B.N.: Im Moment ist die Situation: Man hat die Nase voll von der Frauenbewegung. Man möchte keine lamentierenden Frauen mehr. Auch keine Frauen, die von Qualen und Problemen erzählen. Man möchte erfolgreiche Frauen, Frauen, die Macht anstreben oder haben, die Geld haben. Sie haben aber keine Berührungsängste mit dem Bodensatz des weiblichen Alltags. Wie kommt das?
Streeruwitz: Wahrscheinlich, weil mir nichts anderes übriggeblieben ist. Ich glaube, daß wir hier unter einen neuen Rollendruck geraten sind, durch wen immer wir dafür verantwortlich machen wollen: das Patriarchat, das Geld würde ich hier auch ganz stark als Schuldfaktor, als Medium des Patriarchats hineinziehen. Immer wird uns gesagt - selbst in der Frauenbewegung -, wie wir’s machen sollen, und in keiner Weise werden uns die Mittel in die Hand gegeben, es auch zu tun. Deswegen glaube ich, ist die Sichtbarmachung aller Probleme immer noch notwendig. Ich habe den Eindruck, daß es in einer bestimmten publizistischen Öffentlichkeit versucht wird, das Schicksal irgendwie zu leugnen, hinauszukehren, sich davon zu befreien, die Sache als machbar darzustellen. Und gerade für Frauen als machbar darzustellen. Ich möchte das gar nicht kritisieren, aber ich sehe es übrigens auch in einer literarischen Öffentlichkeit wie zum Beispiel des Kitschromans für Frauen. Nun würde ich annehmen, daß das vielleicht eine Motivationsmöglichkeit ist, um zu sagen: Du kannst alles. Also der amerikanische Traum, adaptiert oder heruntergeholt für Frauen. Ich glaube nur, daß das nicht so ist. Es gibt dann immer dieses eine Ereignis im Leben einer Frau, das alles zunichte macht, was frau sich ausgedacht hat und was sie gelernt hat und was sie sich vorgenommen hat. Und damit, finde ich, sollte die Konfrontation aufgenommen werden. Das ist etwas, was ich auch durchaus wütend beschreiben möchte, etwas, was ich auch selber erfahren habe ist, daß man als Frau mit Schicksal alleine ist. Das halte ich für einen im Grunde politischen Vorgang, indem uns Allgemeinheiten geöffnet werden, aber im privaten unser Schicksal so geraten ist, daß wir immer damit hängen werden und so nichts erreichen können.
B.N.: Also das Schicksal im Leben einer Frau sind immer noch die Kinder ?
Streeruwitz: So wie unsere Gesellschaft gebaut ist, sind das die Kinder. Oder was neu ist: die alten Eltern, die alten Verwandten, die dann wieder von Frauen gepflegt werden müssen. Es ist immer Liebesarbeit nach wie vor, die den einfachen und klaren Weg einer steilen Karriere beeinträchtigen, unterbrechen, in eine andere Bahn werfen, wobei ich nicht sagen möchte, daß das Unglück ist. Schicksal ist nicht mit Unglück gleichzusetzen. Aber es ist zu vergleichen mit einem aus der für sich selbst vorgesehenen Bahn Geraten.
B.N.: Helene in dem Roman "Verführungen" hat ganz oft das große Schweigen in sich. Also eigentlich will sie das und das sagen, kommt dann in die Situation, wo sie das und das sagen will, und dann sagt sie es nicht. Statt dessen sagt sie: "Was tue ich eigentlich hier?" oder: "Es ist doch alles egal". Wieso ist in dieser Heldin immer diese große Sprachlosigkeit, dieses Schweigen, dieser weiße Fleck?
Streeruwitz: Oh, das ist so, weil ich mir eine Frau so vorstelle. Hier ging’s um diese Zeit, in der diese Lebenshast besteht, in der die Kinder so viel abverlangen und die Welt rundherum hoffentlich wenigstens freundlich zusieht, während das alles gemacht wird, wenn es schon kaum Solidarität in der Bewältigung dieser Alltagsprobleme gibt, die dann einfach zur Übermüdung führen. Und übrigens die politische Reaktion auf Ohnmacht ist eben Schweigen.
