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Immer wieder Pakistan

Immer noch bemühen sich NATO und afghanische Armee, verbliebenen Taliban und Al-Kaida-Kämpfer aufzuspüren. Nach der jüngsten Offensive zeigen die afghanischen Provinzgouverneure mal wieder mit dem Finger auf den Nachbarn, und weisen Pakistan die Schuld zu. Pakistan mit seinen Stammesgebieten sei ein Brutstätte für islamistische Terroristen. In Pakistan wehrt man sich gegen diesen ständigen Vorwurf vehement.

Von Marc Thörner |
    "Auf der pakistanischen Seite der Grenze haben wir überall Truppen stationiert. Die Aufständischen können sich bei uns nicht frei bewegen. Wo immer sie ihre Köpfe heben, werden sie von uns aufgespürt, eingekreist und getötet. "

    Im Hauptquartier der pakistanischen Armee in Rawalpindi, einige Hundert Kilometer Luftlinie von der Grenze zu Afghanistan entfernt, ist man des Vorwurfs müde, Pakistan gewähre den Taliban einen "sicheren Hafen" . Armeesprecher Generalmajor Shaukat Sultan spielt den Ball nach Kabul zurück.

    "Das Problem liegt eher auf der anderen Seite, in Afghanistan. Das ist ein riesengroßes Land. Die ISAF-Truppen an der Grenze haben eine Stärke von rund 15.000 Mann. "

    Die afghanische Armee steckt noch in den Kinderschuhen, sie ist klein und nicht sehr gut organisiert. Die Aufständischen haben dort sehr viel Bewegungsfreiheit, es ist gut möglich, dass sie ihre Basen dort weiter unterhalten.

    Auf der afghanischen Seite, steht Shaukat Sultans Kollege Robert Rockwell vor einer Generalstabskarte. Der Nachrichtenoffizier gehört zur Task Force Currahee, einem aus Panzeraufklärern, Gebirgsjägern und Infanteristen gemischten Verband, der im Rahmen der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF die Grenzregion kontrollieren soll.

    "OK, ich sage nicht, dass die Angaben der Pakistanis grundsätzlich falsch sind. Sie haben oft versucht ihre Möglichkeiten auszuschöpfen und so gut zu arbeiten wie sie können. Aber das Problem sind die Stammesgebiete. Die Stämme haben eben eine außerordentlich hohe Autonomie, praktisch können sie tun und lassen was sie wollen. Das Einzige, was die pakistanische Regierung drüben wirklich kontrolliert, sind die Überlandstraßen und einige Knotenpunkte. Was in den Städten vor sich geht, ist Sache der Stämme. Eine Kontrolle seitens der pakistanischen Regierung ist dort ja nicht mal vorgesehen."

    Unweit von Robert Rockwells Stabsgebäude, in Camp Salerno, der ISAF-Basis rund 50 Kilometer von Pakistan entfernt, haben sich die Kommandeure der dort stationierten US-Truppen, der afghanischen Armee und die Gouverneure der afghanischen Grenzprovinzen versammelt. Auch ein Beamter des US-Außenministeriums ist anwesend. Es geht um eine Bestandsaufnahme: Wie steht es um Aufbau und Sicherheit an der Grenze, im Jahre sieben nach der ISAF-Stationierung?
    Vor dem hochkarätig besetzten Auditorium beteuern die von Präsident Karzai ernannten afghanischen Provinzchefs, wie gut die Dinge gerade in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich stehen. Und alles werde täglich besser, sagt der Gouverneur von Ghazni.

    "Die Bevölkerung akzeptiert die Regierung und arbeitet auf friedliche und gewaltlose Art an unseren Konzepten mit. Unser Rechtssystem ist solide und macht ständig weitere Fortschritte."

    Hinter den Kulissen verhehlen die Gouverneure ihre Enttäuschung über die schleppende Entwicklung und die schlechten Sicherheitsbedingungen nicht. Ebenso wenig verhehlen sie, wen sie dafür verantwortlich machen. Die Behauptung der pakistanischen Armee man habe die Lage an der Grenze voll im Griff, reizt Abdallah Wardak, den Gouverneur der Provinz von Logar bis zur Weißglut.

