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Immundressur per Stammzelltherapie

Medizin. – Als der südafrikanische Herzchirurg, Christiaan Barnard, am 3. Dezember 1967 erstmals in der Geschichte ein menschliches Herz verpflanzte, lebte der Patient nur wenige Tage, weil das fremde Organ vom Immunsystem des Empfängers abgestoßen wurde. Damals gab es noch keine effektiven Medikamente, um die gefürchteten Abstoßungsreaktionen in den Griff zu bekommen. Mit Cyclosporin und eine ganze Reihe anderer "Immunsuppresiva" - so der Fachjargon - können Organempfänger heute mitunter Jahrzehnte lang mit einem fremden Organ auskommen. Vorausgesetzt, dass die Patienten zeitlebens Immunsuppressiva einnehmen, die allerdings wegen zahlreicher Nebenwirkungen durchaus gefürchtet sind. Cyclosporin etwa erhöht den Blutdruck und die Lipidwerte mit der Folge von Herzinfarkt und Nierenversagen. In Kiel wird zur Zeit eine klinische Studie vorbereitet, die zeigen soll, dass Organempfänger ohne Medikamente - gleichsam auf natürliche Weise - immunisiert werden können. Vorgestellt wurde das innovative Verfahren auf der 11. Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft in Hannover.

    Von Michael Engel

    Das neue Verfahren firmiert unter dem Fachbegriff "Toleranzinduktion" - soll heißen: das Immunsystem des Organempfängers lernt, das fremde Organ ein für allemal zu akzeptieren. Ohne Medikamente - ein Leben lang. Wie so oft in der Medizin stießen die Wissenschaftler eher zufällig auf diese Möglichkeit.

    Wir wissen von Patienten, die - aus welchen Gründen auch immer - eine Knochenmarktransplantation erhalten haben. Diese können dann vom gleichen Spender ein Nierenorgan oder Leber oder Lungensegment bekommen, ohne dass sie dieses dann abstoßen.

    berichtet Professor Fred Fändrich von der Universität Kiel. Blutstammzellen des Spenders - so die erste Vermutung - mussten das Immunsystem des Empfängers verändert haben. Fändrich wollte es genauer wissen und fand auf der Oberfläche einiger Stammzellen ein Antigen - das sogenannte GM7 - das in der Lage ist, die aggressiven "T-Zellen" im Immunsystem des Empfängers zu besänftigen. Das Problem dabei: nur eine von 50.000 Blutstammzellen ist eine sogenannte "GM-7-Zelle":

    Wir sind im Moment dabei, ein Antigen, was auf diesen Zellen gezeigt wird, zu isolieren, welches man auf ganz wenigen Blutstammzellen auch findet. Das würde uns die Möglichkeit eröffnen, diese Zellen mit diesen spezifischen Gewebeantigenen zu vermehren, vom Spender auf den Empfänger zunächst zu übertragen, um die T-Zell-Antwort auszuschalten und dann das Organ auch zu übertragen. Das haben wir in der Ratte und im Schweine- Modell bereits gemacht und hatten sehr gute Erfolge.

    80 Prozent der Versuchsratten konnten durch eine Injektion mit speziell aufbereiteten Blutstammzellen eines Spendertieres auf natürliche Weise "immunisiert" werden. Zwei Injektionen innerhalb von sieben Tagen waren dazu erforderlich - am siebten Tag erfolgte dann die Organtransplantation. Mit Schweinen waren die Versuche weniger erfolgreich. Zwei von fünf immunologisch vorbehandelten Schweinen starben kurze Zeit nach einer Lungenverpflanzung. Transplantationsmediziner Professor Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover führte die Eingriffe durch:

    Nach den ersten wenigen Versuchen, die wir jetzt mit dem neuen Verfahren gemacht haben, muss ich sagen: wir sind sowohl effizient als auch außerordentlich schonend. Aber die Anzahl der Tiere, die wir bisher operiert haben, reicht hier noch nicht, um zu sagen, es ist wirklich der Weg.

    Bereits im nächsten Jahr will Professor Fred Fändrich in Kiel mit klinischen Versuchen beim Menschen beginnen. Im Rahmen einer Phase-1-Studie sollen zu- nächst einmal nur Immunisierungsversuche laufen, um zu erkunden, in welchem Maße eine Toleranzinduktion überhaupt stattfindet. Dazu Fändrich:

    Deswegen wollen wir folgenden Weg beschreiten: Wir wollen in der Lebendnierenspende vom Spender die Zellen generieren und dem Empfänger erst einmal vorab geben, bevor wir transplantieren. Und wenn wir wie im Tiermodell sehen, dass dann diese übertragenen Zellen im Blut zusammen mit den eigenen Zellen des Empfängers koexistieren und kursieren, dann hätten wir gezeigt, dass hier ein Chimärismus induziert ist, dass heißt ein Nebeneinander von Spender- und Empfängerzellen - der maßgeblich zur Toleranzentstehung beiträgt.

    Die Beschränkung auf Nierenpatienten hat einen besonderen Grund. Hier ist die sogenannte Lebendspende durch Angehörige möglich. Das heißt: eine Immunisierung durch aufbereitete Blutstammzellen kann ohne Zeitstress ganz in Ruhe Tage und Wochen vor der eigentlichen Organverpflanzung erfolgen. Laborwerte zeigen an, ob das Immunsystem positiv reagiert. Wird das Organ wider Erwarten dann doch abgestoßen, steht die Dialyse zur Verfügung. 90 Prozent der transplantierten Nieren "überleben" heute das erste Jahr. Diese Quote - so Fändrich - dürfe aus ethischen Gründen auch mit dem neuen Verfahren nicht gefährdet werden.