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"Implantationskammer“ soll Insulinspritze ersetzen

Medizintechnik. - Wenn die so genannten "Beta-Zellen" der Bauchspeicheldrüse ihren Dienst aufgeben haben, dann gibt es kein Insulin mehr. Spritzen ist dann die gängigste Methode, um Patienten mit Diabetes mellitus – der Zuckerkrankheit – zu helfen. Von einer biologischen Lösung – der Reaktivierung des abgestorbenen Gewebes – ist man noch weit entfernt. Eine Art "Zwischenlösung" könnten "Implantationskammern" mit körperfremdem aber insulinproduzierendem Gewebe sein. Ein Göttinger Bio-Tech-Unternehmen arbeitet zur Zeit an so einer Implantationskammer: Genetisch veränderte Bindesgewebszellen von Mäusen sollen die Spritzen von heute ersetzen.

Von Michael Engel | 07.09.2004
    Professor Tsuneya Ohno vom "Institute of DNA-Medicine" hat sie entwickelt: genetisch veränderte Bindegewebszellen, die entgegen ihrer natürlichen Bestimmung jede Menge Insulin produzieren. Das Problem dabei: die Zellen stammen von Mäusen und würden nach einer Übertragung auf einen Menschen heftige Immunreaktionen auslösen. So entstand die Idee einer "Implantationskammer" und der Kontakt zum Göttinger Bio-Tech-Unternehmen "In Vitro Systems and Services". Angelika Langsch leitet die Forschungsabteilung:

    Wir haben zwei verschiedene Modelle. Das eine ist ein Ring von etwa zwei Zentimeter Durchmesser. Die andere, etwas weiter entwickelte Kammer ist etwa sechs Zentimeter im Durchmesser groß. Die Kammer besteht einmal aus dem Ring an sich, das ist ein Kunststoff, und dieser wird mit Membranen verklebt oder auch verschweißt. Und diese Membranen haben die Aufgabe, die Zellen zurückzuhalten, dass sie in der Kammer bleiben und nicht in den Bauchraum auswandern, und auch vor der Immunantwort des Patienten geschützt sind. Andererseits sind die Membranen so permeabel, dass Nährstoffe und Sauerstoff aus der Bauchhöhlenflüssigkeit zu den Zellen gelangen kann, und das Insulin, das die Zellen produzieren, aus der Kammer austritt und dem Patienten zur Verfügung steht.

    Ein erster "in vitro"-Testlauf – mit Petrischalen - konnte zeigen: die Mäusezellen blieben – eingeschlossen in der Implantationskammer - acht Wochen lang lebensfähig. Sie vermehrten sich sogar in dem nur 250 Mikroliter kleinen Hohlraum und produzierten das begehrte Insulin. Nur leider entstanden bei vier von zehn getesteten Kammern kleinere Leckagen, erkennbar an ausgetretenen Mäusezellen. Ursache: mangelhafter Klebstoff – die Membranen lösten sich an einigen Stellen ab.

    Geeignete Verbindungstechniken zu finden, ist genauso kompliziert wie eine Zelllinie zu modifizieren. Also das war die technische Herausforderung. Sie stellt uns manchmal immer noch vor große Probleme, dass man Membranen findet, die hervorragend von ihren technischen Daten sind, aber sie dann einsetzen zu können, in dieser Kombination, das birgt dann die Schwierigkeit, und wie immer liegt die größte Schwierigkeit im Detail.

    Jetzt sucht Hans-Otto Nagels, Geschäftsführer von "In vitro Systems and Services", nach einem verlässlichen Klebstoff, der die Kammern absolut dicht macht. 100 verschiedene Kleber wurden bereits getestet – und ein Ende des schwieriges "KammerPuzzles" ist nicht in Sicht:

    Sie wissen, dass heute in der Medizintechnik Kleben zum Standard gehört. Bei Patienten mit Langzeitoperationen werden die Augen mit Klebern verklebt. Also, Kleben ist in der Medizin kein unbekanntes Phänomen. Es gibt im medizinischen Bereich getestete Kleber, die schon vom Hersteller so klassifiziert sind, dass man auf solche Kleber zurückgreifen kann. Aber unsere Erfahrung zeigt leider auch, dass selbst solche Kleber im Haus getestet werden müssen, ob sie diesen speziellen Anforderungen genügen.

    Doch das tun sie bisher leider nicht. "In vitro Systems and Services" denkt an mechanische Fügetechniken, die vielleicht sogar ohne Kleber auskommen. Mindestens zwei Jahre werden die Forschungsarbeiten noch andauern, die sich allein auf die Herstellung der Implantationskammern fokussieren. Dr. Hans-Otto Nagels:

    Es gibt unterschiedliche Techniken physikalischer Natur, wo man Oberflächen so modifizieren kann, dass die Kleber besser haften. Und das haben wir jetzt mit einfließen lassen, dass wir eben gesehen haben, dass eine standardmäßige Verklebung eben nicht ausreicht, ohne eben noch zusätzliche Maßnahmen zur Oberflächenaktivierung der Support-Ringe durchzuführen. Und deswegen lege ich auch soviel Wert darauf, dass man sagt, also wir sind ganz am Anfang und nicht am Ende, und man sollte eben auch sehen, dass das ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt gewesen ist, und keine Vorstellung eines neuen Arzneimittels oder eines Devices für Diabetiker.

    Die Implantationskammer soll das Herzstück eines neuartigen Gerätes für Zuckerkranke werden, indem es biologisch produziertes Humaninsulin fortwährend nachliefert. Wie lange die Mäusezellen das aber machen, wie oft die Kammer mit frischem Zellmaterial also befüllt werden muss, und wie das alles technisch umgesetzt werden kann, das alles müssen - später einmal - Tierversuche erweisen. Und erst danach – in vielen Jahren – könnten Diabetiker von dieser Entwicklung profitieren.