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Immer an der Zensur vorbei

Was im Iran als Kunst gilt, darüber entscheiden die Behörden. Wer einmal eine Genehmigung hat, kann aber nicht sicher sein, ob diese morgen noch gilt. Von solch strengen Regeln lassen sich die Kreativen im Iran jedoch kaum beeindrucken. Für viele ist die Zensur sogar ein Ansporn.

Von Ferial Kasmai | 04.08.2013
    Im Norden Teherans, in einer ruhigen Wohnstraße, befindet sich die Atbin Art Gallery. Ein zweistöckiges Haus im zeitlos schlichten Charme der 50er-Jahre. Dort stellen iranische Künstler junge Kunst in schönen, großzügigen Räumen aus.

    "Damals – als die kulturelle Umwandlung unter Reformisten stattfand, war es nicht so schwer eine Lizenz für die Eröffnung eines Galeriebetriebs zu bekommen. Die Voraussetzungen waren: ein abgeschlossenes Studium und mehrjährige Berufserfahrung - vorzugsweise im Kunstbereich."

    Der Galerist Farhad Azarin hat die Atbin Art Gallery im Jahr 2000 gegründet. Damals war der Reformer Mohammad Chatami Präsident, der den Weg zu kultureller Freiheit geöffnet hat. Diese Galerie war eine der ersten, die das Ziel hatte, jungen talentierten Künstlern aus dem Iran eine Plattform für ihre Arbeiten anzubieten. Mit der Zeit aber ist die Reformpolitik wieder abgeebbt. Dabei nahm das Ausmaß der bereits vorhandenen Zensur noch zu.

    "Vor jeder Ausstellung schicken wir dem Ministerium für Kultur und islamische Führung eine CD mit den Arbeiten der Künstler zu. Wenn die Zensurbehörde keine Einwände hat, heißt es, die Ausstellung ist genehmigt worden. Und im Grunde hören wir nicht mehr von dem Amt."

    Das ist jedoch keine Garantie für den Galerist: Denn er erhält keine schriftliche Bestätigung. Das Problem im Iran ist das Unvorhersehbare. Deshalb sind alle auf einen kurzfristigen staatlichen Eingriff gefasst. Farhad Azarin kennt jedoch die Spielregeln der Zensur:

    "Ich sehe sofort, wenn ein Kunstwerk provokant wirkt und bei der staatlichen Zensur nicht durchkommen würde. Daher spreche ich zuerst mit den Künstlern darüber. Und wenn ich doch unbedingt das "zensierte" Kunstwerk zeigen möchte, finde ich einen anderen Ort, wo man keine Erlaubnis für die Ausstellung braucht. Zum Beispiel in privaten Häusern oder in den sogenannten "Untergrund-Galerien"."

    Von diesen Galerien erfährt man nur über Mundpropaganda. Nichts ist öffentlich, keine sozialen Netzwerke berichten darüber. Aber Farhad Azarin arbeitet in der Regel innerhalb der gegebenen Richtlinien. Denn sobald "inakzeptable" Kunstwerke auf einer Ausstellung gezeigt werden, können die Behörden der Galerie die Lizenz entziehen.

    "Wir dürfen keine Arbeiten mit regimekritischen oder religiös beleidigenden Darstellungen zeigen. Auch nicht Bilder, die für andere religiöse Weltanschauungen Propaganda machen. Die nackte, sowie intime Darstellung von Mann und Frau ist verboten."

    Trotz der strengen Richtlinien finden die Künstler immer wieder neue Wege, mit der Zensur umzugehen. Sowie die junge Malerin Zeynab Movahed, die in einer Gruppenausstellung in der Atbin Galerie ihre großformatigen Ölgemälde ausstellt. Diese Bilder präsentieren Frauen in ihrer Zurückgezogenheit.

    "Ich male Frauen ohne deren Köpfe oder Gesichter. Damit will ich die Rolle der Frauen in unserer Gesellschaft verdeutlichen, die meistens auf das Häusliche beschränkt ist. Ich möchte den Betrachter auf die Wünsche, Bedürfnisse und Gedanken der Frauen aufmerksam machen. Es ist nicht immer einfach."

    Auf einem ihrer großformatigen Bilder sieht man eine Frau, die auf einem Sofa sitzt und raucht. Sie hat schulterlange Haare und trägt ein grünes enges Top. Neben ihren entblößten Füßen liegen ein paar Zigarettenkippen auf dem Boden. Und am anderen Ende des Sofas liegt ein Top.

    "Ich spiele immer wieder gerne mit symbolischen Darstellungen. So kann ich meine Botschaft besser vermitteln. Zum Beispiel stehen die Zigarettenkippen für die innere Revolte dieser Frau. Das Top steht als Symbol für ihre Sexualität. Man läuft immer wieder Gefahr, mit der Zensurbehörde in Schwierigkeiten zu geraten. Daher ist es nicht einfach, kritische Kunst in lizenzierten Galerien auszustellen. Ich durfte beispielsweise dieses Werk nicht auf der letzten Ausstellung in einer anderen Galerie zeigen. Die Zensurbehörde begründete das Verbot, die entblößten Füße und Arme der Frau würden eine erotische Anspielung bedeuten."

    Die Künstler sind ständig mit Grenzen und externer Kontrolle konfrontiert. Mal sind die Restriktionen strenger, mal lockerer. Und sie sind es gewöhnt:

    "Ich bin der Meinung, dass die Zensur manchmal die Kreativität anspornen kann, wie etwa die Symbolik, die in meinen Bildern eine wichtige Rolle spielt. Das ist ein Weg für mich das Unerlaubte zeigen zu können. Ich finde es beispielsweise schöner, die Sexualität oder Intimität einer Frau durch Symbole zu verdeutlichen, als die Frau nackt darzustellen. Letzten Endes nehme ich mir die Freiheit, so zu malen, wie ich es möchte. Und wenn das Werk zensiert wird, finde ich andere Wege, es zu zeigen."

    Die Kulturschaffenden im Iran lassen sich nicht entmutigen. Sie gehen spielerisch mit der Willkür der Behörden um. Klare Regeln – wie im Westen – gibt es nicht. Die Künstler müssen sich immer an Hindernissen vorbei schlängeln, eine Fähigkeit, die die Iraner auch in anderen Lebensbereichen beherrschen.