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Imperium der Angst

Die gegenwärtige US-Regierung tut alles dafür, um nicht nur in Europa ständig das Misstrauen gegen ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele zu schüren. Die schlichte Rhetorik, die an totalitäre Propaganda erinnert, die fadenscheinige Argumentation für den so genannten Präventivkrieg, die mit rechtsstaatlicher Praxis unvereinbare Behandlung der politischen Gefangenen in Guantanamo, die Einschränkung fundamentaler Bürgerrechte weit über die USA selbst hinaus, die Ungereimtheiten bei der Aufklärung der 11. September-Attentate, die Manipulationen bei der letzten Präsidentschaftswahl und nicht zuletzt die immer wieder aufgeflogenen plumpen Reklametricks, etwa als Bush persönlich den Soldaten im Irak den traditionellen Thanksgiving-Truthahn überbrachte, der sich im Nachhinein als ungenießbarer Plastikvogel für eine fernsehgerechte Inszenierung entpuppte - all diese Erfahrungen stärken nur die Meinung, dass die USA aus allen demokratischen Fugen geraten sei. Es ist also kaum verwunderlich, dass der Buchmarkt von Büchern zum Thema USA geradezu überschwemmt wird. Einige davon sind von US-Amerikanern geschrieben, manche, wie die Bücher von Noam Chomsky, haben zwar auch in den USA hohe Auflagen, werden aber von den großen Medien dort nahezu völlig totgeschwiegen. Chomskys neues Buch heißt Hybris und versucht die These zu belegen, dass die USA dabei seien, ihre endgültige Sicherung der globalen Vormacht durchzusetzen. Der Politikwissenschaftler Benjamin R. Barber sieht eine um sich greifende Angst am Werke, die das Imperium USA beherrsche, und der Soziologe Michael Mann untersucht die politische und ökonomische Realität der Vereinigten Staaten unter dem Gesichtspunkt, ob das Versprechen der Beseitigung des Terrors durch militärische Vormacht überhaupt einzulösen ist.

Von Hans-Martin Lohmann |
    Am Ende von Goethes Faust-Dichtung sieht der Protagonist vermeintlich hellseherisch in die Zukunft, während die unter seinem Kommando schuftenden Arbeiter sein gigantisches Kanalbauprojekt vollenden:

    Es kann die Spur von meinen Erdetagen /Nicht in Äonen untergehen.

    Aber Mephisto, Fausts dienstbarer Geist, lässt ihn wissen:

    In jeder Art seid ihr verloren: /Die Elemente sind mit uns verschworen, /Und auf Vernichtung läufts hinaus.

    Goethe hat bewusst darauf verzichtet, dem Ausgang seiner Dichtung einen eindeutigen Sinn zu unterlegen. Auch heute ist nicht ausgemacht, wie das groß angelegte imperiale Experiment der USA ausgehen wird. Interessanterweise ist es gerade der schärfste aller gegenwärtigen Kritiker des US-amerikanischen Hegemoniestrebens, Noam Chomsky, der in seinem neuen Buch am ehesten dazu neigt, den USA das Gelingen der endgültigen Sicherung ihrer globalen Vormachtstellung zu bescheinigen. Indem Chomsky, wie stets mit seriösen empirischen Daten und Quellen operierend, der Bush-Administration anlastet, mit radikalisierten Mitteln das fortzuführen, was schon unter verschiedenen US-Administrationen im 20. Jahrhundert in Angriff genommen worden sei – nämlich die globale Sicherstellung US-amerikanischer Militär- und Wirtschaftsinteressen –, entwirft er ein völlig monolithisches Bild der Politik der Vereinigten Staaten. In diesem Bild kommt allein ein politisches und intellektuelles Personal vor, welches unablässig daran arbeitet, dem Rest der Welt die eigene Macht zu demonstrieren und die amerikanische Bevölkerung einzuschüchtern. So schreibt Chomsky:

    Der Krieg gegen den Irak wurde geplant, begonnen und geführt, obwohl man in Washington wusste, dass dadurch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Terror gefördert werden könnten. Aber diese Risiken zählten nichts angesichts der Perspektive, die Kontrolle über den Irak zu gewinnen, die Norm des Präventivkriegs durchzusetzen und die innenpolitische Situation in den Griff zu bekommen.