B.N.: Es gibt eine Stelle in dem Roman, wo Helene sagt, sie wisse alles, welche Rolle sie spiele, was sie tun dürfe, was sie nicht mehr tun solle, was jetzt richtig wäre in der Situation. Aber dieses ‘Bescheid-Wissen’ würde nicht helfen. Ich sehe darin auch eine Parallele zu dem, was politisch gelaufen ist in der Frauenbewegung. Man hat erarbeitet, was man tun müßte und was man lassen müßte. Und dann kam man aber doch wieder in den gleichen Schlamassel. Was jetzt aber vorgeht, ist: Man vergißt zu wissen, was man schon einmal herausgekriegt hatte. Man hat es nicht getan, aber man weiß es auch nicht mehr.
Streeruwitz: Das ist auch wieder ein Sprachproblem: Weitergabe von Informationen von Generation zu Generation. Das bedarf ja einer besonderen Erzählform, die auch gehütet und gefördert werden müßte, und was ich sehe, ist, daß die Generation in den 60ern oder in den 70ern, in denen die Frauenbewegung wirklich zur Höhe gekommen ist, ein Bewußtsein von Befreiung entwickelte, das gerade für sie gegolten hat, aber es entstand nie ein Bewußtsein für Freiheit. Eines, das man weitergeben könnte. Es wurden die BHs ausgezogen und verbrannt, und die Töchter tragen heute Spitzen-BHs und Reizwäsche. Und da frage ich mich, was ist da passiert, diese Frauen haben’s ja ernst gemeint. Das geht offenbar nicht. Und das liegt nicht an einzelnen Frauen, sondern das ist etwas, was in der Sprache einer Gesellschaft passiert. Es ist nicht möglich gewesen, weiterzugeben, daß der weibliche Körper so sein darf, wie er ist.
B.N.: Sie haben in einem Interview gesagt, ihr Ziel sei es, das Unaussprechliche auszusprechen. Was meinen Sie damit?
Streeruwitz: Es geht darum, daß Unaussprechliches zumindest einmal beschrieben werden muß. Ob es nun gesagt werden kann, ist noch eine andere Frage. Aber ich glaube zum Beispiel, daß die Frage, ob Kinder in der Literatur existieren können, ohne daß es Kitsch ist, daß es eine Dichte entwickelt hat, daß das schon einmal gelungen ist. Ich habe eigentlich nie in der Literatur - und ich bin eine von diesen Frauenspersonen, die so wahnsinnig viel gelesen haben als Mädchen und als junge Frau -,und ich hab das nie gelesen, und deswegen hab ich mir das selbst geschrieben.
B.N.: Ihre Sprache ist sehr schnell. Ich habe das auch sehr schnell gelesen, ich habe manchmal wie gehetzt über die Seiten gelesen, und dann hab ich mich zur Ordnung gerufen: Du mußt das mal bißchen sorgfältiger lesen. Man liest das ganz schnell und kommt plötzlich in die Situation dieser Frau, die auch so gehetzt ist.
Streeruwitz: Sprache hier ist die adäquate Form für den Inhalt. Das ist Hast. Das ist Atemlosigkeit. Das ist Angst und Enge. Das ist einfach die Form von Griff auf die Wirklichkeit, den ich über viele Jahre Schreiben entwickelt habe. Und ich bin auch sehr glücklich mit diesem Buch. Natürlich glaube ich, daß genau dieses Buch so stimmt - also Inhalt und Form - und daß für die nächsten Projekte die Lösung eine Spur modifiziert werden muß, was übrigens auch ein großes Problem ist.
B.N.: Für Sie, sich umzustellen?
