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Impfziel 70 Prozent

Medizin. - Für rund 30 Prozent der Bevölkerung plant die Bundesregierung die Impfung gegen die Schweinegrippe. Nach Berechnungen, die US-Epidemiologen in der aktuellen "Science" vorstellen, müsste der Anteil mehr als doppelt so hoch liegen.

Von Kristin Raabe | 11.09.2009
    Die zur Zeit weltweit grassierende Schweinegrippe hat auffällig viele Gemeinsamkeiten mit der zweitschlimmsten Grippe-Pandemie des 20 Jahrhunderts. Sie überrollte 1957 den Erdball. Die Medizinerin Elisabeth Halloran hat an der Universität von Washington in Seattle gemeinsam mit anderen Forschern versucht, das Verhalten der aktuellen H1N1-Pandemie zu modellieren.

    "Diese Pandemie ähnelt sehr der von 1957. Damals fing die Grippe auch bereits im Sommer an. Und jetzt wo die Schulen und Hochschulen wieder öffnen, wird es wahrscheinlich noch weiter zunehmen. Wir haben also bereits sehr früh im Jahr, sehr viele Grippefälle. Das war 1957 genauso. Damals war das Hoch der Pandemie schon im Oktober erreicht. Deswegen rechnen wir auch bei H1N1 mit mit einem Gipfel im späten Oktober."

    Auch in Deutschland rechnen Experten bereits im Oktober mit einem Anstieg der Grippefälle. Die Modelle von Elisabeth Halloran und ihren Kollegen haben außerdem gezeigt, wie sich das Virus in einem Haushalt ausbreitet. Ist einer infiziert, überträgt er das Virus auf 27 Prozent aller anderen Personen in diesem Haushalt. Rafael Mikolajczik, Epidemiologe an der Universität Bielefeld, sieht die Qualität der den Modellen zugrunde liegen Daten durchaus kritisch.

    "Die Daten basieren auf nur fünf Haushalten und werden extrapoliert zu der ganzen Bevölkerung von 280 Millionen. Die Haushaltsdaten sauber zu bekommen ist ganz schwierig, weil man sicher sein muss, dass die zweite Person, die im Haushalt erkrankt ist, nicht von jemand anders angesteckt wurde, sondern nur von der ersten Person. Also, saubere Zahlen zu bekommen ist schwierig, und das ist vielleicht das Beste, was wir im Moment haben."

    Die Daten, die Elisabeth Halloran und ihre Kollegen zusammengestellt haben, sagen auch etwas darüber aus, wie viele Personen geimpft sein müssen, damit die Grippewelle ähnlich harmlos verläuft wie die gewöhnlich jeden Winter auftretende saisonale Grippe. Halloran:

    "Wenn man bis zu 70 Prozent der Bevölkerung impfen könnte, dann würde das die Epidemie erheblich einschränken. Das wäre ein Ziel"

    Im Moment sieht es aber weder in den USA noch in Deutschland so aus, als würde rechtzeitig genug Impfstoff hergestellt werden, um so viele Menschen zu impfen. Rafael Mikolajczik glaubt nicht, dass das Ziel 70 Prozent der Bevölkerung zu impfen, schnell erreicht werden könnte. Mikolajczik:

    "Die Situation, von der wir ausgehen können, ist nicht, dass die Epidemie schon in der geimpften Bevölkerung anfängt, sondern dass gleichzeitig die Impfungen und die Epidemie beginnen. Wenn wir jetzt von der Verzögerung in der Herstellung der Impfstoffe gehört haben, dann kann es sein, dass die herbstliche Aktivität von Influenza auch gleichzeitig stattfinden wird."

    Trotzdem würde es seiner Ansicht nach Sinn ergeben, möglichst viele Personen zu impfen, denn die Experten rechnen mit einer zweiten Grippewelle im Dezember. Elizabeth Halloran ist dabei enorm wichtig, dass nicht nur besondere Risikogruppen wie beispielsweise chronisch Kranke oder medizinisches Personal geimpft werden.

    "Es ist wichtig Kinder zu impfen. Sie spielen eine große Rolle bei der Übertragung der Krankheit. Kinder haben viele Kontakte in der Schule und außerhalb. Wenn wir verhindern, dass ein Kind sich infiziert, kann es in der Schule und in der eigenen Familie niemanden mehr anstecken. Weil Kinder bei der Ausbreitung des Virus als Multiplikatoren fungieren, müssen wir verhindern, dass sie krank werden."

    Den Berechnungen der amerikanischen Wissenschaftlerin zufolge infiziert ein Kind im Schnitt 2,4 andere Personen. Das ist deutlich über der durchschnittlichen Übertragungsrate in der Gesamtbevölkerung, die liegt bei maximal 1,7 Personen. Um zu verhindern, dass Kinder das Virus weiter übertragen, wären lange Schulschließungen von etwa 26 Wochen sehr wichtig. Auch das zeigen die Modellrechnungen. Eine kürzere Schließung der Schulen, wie sie in Deutschland diskutiert wird, hält Rafael Mikolajczyk für nicht sinnvoll:

    "Wenn man über Schulschließungen in Deutschland gesprochen hat, dann waren das vielleicht zwei, drei Wochen gerade zum Peak der Epidemie. Also hier ist eine ganze andere Vorstellung. Also ich meine, diese zwei, drei Wochen wären ganz schwierig auszusuchen, welche Wochen das sein sollten. Weil wenn die Zeit zu kurz wird, dann könnte die Epidemie nach der Zeit sofort wieder ausbrechen."