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Immun gegen die Pharmalobby

Während Politiker und Krankenkassen Maßnahmen gegen Ärztekorruption fordern und so die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern wollen, wendet sich die Berliner Charité an die zukünftigen Ärzte: In einer speziellen Seminarreihe werden Medizinstudenten im Umgang mit Pharmavertretern geschult.

Von Jens Rosbach | 02.01.2013
    Berliner Charité, im Bettenhochhaus der berühmten Klinik. Philipp Briem, 24 Jahre alt und Medizinstudent, eilt zu einem ungewöhnlichen Seminar: einem Seminar über die Tricks der Pharma-Lobbyisten.

    "Man merkt es ja andauernd im Krankenhaus oder in den Arztpraxen kommen sie vorbei. Und auch die Studenten werden schon beeinflusst. Es gibt ja kleine Geschenke, Kugelschreiber oder mal ein Glühwein umsonst oder solche Geschichten auf jeden Fall."

    Im Seminarraum – hoch über der Berliner City – referiert ein Dozent, Linus Grabenhenrich, 34 Jahre alt. Der Kinderarzt und Allergieforscher klärt über Geheimstudien der Arzneihersteller auf.

    "Wir als Fachöffentlichkeit wissen gar nichts über diese Daten. Die schlummern in irgendeinem Pharma-Datenarchiv."

    Verschwundene Forschungsarbeiten, dubiose Studiendesigns und aufgebauschte Statistiken – Grabenhenrich warnt die Studierenden nicht nur vor unseriösen Praktiken der Industrie, sondern auch vor Ärzten, die sich für das Medikamenten-Marketing einspannen lassen. Der Dozent hat das mehrfach selbst erlebt.

    "Wo ich als junger Arzt in der Blutgerinnungs-Sprechstunde war, wo relativ viel Geld fließt und viele Pharmafirmen dann auf mich zukamen und gesagt haben: Ja, ich bezahle Ihnen gerne mal auch ne Reise nach hier und dort für einen Kongress oder wissenschaftlichen Vortrag oder so was. Man fühlt sich natürlich geschmeichelt als Experte da mitkommen zu dürfen. Wundert sich dann, dass man in der Business-Class mitfliegen darf. Und begreift nicht, warum ich als junger Arzt, der eigentlich gar keine große Entscheidungskompetenz im klinischen Alltag hat, trotzdem mit relativ viel Aufwand bedacht werde."

    Die Berliner Pharma-Wächter wissen: Mitunter bieten die Lobbyisten den Ärzten sogar bares Geld an. Die Mediziner sollen dafür – angeblich - Daten über die Wirksamkeit von Präparaten erheben. Oder sie erhalten gut dotierte Beraterverträge. Im vorletzten Jahr versuchte sogar eine Arzneifirma, den Leiter der kritischen Seminarreihe, Peter Tinnemann, zu ködern. Dem Gesundheitswissenschaftler wurden 400 Euro geboten, damit er eine Stunde lang ein "Experten-Interview" gibt.

    "400 Euro, die man nebenbei mal eben so verdienen kann, ohne dass irgendjemand etwas davon mit bekommt."

    Bezahlte Beraterverträge, bezahlte Kongresse - der 45-jährige Experte ist entsetzt, dass sich Ärzte sogar die eigenen Fortbildungen von der Industrie finanzieren lassen.

    "Wir gucken uns da jetzt mal an. Könnt Ihr noch mitdenken?"

    Die Seminarreihe "Advert Retard" - "Langanhaltende Werbung" - wurde vor dreieinhalb Jahren an der Charité entwickelt - als Wahlpflichtfach für das Medizinstudium. Projektleiter Tinnemann ermutigt seine Medizin-Studenten, auch den eigenen Fachbereich unter die Lupe zu nehmen. Vor allem, wenn Professoren - indirekt - Werbung für Arzneimittel machen.

    "Und dann natürlich mit dem Hinweis, Ihr könnt ja mal Euren Dozenten fragen, was ja immer ganz spannend ist, der hat im Seminar oder bei der Vorlesung den Handels-Namen verwandt. Warum verwendet er nicht den Wirkstoff-Namen? Fragt ihn doch mal, wie er dazu kommt! Und die Studierenden dann auch ihre Dozierenden fragen: Haben Sie eigentlich Interessenkonflikte? Und dann stehen die da und wussten dann zum Teil nicht: Muss ich jetzt in einer Vorlesung meine Interessenkonflikte deklarieren? Das sind schon interessante Momente."

    Doch nicht jeder Studierende traut sich, Professoren zu kritisieren. So wie Max Brauner, ein 22-jähriger Seminar-Teilnehmer.

    "Die sind ja schon in der Machtposition. Gerade wenn das so der Professor ist. Kann es ja auch schon mal geschehen, geschieht hier auch, dass man aus dem Seminar fliegt oder so. Und dann muss man da schon bei dem ein oder anderen aufpassen, also so sehr sehr kritische Fragen, die so persönliches Versagen ja dann irgendwie auch indirekt dem Dozenten vorwerfen, sind glaube ich schwierig zu stellen."

    Darf ich im Studium Werbe-Kugelschreiber annehmen? Kann ich später, als Arzt, Pharmavertreter einfach aus meiner Praxis schmeißen? Und: Auf welchen Webseiten kann ich mich unabhängig über neue Medikamente informieren? Fragen, die im Seminar diskutiert werden. Immunisiert das wöchentliche Seminar nun tatsächlich gegen das Pharmalobby-Virus? Der 20-jährige Charité-Student Tom Jäger jedenfalls zeigt sich selbstkritisch.

    "Ich bin nicht immun. Aber ... ich probiere es zu sein."