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Immobilienmarkt
(Un)Christlicher Wohnungsbau

Die katholische Kirche mischt mit auf dem Immobilienmarkt. Im begehrten Berliner Stadtteil Kreuzberg haben Aktivisten ein Haus besetzt, das einer kirchlichen Wohnungsgesellschaft gehört. Die lässt einen Großteil der Wohnungen bislang leer stehen. Die Besetzer verlangen die Übergabe des Hauses.

Von Ralf Hutter | 08.04.2019
Die Besetzer des Hauses in der Großbeerenstraße in Berlin am 8. September 2018 hinter einem Transparent mit der Aufschrift: Friede den Hütten, Krieg den Palästen
In Berlin kämpfen Hausbesetzer gegen eine katholische Wohnungsgesellschaft (imago stock&people)
"Das ist eine der besseren Wohnungen hier. Die Wohnungen, die nicht vermietet sind – das ist die überwiegende Mehrzahl der Wohnungen –, die stehen schon seit acht Jahren leer."
Winnie führt durch eine eigentlich reizvolle Drei-Zimmer-Wohnung mitten in Berlin, im Stadtteil Kreuzberg. Der Altbau hat nicht die ganz hohen Decken, wie es sie hier oft gibt, aber dafür beginnen die rund zwei Meter hohen Fenster schon in Schienbeinhöhe – und das bei einem Eckhaus! Das gibt in dieser Eckwohnung viel Licht und einen guten Ausblick. Allerdings sieht die Wohnung von innen weniger reizvoll aus.
Das Haus ist seit Jahren ein Streitfall
"Wir gehen jetzt nochmal kurz in den Badbereich. Es ist alles Marke Eigenbau von vor, was weiß ich, ein paar Jahren."
Die Decke im Badezimmer fehlt, was einen Einblick in altes Gebälk beschert. Ähnlich sieht in den anderen Räumen der Boden entlang der Außenwände aus, genau unter den großen Fenstern. Da sind entlang der Wand die Dielen weggerissen, einen halben Meter breit.
Winnie: "Das haben die Eigentümer gemacht. Also die jetzigen Eigentümer, das ist die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH mit Hauptsitz in Köln, das größte katholische Wohnungsbauunternehmen in Deutschland. Sie haben argumentiert vor einem Jahr, Februar 2018, dass sie feuchte Balken entdeckt haben."
Weshalb sie die Wohnungen noch nicht instandsetzen und vermieten könnten. Das überwiegend leerstehende Haus Großbeerenstraße 17a ist seit Jahren ein Streitfall, auch für die Bezirksverwaltung.
Das Ziel ist eine Stadt für alle
Einer größeren Öffentlichkeit wurde es im September 2018 bekannt. Da wurden nämlich zwei Wohnungen besetzt. Eine Hausprojektgruppe möchte hier ein gemeinschaftliches Wohnprojekt und Räume für nachbarschaftliche und andere politische Aktivitäten schaffen. Die noch immer besetzte Eckwohnung wird nun für politische Veranstaltungen und Treffen genutzt.
In einem Raum hängt ein großer, handgeschriebener Kalender. Für fast jeden der nächsten Tage ist da ein Termin eingetragen: Gruppentreffen, Lesungen, Workshops. Winnie sagt, dass die Nachfrage seitens lokaler und berlinweiter mietenpolitischer Gruppen groß sei, manchmal fänden zwei Treffen gleichzeitig statt. Winnie und Lulu, die in Wirklichkeit anders heißen, gehören zur Hausprojektgruppe. Sie sind offenbar um die 50 und sitzen zum Interview in farbiger Freizeitkleidung an einem Tisch. Getrunken wird Tee aus Plastikbechern. Das Wasser dafür kommt in einer Thermoskanne aus der Küche, wo gerade Leute von einer anderen Gruppe für ihr Treffen kochen.
Lulu erzählt: "Ich bin zufällig in der Straße hier geboren worden, und hab auch insgesamt ein Interesse an diesen gesellschaftlichen Themen."
Ungefähr 1960 wurde sie geboren, sagt Lulu, und seitdem wohne sie in Berlin, auch lange in Kreuzberg. Dramatische Veränderungen habe sie erlebt, sagt sie. Der Hausprojektgruppe ist der politische Kampf für eine Stadt für alle wichtig. Ihre mittlerweile rund 15 Mitglieder wohnen angeblich in der Gegend oder in angrenzenden Stadtteilen, und kennen sich aus stadtpolitischen Gruppen oder sind befreundet. Bemerkenswert ist, dass es hier auch sehr ums Wohnen im Alter geht. Winnie sagt:
"Die Perspektive, die wir in unseren jetzigen Wohnverhältnissen haben, ist nicht die, die wir anstreben fürs Alter. Wir leben oftmals eher alleine, Singles, oder in kleinen WGs, und wir streben alle an, ein gemeinschaftliches Wohnen zu organisieren, wo wir uns gegenseitig im Alter unterstützen, Hilfe geben und, und, und."
