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Immer mehr Teenager in Frankreich halten sich an die Regeln des Ramadan

Die Unruhen in einem Pariser Vorort haben schlagartig deutlich gemacht, wie groß die sozialen Spannungen unter den Jugendlichen in den so genannten Banlieues wirklich sind. In diesen verelendeten Vororten, in denen Zuwanderer-Familien aus vornehmlich arabischen Ländern längst in der Mehrheit sind, herrschen Kriminalität und Gewalt, Orientierungs- und Perspektivlosigkeit. Vor diesem Hintergrund wenden sich immer mehr Jugendliche dem Islam zu – was sich besonders im Ramadan zeigt. Margit Hillmann berichtet.

    "Weil ich Moslem bin, und es Vorschrift ist, mache ich den Ramadan. Den Ramadan muss man machen. Ich verstehe die Muslime nicht, die sich nicht an die Regeln halten, Alkohol trinken und so. Das ist eine Schande, das ist Sünde."

    Nabil, ein Teenager aus dem 11. Pariser Arrondissement, der sich mit muslimischen Freunden an einer Straßenecke in der Rue Jean-Pierre Timbaud unweit der Moschee trifft, ist davon überzeugt, dass ein Moslem keine Wahl hat. Er muss den Geboten des Korans gehorchen. Deswegen mache er schon seit seinem 12. Lebensjahr regelmäßig den Ramadan, sagt er. Und dann, übergangslos - als wäre das Eine nicht vom Anderen zu trennen - spricht er von Rassismus und von der Polizei, die Muslime verfolge und sie bei jeder Gelegenheit erniedrige.

    "Nabil beschwert sich"

    Nabil gehört zu einer neuen Generation von jungen Muslimen, die sich – anders als ihre Eltern und Grosseltern - durch ihren Glauben bewusst unterscheiden wollen vom Rest der französischen Gesellschaft. Islamische Glaubenstraditionen gelten heute bei vielen muslimischen Teenagern Frankreichs als "chic", sind "in". Waren es früher gläubige Eltern, die ihre Kinder zum Fasten angehalten haben, so sind es neuerdings oft die Jugendlichen selbst, die fasten wollen.
    Wie zum Beispiel die 11-jährige Wardia, Enkelin algerischer Einwanderer. Sie wollte die Gebote des Fastenmonats befolgen und, trotz Schule, tagsüber weder essen noch trinken. - Zum Erstaunen ihrer Eltern, die sich selbst nicht an die religiösen Fastengebote halten. Wardias Mutter, Tassadid Miloudi:

    "In diesem Jahr kam meine Tochter mit einem Papier von der Schule. Ich sollte unterschreiben, dass ich damit einverstanden bin, dass meine Tochter mittags nicht in der Schulkantine isst, also den Ramadangeboten folgt. Aber ihr Vater und ich haben ihr gesagt, dass es nicht in Frage kommt und dass wir das Papier nicht unterschreiben."

    Wadias Mutter findet nicht nur, dass ihre Tochter zu jung ist für die strengen Auflagen des Ramadan und dass Konzentration und Leistungen in der Schule vorgehen. Die Muslimin, die nicht praktiziert aber "an Gott glaubt", stört auch, dass sich der Ramadan zu einer Art provokanten Mode für muslimische Einwandererkinder entwickelt, zum Aushängezeichen einer ethnischen Gruppe der französischen Gesellschaft, die "beurs" - Araber, wie sie sich selbst nennen.

    "Heute machen Jugendliche immer öfter den Ramadan. Der Ramadan ist Thema in ihren Vierteln, in der Schule. Ich habe den Eindruck, es ist zu einer richtigen Mode geworden. Das gilt natürlich nicht für alle. Aber ein großer Teil der Jugendlichen machen jetzt mit 13, 14 Jahren den Ramadan, nicht weil sie glauben, sondern weil sie Araber sind, aus einer muslimischen Familie stammen."

    Jamina Kerri, Mutter einer dreizehnjährigen Tochter hat den gleichen Eindruck. Der Ramadan sei auch in ihrem Viertel zu einem regelrechten Modephänomen avanciert.

    "Es ist die große Mode. Ihre Freundinnen – alle machen den Ramadan. Alle ihre Freundinnen bei uns im Viertel sind kleine "Beurette", kleine Araberinnen. Und weil meine Tochter auch arabisches Blut hat – mütterlicherseits - macht sie auch den Ramadan."

    Jamina Kerri lässt ihre Tochter die Erfahrungen machen. Sie hat nichts dagegen, dass sich die 13-Jährige neuerdings für den Islam interessiert, auch mal in die Moschee geht, den Koran liest oder den Fastengeboten des Ramadan folgt. Sie sucht sich, sagt Jasmina verständnisvoll, sucht ihren Platz in der Gesellschaft. Allerdings setzt die Mutter auch Grenzen.

    "Ich sag mir aber auch, dass es nicht zu weit gehen darf. Wenn meine Tochter anfangen würde, sich anders zu kleiden, ein Kopftuch tragen und so weiter, dann würde ich doch die Zügel anziehen."