Donnerstag, 16. Mai 2024

Archiv


In 300 Millionen Jahren eine Sekunde daneben

Physik. - Seit nahezu 50 Jahren orientiert man sich weltweit an Atomuhren, bei denen Cäsiumatome mit Mikrowellen angeregt werden. Der Gangfehler lag anfangs bei einer Sekunde in 22 Millionen Jahren. Neueste Cäsium-Atomuhren laufen heute in 80 Millionen Jahren eine Sekunde falsch. Doch es geht es noch viel genauer. Aktuell konnte die Physikalisch Technische Bundesanstalt die Gangabweichung mit Hilfe einer Strontium-Atomuhr auf eine Sekunde in 300 Millionen Jahren ausweiten.

Von Michael Engel | 08.03.2013
    Wenn Dr. Christian Lisdat die Tür zu seinem Labor im "Paschenbau" der Physikalisch Technischen Bundesanstalt öffnet, steht er inmitten einer Atomuhr. Alles in dem rund 60 Quadratmeter großen Raum gehört zu einer optischen Atomuhr, mit der er seit Jahren experimentiert. Die eigentliche Uhr befindet sich auf einer drei mal fünf Meter großen, gelochten Tischplatte aus Metall, auf der mehrere 100 Umlenkspiegel, Linsen und Lasergeräte verschraubt sind.

    "Das ist keine Uhr, die einen Zeiger hat oder so etwas Ähnliches wie eine Armbanduhr. Das ist in der Tat ein relativ komplexer Aufbau, ein Experiment, in dem diese einzelnen Komponenten dazu da sind, Laserstrahlen zu erzeugen. Und diese Laserstrahlen in ein Vakuumgefäß einzukoppeln, wo wir dann die Atome, die wir als Referenz für die Uhr benutzen, per Laser nahe dem absoluten Nullpunkt abkühlen können. Und dazu brauchen wir eben eine ganze Reihe von optischen Komponenten – verschieden farbiges Licht. Blaues Licht für einen Kühlvorgang, rotes Licht für einen anderen."

    Herzstück der "optischen Atomuhr" ist eine Metallkugel, etwa so groß wie ein Handball. Laserlicht, das durch ein Glasfenster in die Kugel hinein strahlt, regt dort Strontium an: Die Elektronen springen dann auf ein höheres Energieniveau. Atomphysiker sprechen von Niveau-Übergängen, die als Schwingungsfrequenz auch gemessen werden können. Nur leider sind die Strontium-Uhren sehr temperaturempfindlich, erklärt Christian Lisdat.

    "Der entscheidende Punkt in diesem Experiment ist, dass wir die Temperatur des Vakuumgefäßes – dieser Kugel – möglichst genau kennen müssen. Das heißt, wir haben sehr viele hochpräzise Thermometer auf dieser Kugel platziert, und können damit dann messen, was für eine Temperatur wir haben, und wie genau wir die Temperatur dieser Kugel kennen."

    Winzige Wärmemengen, die zum Beispiel von anderen Geräten in Form von elektromagnetischer Strahlung in die Kugel gelangen, werden mit Hilfe von empfindlichen Sensoren registriert und beim Zählen der Niveauübergänge berücksichtigt. Die Genauigkeit konnte gegenüber der vorhergehenden optischen Atomuhr nun zehnfach erhöht werden. Aktuell geht die experimentelle Atomuhr in Braunschweig nun in 300 Millionen Jahren um nur eine einzige Sekunde falsch. Weitere Verbesserungen in den nächsten Jahren sollen die Ganggenauigkeit von einer Sekunde sogar auf 30 Milliarden Jahre anheben.

    "Es gibt einige physikalische Fragestellungen und tatsächlich auch Anwendungen, für die diese Genauigkeit relevant ist. Zum Beispiel ob Naturkonstanten, die wir haben in der Physik, tatsächlich zeitlich konstant sind oder ob es im Laufe des Universums da Variationen gegeben hat. Es gibt da gewisse Indizien für, die darauf hindeuten, dass es solche Zeitabhängigkeiten von Naturkonstanten gegeben haben könnte."

    Ein Beispiel ist das Masseverhältnis zwischen Elektronen und Protonen - rund eins zu 1800 - bei dem der "Faktor Zeit" bislang allerdings nie keine Rolle gespielt hat. Möglicherweise, vermutet der Wissenschaftler, weil es bislang noch keine entsprechend präzisen Atomuhren gegeben hat, die das messen könnten. Atomuhren dann also im Dienste der Grundlagenforschung. Auch Otto-Normalverbraucher könnte von den neuen, ultrapräzisen Uhren profitieren. Beispiel Satellitennavigation. Da Atomuhren auch an Bord der Satelliten eine zentrale Rolle spielen, könnte die Positionsangabe in Zukunft erheblich präziser werden – vielleicht sogar auf den Millimeter genau.