"Die Übertragung des Hauses haben wir von Anfang an gefordert"
Winnie selbst sei in seiner einst städtischen Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt und müsse in einigen Jahren draußen sein. Andere sähen sich ebenfalls von Verdrängung bedroht. Ihr Gegenspieler ist nun die katholische Firma Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft, kurz: Aachener SWG. Sie verhandelte nach der Besetzung mehrmals mit der Hausprojektgruppe, unter Vermittlung von Politikerinnen der Grünen, die im Bezirk die stärkste Partei sind. Angeblich zeigte sie sich zunächst offen für ein alternatives Wohnprojekt in einer Hälfte des Hauses. In der anderen Hälfte soll ein sozialer Träger Wohnungen für schutzbedürftige Frauen anmieten, wofür die Aachener SWG nach eigener Aussage seit Dezember eine Genehmigung hat.
Das Haus in der Großbeerenstraße in Berlin am 23.10.2018, das Gebäude war einige Wochen zuvor besetzt worden
Das Haus in der Großbeerenstraße 17a (dpa / Paul Zinken)
Die Hausprojektgruppe verlangte den Hausverkauf, weil ihr ein Mietvertrag langfristig zu unsicher ist und weil sie das Haus dauerhaft dem Markt entziehen will. Ende Februar erklärte die Aachener SWG die Gespräche für gescheitert und verlangte die Rückgabe der Wohnung Ende März. Per Anwalt wurde mittlerweile eine Frist bis zum 10. April gesetzt.
"Die Forderung auf Übertragung des ganzen Hauses, die haben wir von Anfang an gefordert, haben uns aber in den stattgefundenen Gesprächen auch mit Angeboten der Aachener, also durchaus offen dafür gezeigt, und hatten ernsthaft den Willen, auch über von ihnen angebotene Kompromissangebote ernsthaft nachzudenken", sagt Lulu. Ihr zufolge kam der Abbruch der Verhandlungen nach dem letzten Gespräch überraschend und ohne verständliche Begründung.
"Das war eigentlich ein Gespräch, da hatte die eine Grünen-Politikerin zum Schluss noch so resümiert: Also können wir so ins Protokoll reinschreiben, dass das ein effektives und brauchbares Gespräch war? Haben alle zugestimmt."
"Es gibt keinen Konflikt"
Die Aachener SWG gehört den Bistümern Aachen, Essen, Köln, Münster, Paderborn und Trier. In Berlin hat sie eine Niederlassung. Deren Leiter Markus Deml lehnt eine Interviewanfrage ab und schreibt Mitte März, es gebe in der Großbeerenstraße "keinen Konflikt", was er auf Nachfrage bekräftigt. Winnie und Lulu macht das sprachlos. Deml erklärt, ab April werde das Haus saniert, und neben dem sozialen Träger sollen zukünftig Menschen aus dem Viertel Wohnungen mieten können. Darüber hinaus teilt Deml mit:
"In den Treffen mit der Hausprojektgruppe haben wir zunächst ergebnisoffene Gespräche führen können, die das Ziel hatten, die von den Besetzern in Aussicht gestellten 'alternativen Wohnformen' in der Liegenschaft zu integrieren. Schriftlich wurde von uns jedoch immer wieder verlangt, die Übergabe des gesamten Hauses an die Hausprojektgruppe zu veranlassen."
Fragen zum Unternehmen möchte Deml nicht beantworten. Laut dem Firmendatenportal northdata.de machte die Aachener SWG in den letzten Jahren um die 40 Millionen Euro Jahresgewinn, mit steigender Tendenz. Gleichzeitig hat sie einen hohen sozialen Anspruch. In ihrem Leitbild ist ständig die Rede von sozialer Verantwortung, sozial-christlicher Ausrichtung, christlich-sozialen Grundwerten, katholischer Soziallehre und Ähnlichem. Eine zentrale Aufgabe ist es, laut der eigenen Imagebroschüre, Wohnraum für, Zitat, "breite Schichten der Bevölkerung" zur Verfügung zu stellen. Lob erhielt die Aachener SWG in den letzten Jahren in und über Berlin hinaus, weil sie einen heruntergekommenen Häuserkomplex im Stadtteil Neukölln übernahm und sanierte, in dem Hunderte Roma aus Osteuropa wohnen. Die waren vorher mit Wuchermieten und anderer Abzocke ausgebeutet worden.
Die Bezirksverwaltung verlangte Rechenschaft
In der Großbeerenstraße 17A zeigt sich aber eine andere Seite: Ende 2014 kaufte die Aachener SWG das Haus, das der Voreigentümer schon weitgehend entmietet hatte. Laut der Hausprojektgruppe sind nur drei von zwölf Wohnungen bewohnt. Die Gruppe zeigte 2016 und 2017 schriftlich Interesse am Kauf des Hauses, wurde aber abgelehnt.
