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Imposante Weltgeschichte der grünen Bewegung

Mit der Atomkatastrophe in Japan hat die Umweltbewegung an Rückhalt gewonnen. Für Joachim Radkau ist die globale Umweltbewegung gar bereits die Massenbewegung unserer Epoche. Umfassend und lebendig skizziert der Historiker die Geschichte der weltweiten Ökobewegung und beklagt die extreme Unkenntnis über deren Wurzeln.

Von Sonja Ernst | 28.03.2011
    Für Joachim Radkau ist der Umweltschutz ein Chamäleon. Ein fließendes Phänomen, das schwer abzugrenzen und äußerst vielgestaltig ist: Umweltschutz und Umweltbewegung vermischen sich mit Politik, Wirtschaft und Recht; und sie verbinden unterschiedlichste Akteure. Dennoch will Radkau mit seinem neuen Buch "Die Ära der Ökologie" nicht weniger, als erstmals die Geschichte der weltweiten grünen Bewegung schreiben – trotz aller Widrigkeiten:

    "Ich glaube, kein Buch hat mich zeitweise so verrückt gemacht, wie das Schreiben an diesem Buch. Vor allem solange ich versuchte, das alles irgendwie zu glätten, zu einer Geschichte zu machen. Aber das ist eben falsch. Die Umweltbewegung hat völlig unterschiedliche Gesichter. Umweltschutz ist die Parole von Protestlern, die mit Steinen nach Polizisten werfen. Es ist aber auch ein Instrument von Öko-Kraten, von Juristen, die alles Mögliche reglementieren wollen. Sie ist ein Knäuel verschiedener Geschichten."
    Für Joachim Radkau steht der Begriff der Ökologie nicht allein für die Fachdisziplin, sondern ebenso für Umweltpolitik, Umweltschutz und die Ökobewegung. Und sie ist für den Historiker der Universität Bielefeld die prägende Kraft der Zeit: Denn sie ist global, hat eine große Breitenwirkung und gibt Antworten auf drängende Probleme, die immer mehr zur Belastung der Menschheit werden. Und so könnte mit der Atomkatastrophe in Japan die grüne Massenbewegung stark an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen. Auch in Japan: Dort gab es – anders als etwa in Deutschland – bislang keine große Kontroverse um die Kernenergie. Eine Debatte blieb aus – trotz der Erfahrungen von Hiroshima – führt Radkau aus. Ein Grund dafür ist die extreme Abhängigkeit von Energieressourcen. Doch die unterschiedliche Bewertung der Atomkraft in den einzelnen Ländern ist nur eines der Themen, die Radkau auf beinahe 800 Seiten beleuchtet. Einen erhellenden Blick wirft er auch auf die Entwicklung des grünen Bewusstseins, dessen Anfänge er im späten 18. Jahrhundert verortet. Dabei beschreibt und bewertet der Autor ausführlich die ersten Anzeichen des Luft-, Wasser- und Tierschutzes. Aber auch den Naturschutz im Dritten Reich oder die Anfänge grüner Gipfeldiplomatie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Immer im Blick: den historischen Kontext. Im Jahr 1970 formierte sich dann eine umfassende Umweltbewegung. Die "Ära der Ökologie" – für Radkau beginnt sie hier. Denn hier sei etwas Neues entstanden. Joachim Radkau:

    "Zum einen eine schlagartige Vernetzung von vielen Aktionslinien, die bis dahin separat liefen. Reinhaltung der Luft, Reinhaltung des Wassers, Waldschutz, gesunde Ernährung und so weiter. Das wird damals ziemlich schlagartig vernetzt. 1911 hatte Hermann Löns den deutschen Naturschutz verspottet. Die ganze Naturschutztätigkeit sei reiner Pritzelkram. Das ist ein stehender Begriff geworden. Aber 1970 ist auf einmal so ein globaler Horizont da. Der gibt einem auch ein neues Gefühl eigener Bedeutung. Es entsteht auch eine neue Konfliktfähigkeit. Nämlich Umweltschutz wird zu einer Massenbewegung, die auch fähig ist zu Protesten."

    Diese Massenbewegung hat für den Autor – anders als kommunistische oder nationalistische Bewegungen – keine feste Gestalt angenommen, und nicht das eine feste Ziel für sich gesetzt. Doch beim historischen Blick auf die Ökobewegung beklagt Radkau gleichzeitig ihre Geschichtslosigkeit:

    "Gerade die deutschen Grünen haben sich auch aus Unkenntnis ihrer eigenen Vorgeschichte zum Teil Chancen verpatzt. Zum Beispiel immer diese fixe Idee, Heimat sei ein Nazibegriff. Ich meine, die Heimatliebe, das Heimatbewusstsein reicht viel, viel weiter zurück bis zu Homers Odyssee. Es ist auch ein weltweites Phänomen."
    Schiefe Geschichtsbilder und historische Unkenntnis – nicht allein in Deutschland – machen, so der Wissenschaftler aus Bielefeld, die Umweltbewegung angreifbar für Kritiker. Für jene, die die Gefahr von Ökodiktaturen heraufbeschwören; genauso wie für jene, die der Umweltbewegung ihre Bedeutung absprechen. Vor allem aber verweigert man sich damit der Lösung innerer Widersprüche: Denn die Interessen und Ziele der Umweltbewegung sind durchaus kontrovers. Joachim Radkau:

    "Windkraftfans klagen, inzwischen seien nicht mehr die großen Energieunternehmen, sondern die Naturschützer ihre Hauptgegenspieler geworden. Und auch zwischen dem weltweit expandierenden Naturschutz auf der einen Seite und der Forderung nach einer umweltfreundlichen Landwirtschaft auf der anderen, besteht eine latente Spannung. Je umweltfreundlicher die Landwirtschaft wird, desto mehr muss sie extensiviert werden, braucht mehr Raum. Ich sehe auch ein Hauptproblem darin, dass diese Zielkonflikte innerhalb der grünen Bewegung bisher meist zu sehr im Untergrund grummeln, aber nicht offen ausdiskutiert werden. Man muss versuchen, auf vernünftige Art darüber zu reden, um zu Lösungen zu kommen."

    Neben diesen Zielkonflikten wirft der Wissenschaftler auch einen Blick auf die Karrieren von Umweltthemen, wie Waldsterben, Ozonloch oder BSE-Skandal. Aber auch auf prägende Persönlichkeiten der grünen Bewegung. Die Gorilla-Schützerin Diane Fossey wird ebenso in ihrem Wirken bewertet, wie der Grüne Rudolf Bahro oder die indische Ökologin Medha Paktar und ihr Kampf gegen Staudämme.

    Nach dem Atomunfall in Japan hat die Umweltbewegung an Bedeutung gewonnen. Ob sie tatsächlich die große Klammer unserer Zeit ist, wird sich zeigen. Die Ära der Ökobewegung: Joachim Radkau beschreibt sie mit all ihren Verzweigungen, ihren Leistungen und Irrwegen – stets unterhaltsam, kritisch und bissig. Er liefert eine profunde und unterhaltsame Lektüre, für jene, die bereits in der Materie stecken. Und für alle historisch Interessierten. Denn das Buch ist vor allem eins: Eine imposante Weltgeschichte der grünen Bewegung.

    Sonja Ernst über Joachim Radkau: "Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte". Veröffentlicht im C.H. Beck Verlag, 728 Seiten zum Preis von 29 Euro und 95 Cent, ISBN 978-3-406-61372-2.