    Um nicht missverstanden zu werden. Chomsky liegt mit seinen Befunden und Analysen in vielem richtig – und seine Kritik an der Bush-Regierung mit "Antiamerikanismus" zu verwechseln, wäre einfach dumm. Was den Leser indessen gelegentlich irritiert, ist eine gewisse Eindimensionalität der Wahrnehmung und Beurteilung von Verhältnissen, die vermutlich wesentlich komplexer und, wenn man so will, irrationaler sind. So könnte man z.B. mutmaßen, dass die politischen Folgen und exorbitanten Folgekosten des Irakfeldzugs von den zivilen Planern des Krieges – in erster Linie Rumsfeld, Wolfowitz und Rice – gerade nicht hinreichend bedacht worden sind. Und die keineswegs nur latenten Gegensätze zwischen den zivilen Falken um Rumsfeld und den militärischen Tauben um Powell, die zu einem flexibleren Umgang mit den Verbündeten der USA, zumal mit den Europäern, rieten, tauchen in Chomskys Tableau schlicht nicht auf. Bei ihm läuft alles gemäß einer ehernen Logik ab: der Logik einer US-amerikanischen Hybris, die nach den Sternen der Weltherrschaft greift.

    Während also Chomsky den USA attestiert, auf ihrem Weg zur unilateralen Kontrolle der Welt weit vorangekommen zu sein, melden seine Kollegen Benjamin Barber, prominenter Politologe an der University of Maryland, und Michael Mann, in England und den USA Soziologie lehrend, genau daran Zweifel an. Mann kontrastiert den Anspruch der Bush-Administration, über unbegrenzte ökonomische, militärische und politische Ressourcen zu verfügen, mit den realen Gegebenheiten. Mitnichten sei die Regierung in der Lage, dem internationalen Terrorismus und dem Tun und Lassen von "Schurkenstaaten" Einhalt zu gebieten. Und mitnichten könne sie unbegrenzte Mittel ins Feld führen, um die von ihr unablässig beschworenen Bedrohungen wirkungsvoll zu bekämpfen. Mann sieht in den Vereinigten Staaten einen zwar militärischen Riesen, zugleich aber einen ökonomischen Trittbrettfahrer und einen politischen Schizophrenen mit einer abschreckenden Ideologie, der seine eigenen Möglichkeiten weit überschätze. Zurecht weist der Soziologe auf das Dilemma eines "neuen Militarismus" hin, der einerseits ein enormes militärisches Potential bereithält – zu welchem ökonomischen und innenpolitischen Preis?, fragt Mann – und andererseits keine schlüssige Antwort etwa darauf weiß, wie man mit einem "Schurkenstaat"-Zwerg wie Nordkorea umzugehen hat. Sarkastisch notiert der Autor:

    Vergessen wir doch die Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse, führen ein wenig Pragmatismus ein und spielen Baseball mit ihnen. Für die neuen Imperialisten wäre das sicher bittere Medizin. Doch im Gegensatz zu ihrem ohnmächtigen Tun, ihrer aggressiven Rhetorik ohne tatsächliche Peitsche, ist das Realismus."

    Viel Realismus spricht auch aus der brillanten Analyse des Ostküsten-Intellektuellen Benjamin Barber. Sein Imperium der Angst beruht auf einem "Tunnelblick" der Regierenden, für die seit dem 11. September 2001 potentiell der gesamte Globus zur Bedrohung der nationalen Souveränität und des US-amerikanischen way of life geworden ist. Diese "culture of fear", welche die Bush-Regierung der amerikanischen Bevölkerung eingepflanzt und zur Richtlinie ihrer Außenpolitik gemacht habe, entspreche exakt jener Angst, die vom internationalen Terrorismus gezüchtet werde. Barber zitiert Anwar Aziz, einen der ersten Selbstmordattentäter, der sich 1993 im Gazastreifen in die Luft sprengte:

    Schlachten für den Islam werden nicht mit Kanonenkugeln gewonnen, sondern indem man Angst in das Herz des Gegners pflanzt.

