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Immer in der ersten Reihe

Eigentlich könnten sie sich in den Schaukelstuhl setzen, es sich gut gehen lassen und alte Fotos angucken. Stattdessen gehen sie zur Uni und hören Vorlesungen. Die Rede ist von Gasthörern - von Senioren, die sich an den Hochschulen weiterbilden. Die wissbegierigen Pensionäre unterscheiden sich allerdings in so mancher Hinsicht von den jungen, ordentlichen Studierenden. Einige haben sogar richtige Marotten.

Von Jens P. Rosbach | 11.04.2005
    "Ich finde es ganz einfach schön als "Rentner", sich noch ein bisschen mit dem zu beschäftigen, wofür man früher keine Zeit hatte.

    Ja man möchte sich nicht ganz auf dem Abstellgleis, auf der Endkurve fühlen, sondern möchte das Gefühl haben, es geht weiter.

    Ich hab`s viel viel besser als die Studenten, die halt Prüfungen schreiben müssen. Also ich kann da auch sitzen und sagen: nie wieder Klausuren! Das ist doch voll entspannt, das ist doch das Beste, was man haben kann! "

    Der typische Gasthörer hat viel Zeit und ist deshalb überpünktlich. Doris Jahnke zum Beispiel, eine 64jährige pensionierte Lehrerin, kommt manchmal schon eine halbe Stunde vor Vorlesungsbeginn in den Hörsaal.

    "Ja, überpünktlich. Das stimmt. Und da ist man dann manchmal etwas sauer, wenn die Studenten dann sehr viel später und polternd … denn wenn man den Anfang verpasst, dann ist da meist nicht so schön, ne. "

    Echte Gasthörer erscheinen nicht nur rechtzeitig zur Lehrveranstaltung, sie setzen sich auch gern in die erste Reihe - und verwickeln den Professor in Fach-Debatten.

    "Ich hab irgendwas mal mit Kantscher Philosophie gemacht, da kannten die wirklich jeden Satz auswendig und haben dann, wenn der Professor falsch zitiert hat, dann immer dazwischen geredet und gesagt – aber da muss doch da ein Komma hin und das fand ich etwas übertrieben einfach."

    Aaaron Wendland ist selbst Hobby-Hörer. Der Bühnenbildner zählt mit seinen 42 Jahren zu den jüngsten seiner Spezies und fühlt sich – genauso wie manch ordentlicher Student – mitunter genervt von der "Senioren-Schlaumeierei". Felicitas Wlodyga, die Gasthörer-Koordinatorin an der Freien Universität Berlin, kennt das Problem.

    "Das kann stören. Das kann zu einer Art Mauer führen, also wirklich dann studierende junge Menschen irritieren, wenn auch Wissen da ist, was sie noch nicht haben und das ist wirklich wie eine Art Mauer, die dann zwischen dem Lehrenden und Studierenden stehen können. "

    Die rüstigen Rentner sind häufig aber auch gern gesehene Gäste, wie man am Beispiel von Günter Fehlow sieht. Der frühere Handelsvertreter ist – sage und schreibe - 92 Jahre alt.

    "Ja, Zweiundneunzigeinhalb!"

    Die jungen Studierenden behandeln den alten Herren mitunter geradezu rührend.

    "Ich kann mich nicht so anziehen wie die Jungen mit Jacke, das ist nicht drin. Und das merken die schon, dann halten sie einem den Mantel und: bitteschön! Ich muss sagen, es gibt ja auch Jugendliche, die sagen: die alten Quatschköpfe, nicht wahr. "

    Die "alten Quatschköpfe" werden vielerorts aber auch ermuntert, "Geschichten von früher" zu erzählen oder aus ihrem Berufsleben zu plaudern. Der 73jährige Jens Krasting, ein ehemaliger Richter, staunte allerdings, dass die Studierenden ihn dabei nicht siezen.

    "Die jungen Leute duzen sich untereinander und wenn man sich dann einklinkt in eine Gruppe, dann war es auch klar, das ging eigentlich auch gar nicht anders, als dass man sich duzte. Erst ist es eine kleine Schrecksekunde – aber man lernt ja dazu!"

    Die Unibesucher im "Un-Ruhestand", wie sich selber gerne nennen, sind laut Statistik im Schnitt Anfang 60, pensionierte Akademiker und besuchen vor allem geisteswissenschaftliche Vorlesungen – etwa bei den Kunsthistorikern, Germanisten und Psychologen. Koordinatorin Wlodyga erklärt die Fächerwahl damit, dass die Nachkriegsgeneration früher kaum Zeit und Geld gehabt habe, solch "brotlose" Studien zu betreiben.

    "Ja das ist einfach öfter so, dass also die Tendenz dahin geht, das zu machen, was man entweder schon immer machen wollte und nicht machen konnte oder aber zu sagen: Abschlüsse hab ich sowieso schon genug und jetzt kann ich endlich machen was ich will!"

    Viel Zeit, kein Prüfungsdruck und ein enormer Wissensdurst - Gasthörer sind zumeist hoch motiviert. Wobei sie mitunter vor lauter Lerneifer auch mal "vergessen", sich für die ein oder andere Vorlesung anzumelden – und zu bezahlen. Die pensionierte Lehrerin Doris Jahnke etwa schnuppert gern mal umsonst in die Hörsäle hinein.

    "Also ich hab ein schlechtes Gewissen dabei, natürlich. Und das als Lehrerein! Pfui! "