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Impfungen für Millionen

Die Globale Impfallianz GAVI macht Impfstoffe in ärmsten Entwicklungsländern verfügbar. Im Vorstand der Initiative sitzen große Pharmafirmen, bei denen die Impfstoffe eingekauft werden.

Von Marc Engelhardt | 11.06.2011
    Eine Spritze in den Oberschenkel und danach noch ein paar Tropfen in den Mund. Ibrahim, vor vier Monaten in einem kleinen Dorf in Sierra Leone geboren, weint, aber seine Mutter lächelt. Mary Bang weiß aus trauriger Erfahrung, wie wichtig die Impfungen sind, die ihr Sohn in der Gesundheitsstation von Jembe heute bekommt.

    "Mein erstes Kind ist an Polio gestorben, ein anderes an Masern. Ich habe sie nie impfen lassen, ich dachte, dafür wohne ich zu weit vom Krankenhaus weg."

    Mary Bang ist 30, sechs ihrer Kinder leben noch. Um sie vor dem Tod zu bewahren, läuft die junge Frau die mehr als zwei Stunden zwischen ihrem Dorf und der Krankenstation zu Fuß.

    Im Dorf Sulehun stehen brüchige Lehmhütten entlang der staubigen Lateritpiste. Mami Bockarie sitzt vor ihrem Haus in der schwindenden Abendsonne und wäscht Reis. Sie beeilt sich damit, denn es gibt keinen Strom in Sulehun, und deshalb nach Einbruch der Nacht auch kein Licht. Jede Spur von Zivilisation scheint weit entfernt. Auch deshalb haben Krankheiten hier noch nichts von ihrem ursprünglichen Schrecken verloren.

    "Wenn ein Kind im Dorf Lungenentzündung bekommt, und das passiert oft, dann stirbt es."

    Seit zwei Monaten wird in Sierra Leone auch gegen Pneumokokken geimpft, den Haupterreger von Lungenentzündung. Mami Bockarie will ihre Kinder möglichst schnell impfen lassen. Seit dem Tod ihres Sohnes glaubt sie fest an die Macht der modernen Medizin.

    "Ich gehe nicht mehr zum Zauberheiler, den wir hier im Dorf haben. Ich habe früher an seine traditionelle Medizin geglaubt, aber jetzt glaube ich an die Krankenhäuser."

    Doch viele Eltern gehen mit ihren Kindern nach wie vor zuerst zum Dorfheiler. Es ist Tradition - und die Heiler leben im Dorf, anders als die Mediziner. Andere versuchen, ihre kranken Kinder mit Medikamentenresten zu versorgen, die sie bei Nachbarn zusammenklauben - Hustensaft gegen Malaria oder Aspirin gegen Lungenentzündung. Auch deshalb, klagt der Arzt Sofani Fofana, sterben so viele Kinder in seinem Hospital:

    "Wir behandeln hier mehr als 300 Kinder pro Woche. Manche werden erst gebracht, wenn sie schon sehr, sehr krank sind. Ihr Zustand ist dann schon sehr schlecht."

    Dass Mütter erst so spät mit ihren kranken Kindern kommen, hat für Fofana viel damit zu tun, dass Sierra Leone auch zehn Jahre nach Ende eines der blutigsten Bürgerkriege in Afrikas Geschichte noch immer an den Folgen leidet. Nicht einmal jeder zweite kann lesen und schreiben selbst die Grundschule hat die heutige Elterngeneration, die im Bürgerkrieg groß wurde, oft nicht besucht.

    "Der Krieg ist vorbei, aber wir sind erst im Aufbau. In vielen Dörfern sieht man die Spuren des Krieges noch sehr deutlich. Die Leute kämpfen ums Überleben."

    Die Jüngsten sterben zuerst: Fast jedes fünfte sierra-leonische Kind wird nicht älter als fünf Jahre. Die Impfungen sollen helfen, den Trend umzukehren: Grundimpfungen wie Polio, Tetanus, Diphterie, aber auch neue Impfungen gegen Pneumokokken oder den Rota-Virus, der schwere Durchfallerkrankungen auslöst. Nationale Impfwochen sollen auch die Mütter in die Krankenhäuser locken, die bislang ihre Kinder noch nicht impfen lassen. Alle anderen, sagt Alison Mpaka vom Kinderhilfswerk UNICEF, müssen zu Hause besucht werden.

    "Wir gehen von Tür zu Tür um kein Kind auszulassen, das ist das wichtigste. Wenn man durch die Dörfer fährt, dann kann man an den Markierungen, die wir machen, sehen, dass fast alle Familien geimpft wurden und nur eine oder zwei fehlen. Und um genau die müssen wir uns kümmern."

    UNICEF gehört zu den Initiatoren des Nationalen Impfprogramms, mit dem in Sierra Leone die Impfquote von knapp 40 Prozent zu Kriegszeiten auf nunmehr das Doppelte gesteigert werden soll. Finanziert wird das Programm vor allem von der Globalen Impfallianz GAVI, zu deren Partnern die Weltgesundheitsorga-nisation, die Gates-Stiftung und auch Pharmakonzerne gehören. Seit einem Jahrzehnt macht GAVI Impfstoffe in ärmsten Entwicklungsländern verfügbar. Das sei schwerer als es klinge, sagt David Ferreira, der Geschäftsführer des GAVI-Büros in Washington, DC:

    "Nehmen wir den Pneumokokken-Impfstoff: In den USA kostet er mehr als 60 Euro pro Dosis, für Sierra Leone zahlen wir aber nur zwei Euro pro Dosis. Im Westen produzieren die Unternehmen wenig Impfstoff und verkaufen ihn mit hoher Gewinnspanne, in den Entwicklungsländern verläuft das Geschäft genau umgekehrt."

    Auch wenn die Margen gering sind, garantiert GAVI den Pharmafirmen einen gewaltigen Markt: Alleine 600 Millionen Dosen Pneumokokken-Impfstoff hat GAVI für die Kampagnen in 72 Entwicklungsländern bei den Herstellern GSK und Pfizer bestellt. Kritiker werfen GAVI vor, der Impfstoff werde zu teuer bei den Pharmafirmen eingekauft, die immerhin im Vorstand der Initiative sitzen. Doch Ferreira widerspricht:

    "Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand: Ein Impfstoffhersteller kann nicht die Preise so weit senken, dass er auf Dauer Verluste hat."

    Für seine Arbeit umwirbt GAVI deshalb Geldgeber weltweit. Bis 2015 fehlen der Allianz, eigenen Angaben zufolge, rund zweieinhalb Milliarden Euro. An diesem Montag soll diese Summe in London von Regierungen eingesammelt werden. Ferreira ist optimistisch, dass es klappt. Und Thomas Samba, der in Sierra Leones Gesundheitsministerium für die Impfungen verantwortlich ist, drückt die Daumen:

    "Wir sind vorläufig von den Zusagen der Geber abhängig. Gut 70, 80 Prozent der Kosten für alle Impfungen werden von internationalen Gebern übernommen."

    Samba ist überzeugt, dass das in Impfungen investierte Geld sich auszahlen wird - nicht zuletzt deshalb, weil die Zahl der Behandelten in den Krankenstationen bereits zurück geht. Eine von der Gates-Stiftung finanzierte Studie hat berechnet, dass mit Impfkampagnen bis 2020 global 6,4 Millionen Kinderleben gerettet und mehr als 100 Milliarden Euro in Behandlungskosten eingespart werden könnten.