Gleichzeitig mahnte der Bezirk den anhaltenden Leerstand an. Beim ihm fragte die Aachener SWG im Sommer 2016 förmlich an, ob die Errichtung von Balkonen und Dachterrassen erlaubt würde, was er noch im selben Jahr ablehnte. Trotz dieser Ablehnung galt eine Leerstandsgenehmigung einer anderen Bezirksabteilung bis Juni 2017. Im Februar 2017 waren dem Bezirk keinerlei Baumaßnahmen bekannt, die einen Leerstand rechtfertigen würden. Als die Leerstandsgenehmigung auslief und der Bezirk sogar ein Zwangsgeld androhte, um die Wohnungen endlich auf den Markt zu bekommen, legte die Aachener SWG dagegen Widerspruch ein. Das war immer noch der Stand im Februar 2018, als die Bezirksverwaltung im Bezirksparlament auf die Anfrage eines Abgeordneten hin erklärte:
"Nach Aussage des Eigentümers finden derzeit Sanierungsarbeiten in den leerstehenden Wohnungen statt, um die Vermietbarkeit wiederherzustellen. Diese sollen zügig abgeschlossen werden, damit eine zeitnahe Vermietung erfolgen kann."
"Hier ist nichts saniert"
Diese angeblichen Sanierungsarbeiten bestreitet die Hausprojektgruppe.
"Und jetzt schaust du dich hier um, hier ist nichts saniert, hier ist keine Wohnung saniert", sagt Winnie.
Die Aachener SWG habe ihnen nach der Besetzung ermöglicht, die leeren Wohnungen zu besichtigen. Die Gruppe habe das zusammen mit Leuten vom Fach gemacht, um den Sanierungsbedarf und die entsprechenden Kosten einzuschätzen.
"Es gibt Wohnungen, da siehste massive Feuchtigkeitsschäden, Schimmelschäden, Schimmelbefall."
Zumindest im unteren Bereich des Treppenhauses und im kleinen Innenhof deutet tatsächlich nichts auf neuere Arbeiten am Haus hin – im Gegenteil, es sieht eher nach Verwahrlosung aus: freigelegte Deckenbalken, Beschädigungen und ein großes Fenster zum Innenhof, das mit einer Holzplatte vernagelt ist.
Die Notschlafstelle wird lediglich geduldet
"Und am 17. Dezember ist die Kältenothilfe eröffnet worden. Wir gehen davon aus, weil gegenüber dem Bezirk in keinster Weise vorher erzählt wurde, dass die Pläne hatten, eine Kältehilfe in die Kellerräume einzuquartieren, dass das mit der Besetzung gemacht wurde, was wir begrüßen", sagt Winnie.
Das Lager eines Obdachlosen auf einer Parkbank in Berlin
Obdachlosigkeit ist in Berlin ein wachsendes Problem (dpa-news / Paul Zinken)
Laut Winnie und Lulu begannen die Umbaumaßnahmen in einem der beiden Kellerlokale, die angeblich seit über 15 Jahren leerstehen, kurz nach der Besetzung. Im Dezember eröffnete die Notübernachtungseinrichtung. Allerdings reichte die Aachener SWG erst zur selben Zeit den Genehmigungsantrag dafür beim Bezirk ein. Das Projekt war auch drei Monate später noch nicht genehmigt, die Notübernachtungsräume wurden aber vom Bezirk geduldet, weil die Obdachlosigkeit so drängend ist.
"Leerstand bedeutet auch Spekulation"
So entsteht tatsächlich der Eindruck, dass es sich um eine eilige Maßnahme handelte, um sich nach der Besetzung als soziale Hauseigentümerin zu präsentieren. Die Hausprojektgruppe ist deswegen, und wegen des langjährigen Leerstands, sehr misstrauisch gegenüber der Aachener. Winnie sagt:
"Leerstand bedeutet auch ein Teil Spekulation, weil einfach der Wert des Hauses weiter steigt. Es ist für uns wichtig, das Haus dem Spekulationsmarkt zu entziehen und hier gemeinschaftliches Wohnen zu organisieren, und aber auch nachbarschaftliche Treffs, unkommerzielle Räume zur Verfügung zu stellen, in einem Organisierungsprozess mit den NachbarInnen.
Und darüber hinaus wollen wir auch sogenannten solidarischen Wohnraum hier einrichten. Für Leute aus prekären Verhältnissen wollen wir zwei Wohneinheiten zur Verfügung stellen. Das ist Teil unserer Forderungen. Es stimmt, dass die nicht kompatibel sind mit den Wünschen der Aachener SWG. Die sagen, sie wollen hier ihr Projekt umsetzen, was wir begrüßen, wir haben aber auch gefragt: Wie lange machen Sie Ihr Projekt? Konnte Herr Deml nicht darauf antworten, er weiß nicht, ob zwei Jahre, ob drei Jahre.
Dann haben wir gefragt: Was ist denn, wenn das Konzept ausläuft? Was ist denn dann mit den Wohnungen? Dann sind die modernisiert. Werden sie dann dem freien Wohnungsmarkt frei zur Verfügung gestellt? Das heißt, bei den Mietpreisen können wir uns ausrechnen, was passiert. Und ihre ursprünglichen Modernisierungsabsichten waren Richtung Luxusmodernisierung."
Auch zu diesen und weiteren per E-Mail eingereichten Fragen möchte die Aachener SWG nichts sagen.