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Immer mehr junge Bosnier lernen Deutsch

In Bosnien und Herzegowina ist ein Studium noch lange keine Garantie für eine Arbeitsstelle. Deshalb wollen viele junge Bosnier weg aus dem Land. Ihr Ziel: Deutschland oder Österreich. Das spürt auch das Goethe-Institut in Sarajevo. Hier wollen so viele junge Leute Deutsch lernen, dass kaum noch Räume für den Unterricht übrig sind.

Von Nadine Thielen | 01.11.2013
    "Jetzt haben wir vorher uns die Konjugationen bevor, während und nachdem angeguckt, ne? Ähm. Jetzt haben wir hier so einen zeitlichen Ablauf. Wie könnte man das verbinden mit den Konjugationen? Habt ihr da Beispielsätze?"

    In dem Raum, in dem Dorothee Baumann Deutsch unterrichtet, hallt es. Der Raum hat keine Tür. Er liegt im Untergeschoss. Eine Treppe führt von der Haustür direkt hierher. Ursprünglich stand hier eine Garderobe. Jetzt sind die Kleiderstände weggeräumt. Alles ist weiß: Die Wände, die zwei Tische, die den Raum ganz füllen. Sogar die Tafel. Fenster gibt es nicht. Nina und Suleiman sowie Sabina und Irdin sitzen an den Tischen. Vor ihnen steht Dorothee Baumann.

    "Der Nebensatz ist in einer anderen Zeitform als der Hauptsatz. Ok, super."

    Hier, im Goethe-Institut in Sarajevo, sitzen Nina, Suleiman, Sabina und Irdin um Deutsch zu lernen. Eigentlich sind die Räume im Goethe-Institut größer. Es gibt Fenster und jeder Raum hat einen Beamer. Weil mehr junge Leute Deutsch lernen wollen, als es Räume gibt, sitzen die vier mit ihrer Lehrerin jetzt in der Garderobe. Sie schauen zu, wie Baumann bunte Zettel an die weiße Tafel klebt. Die Schüler sollen einen Ausflug an die Wasserfälle und einen Winterbasar planen. Dabei müssen sie Nebensätze benutzen. Mit Grammatik hat Irdin eigentlich nicht viel zu tun. Er studiert Informatik in Bosnien und Herzegowina. Noch. Bald will er nach Österreich:

    "Ich lerne Deutsch, weil ich Masterstudium in Österreich wollte gehen. Weil ich habe dort mein Liebe. Österreich ist besser, weil der System ist besser. Also, wir finden mehr Möglichkeiten in Österreich."

    Neben ihm sitzt Sabina. Sie ist Juristin. Dank eines Stipendiums kann sie bald in Düsseldorf promovieren. Sie schaut zur Tafel, genau wie Suleiman. Er geht noch zur Schule. Wenn er seinen Abschluss hat, will er in Frankfurt studieren. Sein Vater lebt schon dort. Alle, die hier im Deutschunterricht sitzen sind gut ausgebildet. Trotzdem wollen sie ihre Heimat verlassen. Die Deutsch-Lehrerin Dorothee Baumann lebt in Sarajevo. Tag für Tag erlebt sie die Sorgen der jungen Bosnier:

    "Die Arbeitslosenquote ist extrem hoch gerade unter jungen Menschen. Das Bildungssystem ist eigentlich mehr ne Anstalt für Beschäftigungstherapie. Also, es heißt einfach nicht, wenn man studiert hat, dass man danach auch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat."

    Seit dem Krieg in Bosnien vor zwanzig Jahren hat sich die Situation kaum gebessert. Das spüren auch die vier, die hier Deutsch lernen: Die Wirtschaft steht still. Die politischen Parteien blockieren sich gegenseitig. Das Land versinkt in Vetternwirtschaft und Korruption. Dorothee Baumann:

    "Dann besteht natürlich immer die Gefahr, ohne Kontakte kann man, wenn man zum Beispiel ein Produkt oder im IT-Bereich was arbeiten will, kommt man erst Mal gar nicht an Kunden ran, weil einfach alles schon so sehr festgefahren ist. Und gleichzeitig ist natürlich auch so, dass viele – das ist noch ne ganz andere Ebene – dass eben auch viele Grundstücke, dass die Besitzverhältnisse nicht geklärt sind. Sodass es eben auch sehr sehr schwierig ist sich örtlich hier festzulegen."

    Also legen sich viele auf Deutschland oder Österreich fest. Nina und Suleimann sowie Sabina und Irdin haben sich über die Schulhefte vor ihnen gebeugt. Sie schreiben Sätze in die Zeilen. Mit diesen Sätzen wollen sie weg aus Bosnien und Herzegowina. Dorthin, wo sie sich etwas aufbauen können. Nur Nina überlegt noch. Während sie schreibt, legt sie ihre Stirn in Falten. Sie stockt. Hebt den Stift. Dann setzt sie ihn wieder aufs Papier. Nina ist eine ausgebildete Psychologin. Und sie hat Arbeit: Sie lehrt Psychologie an der Universität.

    "Ich bin Ausnahme, weil es generell sehr schwierig ist für die Leute –
    junge Leute hier Arbeit zu bekommen, ja."

    Trotzdem überlegt Nina manchmal wie es wäre nach Deutschland zu gehen. Sie könnte ihre Doktorarbeit dort schreiben. Vielleicht dort leben. Jetzt aber schauen ihre Augen auf das Schulheft. Mit dem Zeigefinger fährt sie über die Zeilen. Sie liest ihren letzten Beispiel-Satz vor:

    ""Bevor Sie Tombola machen, ähn, machst du einen Raum anmieten.
    – Musst du!
    Musst du einen Raum anmieten"

    Mittlerweile ist es neun Uhr am Abend. Der Unterricht ist gleich zu Ende. Die Schüler haben einen langen Tag hinter sich. Trotzdem: Keiner zappelt ungeduldig auf seinem Stuhl. Eines ist allen klar: Deutsch Lernen, das ist hier mehr als Unterricht. Es ist endlich eine Perspektive für die Zukunft.

    "Gut, dann sehen wir uns am Freitag um sechs. Bis dann."