Sie ist eine Auratikerin, eine Beschwörerin des sich dehnenden Augenblicks. Die Gesichter von "Nora", "Franziska" oder "Hedwig" sind keine Portraits: die Erfassung von Charakter und Persönlichkeit interessiert Cornelia Schleime kaum. Die Gesichtsflächen sind mit breitem Pinsel fast expressiv gemalt, mit kühl glühenden, etwas kränklich wirkenden Farben. Doch aus diesen Gesichtern leuchten geradezu übernatürlich betonte Augen und Lippen hervor, und dieses Prinzip verfolgt Schleime in jedem Gesicht so konsequent, dass sie mehr einer Logik des Seriellen zu folgen scheint: Man kann sich von diesen Bildern vereinnahmen, einsaugen lassen wie von Ikonen, Meditationsbildern, bei denen man sich ja auch immer auf ganz bestimmte Attribute konzentriert. Die großen blauen Augen und die vollen, oft leicht geöffneten und feuchtglänzenden Lippen verkünden natürlich weniger eine sakrale, denn eine ganz profane Religion: nicht von ungefähr bedient sich Schleime immer wieder alter Fotos, Filme oder Zeitungsbildern als Vorlage. Eine seltsame Reminiszenz auf die Pop Art hat sich so mit einer klassisch anmutenden Malerei verbunden. Was ganz ähnlich der Leipziger Maler Neo Rauch mit seinen ironischen Zitaten von sozialistisch-realistischem Agitprop als Landschaftsmalerei verfolgt, das konzentriert die Berlinerin Schleime in ihren Gesichtern. Allerdings greift sie dabei viel weiter als Rauch über die Ikonografie des Sozialismus hinaus. Gesichter und Geschichte, persönliche Bilderwelt gehören vielleicht enger zusammen. Wie Neo Rauch wuchs die 1953 in Ostberlin geborene Schleime in der DDR auf, lag allerdings im Gegensatz zum 11 Jahre jüngeren Leipziger immer überkreuz mit dem offiziellen Kunstbetrieb. Jedem, der es hören will, erzählt sie heute gern, dass sie eigentlich als Friseuse, Maskenbildnerin und Pferdepflegerin begonnen habe, wobei zumindest die ersten beiden Tätigkeiten schon eine gewisse Nähe zu ihrem heutigen Interesse an auratischen Gesichtern verraten. Sie studierte seit 1975 Graphik und Malerei in Dresden, betätigte sich aber vor allem als Performancekünstlerin, Aktmodell und später auch als Punksängerin, was ihr zunächst ein Ausstellungsverbot eintrug, unter anderem deshalb, weil sie sich bei Kunstaktionen nackt in Stacheldraht einwickelte, was ihr als Systemkritik ausgelegt konnte. Nach ihrer Übersiedelung nach West-Berlin 1984, die eine schnelle Desillusionierung bezüglich der westlichen Kunstszene nach sich zog, vollzog sich ein schroffer Wandel in ihrer Kunst: von der freizügigen Perfomance-künstlerin wurde Schleime zur Malerin, betonte damit eine Traditionalität der Mittel und Sujets, die im Westen damals völlig verpönt war und lag somit wieder einmal überkreuz mit dem Kunstbetrieb. Und tatsächlich erklärt sie diesen Wandel heute auch so, dass sie sich auf diese Weise gegen den marktgängigen Opportunismus im Westen behaupten musste: Performances machte jeder. Sie aber malte Bilder, die formal und inhaltlich ihre eigene Geschichte zurückholten und insofern etwas völlig Eigenes, Inkommensurables hatten. Der neue Aufschwung von Malerei nach der Wende ihrer Rezeption sehr zugute. Wie sehr sie zwischen den Stühlen saß, zeigte zu der Zeit eine Wiederbegegnung mit alten Kollegen, die ihr vorwarfen, sich dem Westmarkt ebenfalls zu sehr angepaßt zu haben. –Sozialistisches spielt in dieser Ausstellung nur auf wenigen Bildern eine Rolle, etwa bei der "Kommissarin" von 2002: Wieder ein expressiv modellierter Kopf mit großen blauen, verträumten Augen und vollen Lippen, bei streng gescheiteltem Haar. Nicht gerade der Inbegriff einer Kommissarin, eher eines Supermodels, das Uniformmode präsentiert. Die Uniform selbst, wie überhaupt Kleidung und Umgebung bei Cornelia Schleime, ist nur skizzenhaft angedeutet. Oft streicht sie auch Schellack und Asphaltlack auf die stumpfe Acrylfarbe, um den Glanz der Oberfläche zu erhöhen, aber auch, weil sich der Lack in die Farbe frißt und den Bildern so das Aussehen alter, stockfleckiger Fotos geben oder als ob die gemalten Personen von Hautausschlag entstellt wären. Oft verarbeitet Schleime die auratischen Portraits früherer Kunstepochen mit ihrem Verfahren einfach noch einmal neu. Seit drei Jahren sind auch Nonnenbilder entstanden, die ganz ähnlich wie die "Kommissarin" mit dem Gegensatz von Strenge bzw. Uniform und sinnlichem Gesicht spielen. Auch hier wieder der Effekt, als hätten sich ein paar Zeitschriftenstars zum Gag als Nonnen verkleidet, aber für Schleime steckt auch der Gedanke an die eigene, katholisch geprägte Kindheit dahinter, was für DDR-Verhältnisse auch eher zu den Seltenheiten gehört. Schleimes Nonnen sind nichts anderes als zeitgenössische Ikonen. Und jetzt hat Schleime auch noch den Papst gemalt – allerdings nicht mit schönen blauen Augen und sinnlichen Lippen. Nein, dem Papst gebührt Sonderbehandlung, denn mit all seinen öffentlichen Inszenierungen ist für Schleime selbst der berühmteste Popkünstler überhaupt. Durch zu Ringen gekrümmten Fingern blickt er angestrengt auf das Laienvolk, fast wie ein Schelm, in dessen Gesicht sich aber die Verhärmungen des Alters zeigen. Ein körperliches Wrack, dass das Ewige Leben medial zelebriert. Cornelia Schleime hat sich ihrer Geschichte immer mit Verve gestellt.
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Immer noch Ostkunst?
Frauen sehen dich an. Gemalt auf großformatige Leinwände scheinen ihre Blicke den Betrachter zu fixieren, mit einer enigmatischen Leere, die zeitloses Warten ausdrückt. Es wäre voreilig, Cornelia Schleime eine Portraitistin zu nennen, auch wenn auf ihren Gemälden in der alten, zur Galerie des Museums Junge Kunst umgebauten Rathaushalle von Frankfurt/Oder überwiegend Köpfe zu sehen sind.