Streeruwitz: Das ist ja keine Umstellung, die Frage ist, der Inhalt nimmt ja eine bestimmte Form an, und wie sieht das nun im Ausdruck aus, wie steht das auf der Seite, das ist das Problem an der Sache, und da habe ich im Augenblick das Problem mit Rückblende, weil ich die nicht richtig finde, aber brauche sie für das neue Projekt, und da ist die Frage, wie löse ich das, daß es eben nicht diese Form ist. Diese Form von Sprache ist ja eine Möglichkeit, dem Fluch als Autorin Dinge vorzugeben, also auch wieder dominant aufzutreten, zu entkommen. Für mich ist ein großes Problem die Autorenposition, die ja im Männerroman, ja nun, wir kennen den allwissenden Erzähler, das ist etwas, das hat mich schon als Mädchen aufgeregt, dieses mir genau sagen, wie die Welt ist und sein soll. Und dem zu entkommen, war eigentlich meine ganze Arbeit gewidmet. Und ich glaube, daß hier jeder Leser, jede Leserin eingesetzt wird in die Stelle der Autorenperson und von daher den Blick auf die literarische Figur entwickelt beziehungsweise diese begleitet. Ich mache nichts, was Sie jetzt zwingt, meinen Standpunkt als Autorin zu übernehmen, sondern Sie entwickeln Ihren. Wenn da ein Tisch ist, dann ist das Ihr Tisch. Den stellen Sie sich dann vor. Ich meine, außerhalb von der Geschichte gibt’s nichts, womit ich Sie bedrängen würde. Und das ist zum Beispiel mit der Rückblende, die ja ein literarisches Mittel ist, das sehr gesetzt und sehr künstlich ist, etwas womit ich große Probleme habe, weil ich hier als Autorin mit einer Dominanz auftrete, die mir eigentlich nicht recht ist.
B.N.: Bei "Lisa’s Liebe" ist mir aufgefallen, daß Sie auf dem Cover abgebildet sind. Andererseits wollen Sie doch nicht, daß die Leute denken, Sie schreiben Ihre eigene Geschichte. Aber das drängt sich ja sofort auf. Wenn hier vorn draufsteht: "Lisa’s Liebe", und da sind Sie abgebildet?
Streeruwitz: Das ist jetzt die Antwort auf die Frage nach der Autobiographie, weil "Lisa’s Liebe" unter gar keinen Umständen meine sein kann. Deswegen finde ich es besonders lustig, da meine Jugendfotos draufzugeben. Im übrigen ist es auch ein Spiel. Es ist so wie eine Performance. Die Frau, die noch so spät zu literarischen Ehren kommt, wie das bei mir der Fall ist, und von der Öffentlichkeit immer beschrieben. Da wird immer mein Alter herangezogen, um mir klar zu machen, daß ich mich sehr glücklich fühlen sollte, daß ich noch was zusammengebracht habe. Daß ich schon 25 Jahre schreibe, ist irgendwie etwas, das untergeht im Rahmen dieser Dinge, und sehr genau weiß, wann etwas richtig ist und wann nicht. Und es war eben ... bis zu einem bestimmten Zeitpunkt war’s eben ein Schreibenlernen, und ich find das einfach komisch und einfach rührend, und ich dachte mir auch, Lisa braucht ein Bild, weil sehr viele Fotos drinnen vorkommen, und ich wollte Lisa jetzt nicht einer Schauspielerin oder einer gezeichneten Figur überantworten, sondern ich hab’s einfach jetzt gleich selber gemacht. Ich habe im übrigen kein Problem damit, daß Autobiographisches gesehen werden könnte, weil ich nicht glaube, daß eine Künstlerin oder ein Künstler der Postmoderne überhaupt etwas anderes als sich selbst zum Material hat. Also ich kann eben nicht zu dieser gottähnlichen Figur in mir greifen und etwas erfinden, was mir nicht zur Hand ist. Und das sind natürlich immer Dinge, die ich kenne, die ich erlebt habe, oder die andere erlebt haben, die ich gelesen habe. Also alles was mich betrifft, weil ich das Wahrnehmungszentrum bin, aus dem heraus dann auch diese Literatur entsteht. Nur: Das wogegen ich mich wehre, ist, daß in Frauenfällen Literarisch-Biographisches immer zur Verminderung genommen wird. Man sagt, es ist ein Bekenntnisroman, es ist ein therapeutischer Roman, und das lehne ich vollkommen ab. Weil das immer von einer bestimmten Richtung eingesetzt wird, die Sache zu verkleinern.Kein Mann hat mehr, als sich selbst zu beschreiben. Und im übrigen, die wälzen sich ja geradezu in Autobiographischem, das wird auch von der Kritik immer lobend erwähnt, beziehungsweise als ein Ereignis, in dem ein Mann uns etwas aus seinem Inneren erzählt und uns teilhaben läßt. Während das, was Frauen uns erzählen, nie diesen Grad des Teilhabenkönnens erreicht, weil einfach die Dinge so verschieden aufgenommen wurden. Ich habe auch lange überlegt, ob ich nicht unter einem Männerpseudonym herausgeben sollte. Weil genau diese Form von Lesen nur durch den Vornamen der Autorin auf dem Cover entschieden wird.
