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Impfung gegen Krebs

Medizin. - Jedes Jahr erkranken in Deutschland 6500 Frauen an Gebärmutterhalskrebs. 2000 davon sterben. Vor rund fünf Jahren kam zusätzlich zum hiesigen Vorsorgeprogramm ein Impfstoff gegen den Hauptauslöser, das humane Papillomavirus, auf den Markt. Allerdings ist die Impfbereitschaft trotz amtlicher Empfehlung drastisch gesunken.

Von Marieke Degen | 05.05.2011
    Lutz Gissmann arbeitet am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit humanen Papillomaviren, kurz HPV. Das sind Viren, die unter anderem Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Lutz Gissmann kann sich noch gut an die Stimmung erinnern – damals, vor fünf Jahren, als es endlich eine Impfung gegen humane Papillomaviren gab: Eine Impfung gegen Krebs. Die Euphorie unter den Forschern war groß.

    "Natürlich hat man das erwartet, dass die Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs schon nach fünf, sechs Jahren dramatisch zurückgehen und dann nach zehn, zwanzig Jahren auch die Häufigkeit des Krebses selber."

    Und am Anfang haben sich auch viele Mädchen impfen lassen. Gissmann:

    "Am Anfang war die Impfrate phänomenal hoch für Deutschland, ich glaube, fast 80 Prozent, dann gab es ein paar Zwischenfälle und wir sind jetzt bei nur noch etwa 30 Prozent."

    Im Jahr 2007 sind in Deutschland und in Österreich zwei Mädchen gestorben, kurz nachdem sie die HPV-Impfung bekommen hatten. Die Eltern haben die Impfung für den Tod verantwortlich gemacht. Andere Eltern waren verunsichert.

    "Aber wenn man sich das wissenschaftlich anschaut, versterben leider Gottes halt auch junge Mädchen spontan, ohne dass man die Gründe kennt, und das liegt genau in dem Bereich, und die haben halt zufällig eine Impfung bekommen, was aber sicherlich nicht die Ursache für das Versterben war."

    Trotzdem: Die HPV-Impfung galt plötzlich als gefährlich. Außerdem haben Kritiker bemängelt: Es sei nicht bewiesen, dass die Impfung tatsächlich vor Krebs schütze. Das stimmt auch, sagt Lutz Gissmann, aber:

    "Das wird man auch in Studien nie zeigen können, denn eine Studie läuft ja so ab, die eine Hälfte der Probandinnen bekommt den Impfstoff, die andere Hälfte das Placebo, und man müsste ja dann quasi so lange warten, bis die Frauen aus der Placebogruppe Krebs entwickeln, das geht natürlich nicht, sobald die Vorstufen da sind, müssen diese behandelt werden."

    Die entscheidende Frage ist also: Kann so eine Impfung die Krebsvorstufen im Gebärmutterhals reduzieren? Dann müsste es auf lange Sicht auch weniger Krebsfälle geben. Es kann allerdings ein paar Jahre dauern, bis sich eine Vorstufe entwickelt. Und deshalb wird man auch erst in einigen Jahren sagen können, was die Impfung wirklich bringt. Vorausgesetzt, es lassen sich genug Frauen impfen. Gissmann:

    "Aus Deutschland werden wir noch lange warten müssen, bis wir Daten bekommen, einfach weil die Durchimpfungsrate so gering ist."

    Es gibt aber schon Daten aus anderen Teilen der Welt: aus Australien zum Beispiel. Vor vier Jahren hat die australische Regierung ein HPV-Impfprogramm aufgelegt. Zuerst sind alle Mädchen und jungen Frauen von zwölf bis 25 Jahren geimpft worden. Seit 2009 werden nur noch die zwölf- und 13jährigen geimpft, direkt in der Schule. Die Impfbereitschaft ist hoch: sie liegt bei 80 Prozent. Parallel dazu laufen Studien, die den Nutzen überprüfen sollen. Gissmann:

    "Und der erste Effekt, der gesehen wurde, war der dramatische Rückgang von Genitalwarzen. Schon zwei Jahre nach Einführung der Impfung sieht man dort einen Zweidrittel-Rückgang der Genitalwarzen bei geimpften Frauen."

    Und offenbar gibt es bei den geimpften Mädchen auch jetzt schon weniger Krebsvorstufen.

    "Ja, da gibt es noch keine publizierten Daten, man hört nur davon auch Kongressen, und da zeigt sich dieser Trend jetzt auch schon nach mittlerweile drei Jahren. Das sind Tendenzen, das ist so 20 bis 30 Prozent Rückgang in diesen Populationen."

    In ein paar Jahren sollten die Zahl der Krebsvorstufen noch weiter gesunken sein. Die Daten aus Australien zeigen, dass die Impfung funktioniert, sagt Lutz Gissmann. Er hofft, dass die HPV-Impfung auch in Deutschland wieder besser akzeptiert wird. Ein erster Schritt wäre gemacht, wenn nicht mehr nur die Pharmafirmen für die Impfung werben würden, sondern auch der Staat – wie in Australien.

    "Die Regierung hat gesagt, wir machen das. Und wenn das bei uns auch der Fall wäre, ich denke dann könnte man schon die Durchimpfungsrate erhöhen."