas Intimes, aber auch, wie er das kommentiert, Sie lesen das Blatt für Blatt.
Koldehoff: Warum hat er wohl gezeichnet? Um Bilder zu finden oder um etwas Eigenes zu schaffen, oder weil es so schnell und spontan möglich ist? Was haben Sie da erfahren?
Vielhaber: Herr Koldehoff, ich würde sagen, zwei Drittel könnte man so als das, was man Ideenwerkstatt nennt, dass man also probiert, wie das später im großen Format ist. Immendorff hat ja ganz viele Bühnenbilder gemacht, zum Beispiel zu Stravinskys "Rake's Progress" oder "Elektra". Dann sehen Sie schon, das sind also Skizzen, wie kann das auf der großen Bühne aussehen. Sie haben ganz viele Skizzen zu seiner Elbquelle, das ist eine große Skulptur, die 1999 in Riesa aufgestellt wurde. Dann sehen Sie, das ist immer so ein fast astloser, laubloser Baum. Das taucht häufiger auf. Dass man auch das Gefühl hat, dass er überlegt, wie sieht das in Groß aus und in welchen Relationen kann ich das machen. Aber dann sind auch ganz viele wunderbare Aquarelle, man muss jetzt nicht gerade Nolde bemühen, aber Sie sehen, dass er ein fantastisches Farbempfinden hat, und die sind von so strahlender Farbigkeit, dass die wirklich autonome Kunstwerke sind und nichts mit dem Großen und Ganzen zu tun haben. Sie haben dabei allerdings auch so Nebenher-Entwürfe, das, was man eigentlich als Künstler nicht tun sollte, mit Kugelschreiber oder Filzstift , das verblasst ja, da weiß man, das hat er nicht für den Markt gemacht. Aber das ist so locker, vielleicht auch beim Telefonieren oder bei Gesprächen und hat dann was dazu geschrieben, einfach so Gedanken aufgezeichnet. Das macht Spaß, da reinzugucken.
Koldehoff: Ganz kurz zum Abschluss. Ein Museum muss behaupten, es gelte einen neuen Immendorff zu entdecken in dieser Ausstellung. Ist es tatsächlich so?
Vielhaber: Na ja, es ist auch der Mensch Immendorff, denn zusätzlich sehen Sie im Obergeschoss 25 Aufnahmen von Benjamin Katz, den Fotografen, der viele, viele Künstler bis zu ihrem Ende begleitet hat. Und in diesem Fall sehen Sie den ganz jungen Immendorff, wo er noch so ein Revoluzzer war und dann die letzten Aufnahmen kurz vor seinem Tode, die dann auch wieder anrührend sind.
Vielhaber: Also auf nach Düsseldorf, wo, wie Christiane Vielhaber im Vorgespräch sagte, zum ersten Mal übrigens eine Immendorff-Ausstellung zu sehen ist. Vielen herzlichen Dank. Eine Immendorff-Retrospektive.
Christiane Vielhaber: Ja, es ist ein großer Unterschied, ob Sie ein großes oder ein kleines Format beherrschen. Bei großen Formaten können Sie immer so mit schönen Stellen den Betrachter eigentlich auch überrumpeln. Sie können auch so ein bisschen schmieren. Und Immendorff neigte ja zu großen Themen. Ich will nicht sagen, dass er irgendwann mal geschmiert hat. Aber in dem kleinen Format müssen Sie sich ja konzentrieren. Und wenn Sie sich überlegen, ich glaube, dass Sie und ich in der Lage wären, eine Retrospektive von Immendorff-Gemälden wenigstens in einer Stunde abzuhaken. Man sieht das Frühwerk, ach so, das haben wir gesehen, das mittlere Werk, die Lidl-Zeit, dann das Spätwerk, die Historienmalerei, Café Deutschland. So, dann geht man raus und sagt: ganz schön. In dieser Ausstellung, in dieser Retrospektive gibt es 300 Arbeiten zu sehen und das zieht sich. Es ist eine Ausstellung zum Lesen. Sie müssen sich das so vorstellen, diese 300 gerahmten Zeichnungen an der Wand sind fast alle DIN A4 groß, und Immendorff ist jemand, der kommentiert. Der lässt also diese Zeichnungen nicht einfach so stehen, sondern Sie gehen da