B.N.: Gibt es bestimmte Handlungen, Stories, Plots, die bestimmte Gattungen bei Ihnen besetzen, Hörspiel, Theater, Roman - oder was Sie sonst noch so vorhaben?
Streeruwitz: Im Grund genommen denke ich, daß man erst einmal das Medium ernst nehmen sollte und aus dem heraus dann eine Entwickung stattfindet. Die Konzentration auf diese eine Figur ist sicher etwas, was einen Roman nach sich zieht und dem auch interessant macht und möglich macht. Während in einem Theaterstück für mich immer breitere Panoramen und der Umgang von vielen miteinander ein Möglichkeit ist, der man zusehen kann. Und ein Hörspiel hat überhaupt fast alle Möglichkeiten, weil ja hier über diese dünne Form des Hörens eine vollkommene andere Ästhetisierung der Stimme und des Geräuschs zustande kommt, und da läßt sich schon fast alles machen.
B.N.: Sind Sie mit irgendeiner dieser Gattungen fertig - also haben keine Lust mehr darauf?
Streeruwitz: Am fertigsten bin ich mit dem Theater. Und zwar nicht mit dem Schreiben, sondern mit dem Theater, wie es existiert. Als wüstdekadente Männerbastion, in der Frauen mittlerweile nurmehr auf strapstragend reduziert sind. Gehen Sie, auch hier in Hamburg ins Theater, sie bekommen die Frauen nur als Lustopfer auf der Bühne vorgeführt. Und die Kritik beschäftigt sich nicht damit. Der Diskurs des Feminismus ist ja in Mitteleuropa nicht in den allgemeinen Kulturdialog aufgenommen. Es ist ein Glück, wenn man in einem Feuilleton einen feministischen Artikel unterbringen kann. Also wenn zum Beispiel die "Zeit" über meinen Artikel über einen Herrn Schumacher schreibt: "Bekennende Feministin", dann heißt das ja, daß es immer noch als was besonderes gesehen wird, daß eine Frau, es könnte ja auch ein Mann so sehen, meiner Meinung nach, es handelt sich hier nicht um eine Form der Befreiung, die auf Frauen beschränkt ist, Entkolonialisierung ist das Problem - dann denke ich mir, ist etwas sehr falsch mit der Kultur, und es handelt sich, glaube ich, um eine sehr vermiefte Alt-Professoren Kultur, die im Grunde das Abendland endgültig besiegeln wird.
Streeruwitz: Wahrscheinlich, weil mir nichts anderes übriggeblieben ist. Ich glaube, daß wir hier unter einen neuen Rollendruck geraten sind, durch wen immer wir dafür verantwortlich machen wollen: das Patriarchat, das Geld würde ich hier auch ganz stark als Schuldfaktor, als Medium des Patriarchats hineinziehen. Immer wird uns gesagt - selbst in der Frauenbewegung -, wie wir’s machen sollen, und in keiner Weise werden uns die Mittel in die Hand gegeben, es auch zu tun. Deswegen glaube ich, ist die Sichtbarmachung aller Probleme immer noch notwendig. Ich habe den Eindruck, daß es in einer bestimmten publizistischen Öffentlichkeit versucht wird, das Schicksal irgendwie zu leugnen, hinauszukehren, sich davon zu befreien, die Sache als machbar darzustellen. Und gerade für Frauen als machbar darzustellen. Ich möchte das gar nicht kritisieren, aber ich sehe es übrigens auch in einer literarischen Öffentlichkeit wie zum Beispiel des Kitschromans für Frauen. Nun würde ich annehmen, daß das vielleicht eine Motivationsmöglichkeit ist, um zu sagen: Du kannst alles. Also der amerikanische Traum, adaptiert oder heruntergeholt für Frauen. Ich glaube nur, daß das nicht so ist. Es gibt dann immer dieses eine Ereignis im Leben einer Frau, das alles zunichte macht, was frau sich ausgedacht hat und was sie gelernt hat und was sie sich vorgenommen hat. Und damit, finde ich, sollte die Konfrontation aufgenommen werden. Das ist etwas, was ich auch durchaus wütend beschreiben möchte, etwas, was ich auch selber erfahren habe ist, daß man als Frau mit Schicksal alleine ist. Das halte ich für einen im Grunde politischen Vorgang, indem uns Allgemeinheiten geöffnet werden, aber im privaten unser Schicksal so geraten ist, daß wir immer damit hängen werden und so nichts erreichen können.