    Aber ist Angst durch Angst besiegbar? Barber glaubt nicht an die Logik dieses Widersinns und empfiehlt stattdessen, auf die eigenen Stärken, auf die Stärke der Demokratie in Amerika und der westlichen Welt zu setzen:

    Amerika kann nicht gleichzeitig so übermächtig sein, wie es sich zu sein rühmt, und so verwundbar, wie es zu sein fürchtet. Seine Übermacht straft seine Angst Lügen oder sollte es zumindest tun. [...] Die Logik der Freiheit und die Logik der Sicherheit lassen sich miteinander verknüpfen, ihr Knoten ist die Demokratie. Über die wahrhafte Demokratie, über die Frauen und Männer, die mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement die Demokratie verwirklichen, hat das Imperium der Angst keine Macht.

    So unterschiedlich die Bücher von Barber, Mann und Chomsky auch akzentuiert sein mögen, in einem Punkt kommen sie zu einem ähnlichen Fazit: Der arrogante Unilateralismus der USA, gepaart mit der neuen Doktrin des Präventivkrieges, hat der Welt nicht mehr Sicherheit beschert, sondern im Gegenteil zu neuen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten geführt. Am Beginn des 21. Jahrhunderts erleben wir eine Welle von Unruhen und Kriegen, Explosionen von Gewalttätigkeit und Mordlust, die sich nur schwer in ein einheitliches Muster fügen lassen. Insbesondere die postkoloniale Welt des Südens mit ihren ungelösten wirtschaftlichen, politischen, ethnischen und religiösen Problemen befindet sich in einem Zustand permanenter Erschütterung, dem mit schlichten Definitionen wie "internationaler Terrorismus", "Schurkenstaaten" oder "Achse des Bösen" schwerlich beizukommen ist. Drei Finger der Hand, mit der die Vereinigten Staaten auf tatsächliche oder vermeintliche "Schurken" zeigen, weisen auf sie selbst zurück, auf den Staat, von dem der französische Philosoph Jacques Derrida jüngst sagte,

    dass der schurkischste der Schurkenstaaten eben derjenige ist, der einen Begriff wie den des Schurkenstaats folgenreich in Umlauf gebracht hat. [...] Der erste und gewalttätigste rogue State ist derjenige, der das Völkerrecht, als dessen Vorkämpfer er sich ausgibt, missachtet hat und fortwährend verletzt, jenes Völkerrecht, in dessen Namen er spricht und in dessen Namen er die so genannten rogue States in den Krieg zieht, wann immer es sein Interesse gebietet. Nämlich die USA.

    Gleichwohl wären die Europäer gut beraten, wenn sie sich nicht in einen bedingungslosen und blinden Gegensatz zu den USA treiben lassen würden. Denn ist es nicht ein Zeichen der Vitalität der demokratischen Kultur Amerikas, dass diese immer wieder Köpfe hervorbringt, die an die Tugenden und Vorzüge der amerikanischen Demokratie erinnern? Die USA sind längst nicht der monolithische Koloss, als welchen ihn Noam Chomsky darstellt. Uncle Sam hat viele Gesichter, und es könnte sehr wohl sein, dass bei den Präsidentschaftswahlen am Ende dieses Jahres ein anderes Gesicht gezeigt wird als jenes, das wir gegenwärtig sehen. Goethe ließ offen, ob am Ende der faustische Trieb der Erschaffung einer neuen Welt oder die mephistophelische Lust an der Vernichtung die Oberhand behalten wird. Genauso unentschieden ist heute, wohin der Weg der USA letztlich führt.

    Noam Chomsky, Hybris; Die endgültige Sicherung der globalen Vormachtstellung der USA aus dem Europa Verlag. Es hat 320 Seiten und kostet 19.90 €
    Benjamin R. Barber: Imperium der Angst; Die USA und die Neuordnung der Welt. Dieses Buch ist bei C.H. Beck erschienen, hat 276 Seiten und kostet ebenfalls 19.90 €
    Michael Manns Die ohnmächtige Supermacht; Warum die USA die Welt nicht regieren können ist bei Campus in Frankfurt erschienen, hat 357 Seiten und kostet 24.90 €.