wirklich durch, ja wie durch einen Comicstrip und das macht auch Spaß, weil Sie Gesichter wiedererkennen, Beuys zum Beispiel nicht nur an dem Hut. Sie sehen auch, dass er ein toller Porträtist war, es ist also, ob Sie jetzt Harry Seemann oder seinen Galeristen Michael Werner oder Penck oder Brecht oder so. Sie erkennen die Leute sofort, also das konnte er. Und was Sie auch noch merken, er gilt ja als der berühmte Beuys-Schüler des berühmten Beuys. Aber er hat angefangen bei Theo Otto und er hat Bühnenbild studiert, drei, vier Semester in Düsseldorf an der Akademie, und das sehen Sie. Sie sehen von Anfang an, wie konstruiert diese winzigen Bildbühnen sind, egal jetzt, ob es politisches Agitprop ist, er war ja dann auch Maoist und gehörte der Kommunistischen Partei an. Es ist dann die Zeit, wo er dann sagt: "Tüss Tunst", also in dieser Kindersprache, Tschüss Kunst, und hört auf zu malen und geht auf die Straße und kämpft. Auch das haben Sie auf Bildbühnen und selbst auch das Intime, die Begegnung zum Beispiel mit Penck 1976 erstmalig in Dresden, also in Ostdeutschland, in der DDR und dann in Ostberlin. Und dann hat das auch so etwas Intimes, aber auch, wie er das kommentiert, Sie lesen das Blatt für Blatt.
Koldehoff: Warum hat er wohl gezeichnet? Um Bilder zu finden oder um etwas Eigenes zu schaffen, oder weil es so schnell und spontan möglich ist? Was haben Sie da erfahren?
Vielhaber: Herr Koldehoff, ich würde sagen, zwei Drittel könnte man so als das, was man Ideenwerkstatt nennt, dass man also probiert, wie das später im großen Format ist. Immendorff hat ja ganz viele Bühnenbilder gemacht, zum Beispiel zu Stravinskys "Rake's Progress" oder "Elektra". Dann sehen Sie schon, das sind also Skizzen, wie kann das auf der großen Bühne aussehen. Sie haben ganz viele Skizzen zu seiner Elbquelle, das ist eine große Skulptur, die 1999 in Riesa aufgestellt wurde. Dann sehen Sie, das ist immer so ein fast astloser, laubloser Baum. Das taucht häufiger auf. Dass man auch das Gefühl hat, dass er überlegt, wie sieht das in Groß aus und in welchen Relationen kann ich das machen. Aber dann sind auch ganz viele wunderbare Aquarelle, man muss jetzt nicht gerade Nolde bemühen, aber Sie sehen, dass er ein fantastisches Farbempfinden hat, und die sind von so strahlender Farbigkeit, dass die wirklich autonome Kunstwerke sind und nichts mit dem Großen und Ganzen zu tun haben. Sie haben dabei allerdings auch so Nebenher-Entwürfe, das, was man eigentlich als Künstler nicht tun sollte, mit Kugelschreiber oder Filzstift , das verblasst ja, da weiß man, das hat er nicht für den Markt gemacht. Aber das ist so locker, vielleicht auch beim Telefonieren oder bei Gesprächen und hat dann was dazu geschrieben, einfach so Gedanken aufgezeichnet. Das macht Spaß, da reinzugucken.
Koldehoff: Ganz kurz zum Abschluss. Ein Museum muss behaupten, es gelte einen neuen Immendorff zu entdecken in dieser Ausstellung. Ist es tatsächlich so?
Vielhaber: Na ja, es ist auch der Mensch Immendorff, denn zusätzlich sehen Sie im Obergeschoss 25 Aufnahmen von Benjamin Katz, den Fotografen, der viele, viele Künstler bis zu ihrem Ende begleitet hat. Und in diesem Fall sehen Sie den ganz jungen Immendorff, wo er noch so ein Revoluzzer war und dann die letzten Aufnahmen kurz vor seinem Tode, die dann auch wieder anrührend sind.
Vielhaber: Also auf nach Düsseldorf, wo, wie Christiane Vielhaber im Vorgespräch sagte, zum ersten Mal übrigens eine Immendorff-Ausstellung zu sehen ist. Vielen herzlichen Dank. Eine Immendorff-Retrospektive.