B.N.: Also das Schicksal im Leben einer Frau sind immer noch die Kinder ?
Streeruwitz: So wie unsere Gesellschaft gebaut ist, sind das die Kinder. Oder was neu ist: die alten Eltern, die alten Verwandten, die dann wieder von Frauen gepflegt werden müssen. Es ist immer Liebesarbeit nach wie vor, die den einfachen und klaren Weg einer steilen Karriere beeinträchtigen, unterbrechen, in eine andere Bahn werfen, wobei ich nicht sagen möchte, daß das Unglück ist. Schicksal ist nicht mit Unglück gleichzusetzen. Aber es ist zu vergleichen mit einem aus der für sich selbst vorgesehenen Bahn Geraten.
B.N.: Helene in dem Roman "Verführungen" hat ganz oft das große Schweigen in sich. Also eigentlich will sie das und das sagen, kommt dann in die Situation, wo sie das und das sagen will, und dann sagt sie es nicht. Statt dessen sagt sie: "Was tue ich eigentlich hier?" oder: "Es ist doch alles egal". Wieso ist in dieser Heldin immer diese große Sprachlosigkeit, dieses Schweigen, dieser weiße Fleck?
Streeruwitz: Oh, das ist so, weil ich mir eine Frau so vorstelle. Hier ging’s um diese Zeit, in der diese Lebenshast besteht, in der die Kinder so viel abverlangen und die Welt rundherum hoffentlich wenigstens freundlich zusieht, während das alles gemacht wird, wenn es schon kaum Solidarität in der Bewältigung dieser Alltagsprobleme gibt, die dann einfach zur Übermüdung führen. Und übrigens die politische Reaktion auf Ohnmacht ist eben Schweigen.
B.N.: Es gibt eine Stelle in dem Roman, wo Helene sagt, sie wisse alles, welche Rolle sie spiele, was sie tun dürfe, was sie nicht mehr tun solle, was jetzt richtig wäre in der Situation. Aber dieses ‘Bescheid-Wissen’ würde nicht helfen. Ich sehe darin auch eine Parallele zu dem, was politisch gelaufen ist in der Frauenbewegung. Man hat erarbeitet, was man tun müßte und was man lassen müßte. Und dann kam man aber doch wieder in den gleichen Schlamassel. Was jetzt aber vorgeht, ist: Man vergißt zu wissen, was man schon einmal herausgekriegt hatte. Man hat es nicht getan, aber man weiß es auch nicht mehr.
Streeruwitz: Das ist auch wieder ein Sprachproblem: Weitergabe von Informationen von Generation zu Generation. Das bedarf ja einer besonderen Erzählform, die auch gehütet und gefördert werden müßte, und was ich sehe, ist, daß die Generation in den 60ern oder in den 70ern, in denen die Frauenbewegung wirklich zur Höhe gekommen ist, ein Bewußtsein von Befreiung entwickelte, das gerade für sie gegolten hat, aber es entstand nie ein Bewußtsein für Freiheit. Eines, das man weitergeben könnte. Es wurden die BHs ausgezogen und verbrannt, und die Töchter tragen heute Spitzen-BHs und Reizwäsche. Und da frage ich mich, was ist da passiert, diese Frauen haben’s ja ernst gemeint. Das geht offenbar nicht. Und das liegt nicht an einzelnen Frauen, sondern das ist etwas, was in der Sprache einer Gesellschaft passiert. Es ist nicht möglich gewesen, weiterzugeben, daß der weibliche Körper so sein darf, wie er ist.
B.N.: Sie haben in einem Interview gesagt, ihr Ziel sei es, das Unaussprechliche auszusprechen. Was meinen Sie damit?
Streeruwitz: Es geht darum, daß Unaussprechliches zumindest einmal beschrieben werden muß. Ob es nun gesagt werden kann, ist noch eine andere Frage. Aber ich glaube zum Beispiel, daß die Frage, ob Kinder in der Literatur existieren können, ohne daß es Kitsch ist, daß es eine Dichte entwickelt hat, daß das schon einmal gelungen ist. Ich habe eigentlich nie in der Literatur - und ich bin eine von diesen Frauenspersonen, die so wahnsinnig viel gelesen haben als Mädchen und als junge Frau -,und ich hab das nie gelesen, und deswegen hab ich mir das selbst geschrieben.
