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Impfung statt Pillen

Medizin. - Moderne Medikamente können den gefährlichen Bluthochdruck erfolgreich einstellen, indem sie in einen zentralen Regelkreis des Körpers eingreifen: das Renin-Angiotensin-System. Bald aber könnte eine Impfung die ständige Arzneieinnahme ablösen, meinen Ärzte.

Von William Vorsatz |
    Der Mensch ist biologisch nicht auf die heutige Lebensweise vorbereitet. Die Folge sind Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck. Kongresspräsident Professor Detlev Ganten, Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité:

    "Unsere Biologie ist dafür gemacht, dass wir unter erbärmlichsten Bedingungen in der Savanne, also im heißen Klima, herumlaufen, um unsere Nahrung zu finden, und gewissermaßen mehr oder weniger vegetarisch, aber immer mit wenig Ernährung, mit hohem Salz- und Wasserverlust, weil wir schwitzen und laufen und arbeiten, gewissermaßen die Lebensbedingungen aufrecht erhalten."

    Heute müssen wir kaum noch schwitzen und nehmen Salz im Überfluss zu uns. Damit kann der Körper nicht umgehen, der Blutdruck steigt. Verantwortlich dafür ist das Renin-Angiotensin-System. Am Anfang steht das Hormon Renin aus den Nieren. Es steuert über eine Kaskade von Hormonen und Enzymen den Salz- und Wasserhaushalt im Körper und damit auch den Blutdruck. Vor 110 Jahren haben Wissenschaftler das System zum ersten Mal beschrieben. Aber erst in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann die intensive Erforschung.

    "Das Renin-Angiotensin-System ist das Schlüsselsystem für die Entwicklung des Herz-Kreislauf-Systems, aber leider muss man sagen, auch bei Entgleisungen des Herz-Kreislaufsystems, nämlich bei der Entwicklung von zu hohem Blutdruck, und daher dann auch die Hemmer dieses Systems, weil es so eine breite Wirkung hat, die Hemmer des Systems, die auch besonders wirksam sind, wenn eben eine Fehlreaktion wie hoher Blutdruck entstanden ist."

    ACE-Hemmer greifen erst spät in die Kaskade der Blutdruckregulierung ein. Jetzt werden neue Medikamente entwickelt, die schon am Anfang wirken, beim Renin, dem Hormon des Nierengewebes. Die großen Pharmafirmen haben sich mittlerweile aber von der Idee verabschiedet, ein globales Medikament zu entwickeln, mit dem sie dann die halbe Menschheit behandeln können, sagt der Pharmakologe Professor Thomas Unger von der Charité:

    "Und man sucht sich jetzt Untergruppen heraus, beispielsweise solche, wo die Hypertonie mit Diabetes mellitus vergesellschaftet ist, oder solche, wo es mit Fettleibigkeit einher geht oder mit Herzkrankheiten, oder wo eine besondere Neigung vielleicht zum Schlaganfall besteht, solche Dinge versucht man herauszufinden, teilweise genetisch, teilweise klinisch, epidemiologisch, und man versucht jetzt Medikamente zu entwickeln, die solche Untergruppen jetzt ganz besonders gut behandeln können."

    Die Impfung gegen Bluthochdruck setzt ebenfalls beim Renin-Angiotensin-System an und verspricht eine besonders lang anhaltende Blutdrucksenkung. Der Impfstoff besteht aus einem virusartigen Partikel, der an ein Angiotensin-Hormon ankoppelt. Das Immunsystem bekämpft daraufhin das Hormon, es kann den Bluthoch nicht mehr so hoch regeln.

    "Die Idee hat natürlich etwas Frappierendes. Man impft einmal, und auf einmal ist die Krankheit Hypertonie besiegt, kommt nie wieder, und man hat damit Ruhe. So, wie man das gewohnt ist bei anderen Krankheiten, die durch Impfung zu verhindern. Es gibt jetzt auch schon eine Studie, die zeigt, dass man in der Tat eine gewisse Blutdrucksenkung erreichen kann dadurch, die ist aber nicht sehr stark ausgeprägt, das muss man auch sagen, und es bedarf noch weiterer Prüfung, intensiver Prüfung von vielen verschiedenen Gruppen, die sich dieser Sache dann annehmen, unabhängig voneinander, ob man wirklich eine ausreichende Blutdrucksenkung erzielen kann."

    72 Patienten sind bisher an der Berliner Charité getestet worden, in einer so genannten Phase-1-Studie. Dort geht es eigentlich nur um die Nebenwirkungen. Doch schon hier ist deutlich geworden: die Impfung wirkt. Wie aber sieht es mit den Langzeitrisiken aus? Und was passiert, wenn die geimpfte Person plötzlich in eine Mangelsituation gerät, wie vor Tausenden Jahren, mit zu wenig Wasser oder Salz. Dann könnte es bei einem gehemmten Renin-Angiotensin-System zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen. Weil das System eigentlich die Wasser- und Salzausscheidung bremst und so vor Mangel schützt.