    "Das sind Lügner. Sogar ihre Religionsgelehrten sind keine echten Religionsgelehrten. Manche von ihnen sind Generäle in der pakistanischen Armee. Es gibt keinen Zweifel, dass die Aufständischen aus Pakistan über die Grenze zu uns kommen. Pakistan hat seine eigene Strategie. Es will kein befreites Afghanistan mit einer guten Regierung als seinen Nachbarn haben. Die Pakistanis wollen, dass wir mit unseren Problemen beschäftigt bleiben. Wenn wir unsere eigenen Schulen, Ingenieure und Ärzte haben, wenn wir uns selbst helfen können, dann kann Pakistan bei uns keine Geschäfte mehr machen "

    Die afghanische Grenzstadt Khost, an deren Rand der US-Stützpunkt Camp Salerno liegt, gilt als Hochburg der Taliban. Ein freundlicher, von Äckern, Wiesen und kleinen Märkten geprägter Ort im Schatten der umliegenden Berge. Nichts erinnert daran, dass Osama Bin Laden Ende der 90er Jahre hier sein lokales Hauptquartier besaß. In Khost verkündete der al Kaida-Chef 1998 die Gründung einer 'Internationalen Front zum Kampf gegen die Juden und die Kreuzritter'.

    Heute unterhalten die neuen Taliban hier ein gut organisiertes Netzwerk. Amerikanisch aussehende Ausländer, meint Mohammed Khan, Leiter des Lokalradios von Khost, sollten sich - wenn sie sich schon in der Stadt aufhalten - nicht länger als fünf Minuten an einem Platz verweilen. Und mit einem westlichen Ausländer gesehen zu werden sei für einen Afghanen genauso gefährlich. Deshalb fährt er seinen Gast lieber im Auto durch die Stadt. Dass die ISAF aus humanitären Gründ hier sei, nimmt er ihr nicht ab.

    "In Wirklichkeit gibt es doch eine politische Agenda. Immer, wenn Truppen Länder besetzen, die ihnen nicht gehören, geben sie der Aktion einen anderen Namen. Afghanistan ist ein geostrategisches Ziel, für das sich die ganze Welt interessiert. Die USA haben schon die Macht über viele Länder. Natürlich wollen sie auch diese wichtige Region unter Kontrolle bringen. "

    Wenn die Taliban hier in der Gegend Zulauf hätten, dann liege das daran, meint Mohammed Khan, dass die ISAF-Truppen aus Sicht der Menschen hier die Zivilbevölkerung missachteten.

    Erst die eigenen Interessen. Erst die Sicherheit des ausländischen Militärs. Dann die Interessen des zivilen ISAF-Personals. Und dann, mit großem Abstand die Interessen der Afghanen. Das ist der Vorwurf, den man im afghanischen Osten immer wieder hört. Selbst die Bauarbeiter, die für die US-Armee den Stützpunkt Camp Salerno weiter ausbauen- eigentlich ein heißbegehrter Job - fühlen sich von ihren Brötchengebern missachtet.


    "Wir verdienen wenig Geld. Leute aus allen möglichen Ländern arbeiten in diesem Lager für KBR. Aber die anderen erhalten einen höheren Lohn als wir Afghanen. Dabei arbeiten wir besser als sie. Inder und Bosnier zum Beispiel, sie bekommen mehr Geld als wir.Die bekommen 5000 Dollar im Monat. Das ist ein Problem.

    Eine besonders wichtige Gruppe von Mitarbeitern sind die einheimischen Armeedolmetscher - sozusagen die Augen und Ohren der ISAF. Beschäftigt werden sie im Regionalkommando Ost nicht von der US-Armee, sondern von der Sicherheitsfirma Aegis, offiziell als unabhängige Berater. Gerade, so berichtet einer von ihnen, ein junger Dolmetscher namens Khan, hat Aegis die Gehälter ohne Begründung von monatlich 900 auf monatlich 700 Dollar gekürzt. Wer aufmuckt, wird entlassen. Das aber, so sagt Khan, sei nicht das Schlimmste. Schlimmer sei, dass Aegis das Geld nur an eine Bank in Kabul überweise und man sich einmal im Monat auf den Weg in die Hauptstadt machen müsse.

    "Jeder, der für die Regierung arbeitet, hat außerhalb des Basis viele Schwierigkeiten, wie beispielsweise wir Dolmetscher. Wenn ich nach Kabul fahren möchte... also, sie stoppen uns und holen uns aus dem Auto raus. Sie kontrollieren uns und fragen, ob wir etwa für die Armee arbeiten.

    "Sie", sagt Khan, das seien die Taliban. Und wen die als Kollaborateur verdächtigten, den töteten sie gleich am Straßenrand. Sechs seiner Kollegen seien innerhalb von drei Monaten während der Fahrt nach Kabul umgekommen. Immer wieder würden die Dolmetscher bei der US-Armee mit der Bitte vorstellig, ihnen Plätze auf den täglichen Militärflügen nach Kabul zu reservieren. Und immer wieder werde das abgelehnt - mit der Begründung, die Afghanen seien eben keine Militärs. So bleibe ihnen nur der Landweg. Wenn die ISAF schon daran scheitert, die Herzen und Köpfe der eigenen Mitarbeiter zu gewinnen, so ließe sich hier fragen, wie will sie dann die übrige Bevölkerung auf ihre Seite bringen?