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Immer noch zu dünn

Vor zweieinhalb Jahren ging durch die internationale Modewelt ein Ruck, als Spanien ein Mindestgewicht für Models vorschrieb und Italien mit einem selbstverpflichtenden Protokoll gegen Hungerhaken auf dem Laufsteg folgte. Was ist daraus geworden?

Von Kirstin Hausen |
    "Das Schönste an Frauen ist ihre Weiblichkeit, ihre Sinnlichkeit","

    … sagt kein geringerer als Giorgio Armani, der unbestrittene König der Mailänder Modeszene. Weibliche Kurven allerdings scheinen für ihn nicht zur Weiblichkeit zu gehören.

    Wenn in Mailand die Models über den Laufsteg staksen, ernten sie bewundernde Blicke. Auch wenn manche dieser klapperdürren Geschöpfe eher Mitleid erregen sollten. Bleistiftbeine statt Bleistiftröcke, dazu schmale Hüften und gut sichtbare Schulterknochen - das sind heute die Idealmaße für die Modenschauen.

    Wer in der Modestadt Mailand durch die Straßen bummelt, kann immer wieder junge Mädchen beobachten, denen die Stiefelschäfte um die Knie schlackern, so dünne Beine haben sie.

    "Das ist Veranlagung", sagt Marina mit schnippischem Blick. Sie ist 1 Meter 75 groß und wiegt etwa 50 Kilo, so genau wisse sie das gar nicht. Wer für die besonders schlanke Linie hungert, gibt es oft nicht zu. Auch nicht die Models, die während der Mailänder Modewochen die Stadt bevölkern.

    " "Wir essen eben viel Obst und Gemüse."

    Es gibt aber auch kritische Stimmen in der Modewelt. Mario Boselli, Präsident der Mailänder Modekammer, ist ein älterer Herr. Er hat miterlebt, wie die Models seit den 80er-Jahren immer dünner wurden.

    "Anorexie ist keine Krankheit, die der Modesektor verursacht. Das Thema ist komplexer, aber die Modewelt sollte keine Schönheitsideale verbreiten, die die Verbreitung dieser Krankheit fördern. Das ist kontraproduktiv. Auch wirtschaftlich gesehen. Wenn Modehäuser nur bis Größe 38 produzieren, dann lassen sie einen Großteil der Kundschaft außer Acht."

    Seit zwei Jahren eröffnet Mailand seine Modewoche mit einer Schau der üppigeren Art. Als Zeichen gegen die Magermodels, sagt Mario Boselli.

    "Wir haben mit einem Tabu gebrochen. Wir hier in Mailand waren die Ersten und die Einzigen weltweit, die die Auftaktveranstaltung der Modewoche einer Marke gewidmet haben, die Designermode in Übergrößen verkauft. Die Models waren dementsprechend ausladend."

    "Dick" urteilten die meisten Designer unbarmherzig und vermieden es, diese Models ebenfalls zu buchen. So geht im Grunde alles weiter wie bisher, trotz des Protokolls, das Mario Boselli im Namen der italienischen Designer 2007 unterzeichnet hat.

    "Im Dez 2007 haben wir mit der damaligen Ministerin ein Protokoll unterschrieben, das besonders dünne Models vom Laufsteg verbannt. Der Body-Mass-Index war ein Kriterium, aber nicht das einzige. Es ist keine gesetzliche Norm, das heißt, wir sind auf die freiwillige Mitarbeit der Modehäuser angewiesen. Um sie an ihre Selbstverpflichtung zu erinnern, verschicken wir jeweils vor den Modewochen einen Brief, in dem wir auf das Problem und das unterzeichnete Protokoll aufmerksam machen und die Verantwortlichen einladen, auf allzu dünne Models zu verzichten."

    Es funktioniert mehr schlecht als recht, gibt Mario Boselli zu. Die Modekammern der verschiedenen Länder können sich nicht einigen.

    "Wir haben versucht, einen weltweit einheitlichen Kodex für die Auswahl der Models bei den Modeschauen durchzusetzen, aber wir haben es nicht geschafft. Schon die Altersgrenze, die in Mailand bei 16 Jahren liegt, variiert. Und auch was die medizinischen Kontrollen betrifft, sind wir auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen. Das ist sehr schade."

    Er klingt resigniert, der Präsident der Mailänder Modekammer. Neue Impulse in der Diskussion um die Magermodels sind aus Mailand eher nicht zu erwarten.