B.N.: Ihre Sprache ist sehr schnell. Ich habe das auch sehr schnell gelesen, ich habe manchmal wie gehetzt über die Seiten gelesen, und dann hab ich mich zur Ordnung gerufen: Du mußt das mal bißchen sorgfältiger lesen. Man liest das ganz schnell und kommt plötzlich in die Situation dieser Frau, die auch so gehetzt ist.
Streeruwitz: Sprache hier ist die adäquate Form für den Inhalt. Das ist Hast. Das ist Atemlosigkeit. Das ist Angst und Enge. Das ist einfach die Form von Griff auf die Wirklichkeit, den ich über viele Jahre Schreiben entwickelt habe. Und ich bin auch sehr glücklich mit diesem Buch. Natürlich glaube ich, daß genau dieses Buch so stimmt - also Inhalt und Form - und daß für die nächsten Projekte die Lösung eine Spur modifiziert werden muß, was übrigens auch ein großes Problem ist.
B.N.: Für Sie, sich umzustellen?
Streeruwitz: Das ist ja keine Umstellung, die Frage ist, der Inhalt nimmt ja eine bestimmte Form an, und wie sieht das nun im Ausdruck aus, wie steht das auf der Seite, das ist das Problem an der Sache, und da habe ich im Augenblick das Problem mit Rückblende, weil ich die nicht richtig finde, aber brauche sie für das neue Projekt, und da ist die Frage, wie löse ich das, daß es eben nicht diese Form ist. Diese Form von Sprache ist ja eine Möglichkeit, dem Fluch als Autorin Dinge vorzugeben, also auch wieder dominant aufzutreten, zu entkommen. Für mich ist ein großes Problem die Autorenposition, die ja im Männerroman, ja nun, wir kennen den allwissenden Erzähler, das ist etwas, das hat mich schon als Mädchen aufgeregt, dieses mir genau sagen, wie die Welt ist und sein soll. Und dem zu entkommen, war eigentlich meine ganze Arbeit gewidmet. Und ich glaube, daß hier jeder Leser, jede Leserin eingesetzt wird in die Stelle der Autorenperson und von daher den Blick auf die literarische Figur entwickelt beziehungsweise diese begleitet. Ich mache nichts, was Sie jetzt zwingt, meinen Standpunkt als Autorin zu übernehmen, sondern Sie entwickeln Ihren. Wenn da ein Tisch ist, dann ist das Ihr Tisch. Den stellen Sie sich dann vor. Ich meine, außerhalb von der Geschichte gibt’s nichts, womit ich Sie bedrängen würde. Und das ist zum Beispiel mit der Rückblende, die ja ein literarisches Mittel ist, das sehr gesetzt und sehr künstlich ist, etwas womit ich große Probleme habe, weil ich hier als Autorin mit einer Dominanz auftrete, die mir eigentlich nicht recht ist.
B.N.: Bei "Lisa’s Liebe" ist mir aufgefallen, daß Sie auf dem Cover abgebildet sind. Andererseits wollen Sie doch nicht, daß die Leute denken, Sie schreiben Ihre eigene Geschichte. Aber das drängt sich ja sofort auf. Wenn hier vorn draufsteht: "Lisa’s Liebe", und da sind Sie abgebildet?
Streeruwitz: Das ist jetzt die Antwort auf die Frage nach der Autobiographie, weil "Lisa’s Liebe" unter gar keinen Umständen meine sein kann. Deswegen finde ich es besonders lustig, da meine Jugendfotos draufzugeben. Im übrigen ist es auch ein Spiel. Es ist so wie eine Performance. Die Frau, die noch so spät zu literarischen Ehren kommt, wie das bei mir der Fall ist, und von der Öffentlichkeit immer beschrieben. Da wird immer mein Alter herangezogen, um mir klar zu machen, daß ich mich sehr glücklich fühlen sollte, daß ich noch was zusammengebracht habe. Daß ich schon 25 Jahre schreibe, ist irgendwie etwas, das untergeht im Rahmen dieser Dinge, und sehr genau weiß, wann etwas richtig ist und wann nicht. Und es war eben ... bis zu einem bestimmten Zeitpunkt war’s eben ein Schreibenlernen, und ich find das einfach komisch und einfach rührend, und ich dachte mir auch, Lisa braucht ein Bild, weil sehr viele Fotos drinnen vorkommen, und ich wollte Lisa jetzt nicht einer Schauspielerin oder einer gezeichneten Figur überantworten, sondern ich hab’s einfach jetzt gleich selber gemacht. Ich habe im übrigen kein Problem damit, daß Autobiographisches gesehen werden könnte, weil ich nicht glaube, daß eine Künstlerin oder ein Künstler der Postmoderne überhaupt etwas anderes als sich selbst zum Material hat. Also ich kann eben nicht zu dieser gottähnlichen Figur in mir greifen und etwas erfinden, was mir nicht zur Hand ist. Und das sind natürlich immer Dinge, die ich kenne, die ich erlebt habe, oder die andere erlebt haben, die ich gelesen habe. Also alles was mich betrifft, weil ich das Wahrnehmungszentrum bin, aus dem heraus dann auch diese Literatur entsteht. Nur: Das wogegen ich mich wehre, ist, daß in Frauenfällen Literarisch-Biographisches immer zur Verminderung genommen wird. Man sagt, es ist ein Bekenntnisroman, es ist ein therapeutischer Roman, und das lehne ich vollkommen ab. Weil das immer von einer bestimmten Richtung eingesetzt wird, die Sache zu verkleinern.Kein Mann hat mehr, als sich selbst zu beschreiben. Und im übrigen, die wälzen sich ja geradezu in Autobiographischem, das wird auch von der Kritik immer lobend erwähnt, beziehungsweise als ein Ereignis, in dem ein Mann uns etwas aus seinem Inneren erzählt und uns teilhaben läßt. Während das, was Frauen uns erzählen, nie diesen Grad des Teilhabenkönnens erreicht, weil einfach die Dinge so verschieden aufgenommen wurden. Ich habe auch lange überlegt, ob ich nicht unter einem Männerpseudonym herausgeben sollte. Weil genau diese Form von Lesen nur durch den Vornamen der Autorin auf dem Cover entschieden wird.
B.N.: Gibt es bestimmte Handlungen, Stories, Plots, die bestimmte Gattungen bei Ihnen besetzen, Hörspiel, Theater, Roman - oder was Sie sonst noch so vorhaben?
Streeruwitz: Im Grund genommen denke ich, daß man erst einmal das Medium ernst nehmen sollte und aus dem heraus dann eine Entwickung stattfindet. Die Konzentration auf diese eine Figur ist sicher etwas, was einen Roman nach sich zieht und dem auch interessant macht und möglich macht. Während in einem Theaterstück für mich immer breitere Panoramen und der Umgang von vielen miteinander ein Möglichkeit ist, der man zusehen kann. Und ein Hörspiel hat überhaupt fast alle Möglichkeiten, weil ja hier über diese dünne Form des Hörens eine vollkommene andere Ästhetisierung der Stimme und des Geräuschs zustande kommt, und da läßt sich schon fast alles machen.
B.N.: Sind Sie mit irgendeiner dieser Gattungen fertig - also haben keine Lust mehr darauf?
Streeruwitz: Am fertigsten bin ich mit dem Theater. Und zwar nicht mit dem Schreiben, sondern mit dem Theater, wie es existiert. Als wüstdekadente Männerbastion, in der Frauen mittlerweile nurmehr auf strapstragend reduziert sind. Gehen Sie, auch hier in Hamburg ins Theater, sie bekommen die Frauen nur als Lustopfer auf der Bühne vorgeführt. Und die Kritik beschäftigt sich nicht damit. Der Diskurs des Feminismus ist ja in Mitteleuropa nicht in den allgemeinen Kulturdialog aufgenommen. Es ist ein Glück, wenn man in einem Feuilleton einen feministischen Artikel unterbringen kann. Also wenn zum Beispiel die "Zeit" über meinen Artikel über einen Herrn Schumacher schreibt: "Bekennende Feministin", dann heißt das ja, daß es immer noch als was besonderes gesehen wird, daß eine Frau, es könnte ja auch ein Mann so sehen, meiner Meinung nach, es handelt sich hier nicht um eine Form der Befreiung, die auf Frauen beschränkt ist, Entkolonialisierung ist das Problem - dann denke ich mir, ist etwas sehr falsch mit der Kultur, und es handelt sich, glaube ich, um eine sehr vermiefte Alt-Professoren Kultur, die im Grunde das Abendland endgültig besiegeln wird.