Wielenga: Guten Morgen.
Müller: Herr Wielenga, was ist denn faul beim Nachbarn?
Wielenga: Also die Niederlande sind ratlos. Wir haben in den letzten Jahren nach dem Mord an Pim Fortuyn eine heftige und auch kontroverse Debatte geführt über die richtige Integrationspolitik. Die ist härter geworden, auch restriktiver geworden und viele meinten, "Ihr seid doch vielleicht jetzt auf dem richtigen Weg, auch mehr Zwang auszuüben, die Integration mehr aufzuerlegen" und jetzt ist dieser Mord geschehen, der sich so natürlich nicht verhindern ließ und er hat die Verletzbarkeit der Niederlande deutlich gemacht. Er hat die Frage aufgeworfen, wie wir derartige Taten in Zukunft verhindern können und man hat festgestellt, das wird sehr, sehr schwierig sein.
Müller: Sind die Niederlande radikaler geworden?
Wielenga: Die Niederlande sind tatsächlich weniger liberal geworden, als sie es immer waren oder als sie vielleicht auch immer dachten, dass sie es waren. Sehr oft war die niederländische Liberalität auch ein Ausdruck von Desinteresse, das man meinte "Ihr macht was ihr wollt und wir machen was wir wollen" und wir wollen uns nicht in die Quere kommen. Das wurde dann als Liberalität verkauft. Insofern sollte man die niederländische Liberalität ein bisschen relativieren. Aber es ist tatsächlich so, das gesellschaftliche Klima ist härter geworden. Neue Umfragen, die natürlich auch unter dem Eindruck der Emotionen der letzten Woche stehen, zeigen, dass 40 Prozent der Niederländer hoffen, dass sich die Muslime in den Niederlanden nicht länger zu Hause fühlen, was natürlich im Grunde impliziert, "Ihr solltet besser gehen." 80 Prozent meinen, die Integrationspolitik muss noch deutlich härter werden und insofern steht das Klima tatsächlich auf der Kippe und es kann noch weiter kippen, wenn sich die Gewalt weiter zuspitzt, was ja nicht ausgeschlossen ist. Andererseits kann man sagen, dass Leute wie van Gogh Ausdruck einer Diskussionskultur sind in der man sagt, alles ist erlaubt.
Müller: Das heißt vorher war die Diskussionskultur lange Zeit verschlossen, geschlossen?
Wielenga: Das würde ich für die Niederlande so nicht sagen. Van Gogh ist im Grunde schon seit zehn bis 15 Jahren ein Provokateur. Vor zehn Jahren hatte er große Auseinandersetzungen mit Leon de Winter und mit der jüdischen Gemeinschaft in den Niederlanden, die er sehr stark beleidigt hatte. Er hatte auch ständig Probleme mit den Sozialdemokraten. Insofern steht das, was er über Muslime gesagt hat in einer Tradition von Sachen, der immer schon gesagt hatte.
Müller: Sie haben eben die Frage so beantwortet - wenn ich das richtig zusammenfassen darf und wenn ich es richtig verstanden habe - im Grunde hat sich die Gesellschaft in gewissen Teilen schon radikalisiert, man will eine härtere Gangart haben, gerade auch in der Integrationspolitik. Radikaler geworden auch, weil vorher bewusst oder unbewusst zu liberal?
Wielenga: Man meinte bis Ende der 90er Jahre, dass die Integrationspolitik gut sei, weil man sie tatsächlich relativ liberal und offen gestaltet hat. Nun ist auch die in den letzten Jahren in Kritik geraten, insofern hat man auch Abstand genommen von der alten liberalen Politik. Und insofern ist das, was jetzt geschieht auch etwas, was schon länger im Gange war.
Müller: Also die Politik war liberaler als die Bevölkerung?
Wielenga: Ich glaube, dass die Bevölkerung die Politik gerade in den letzten drei oder vier Jahren zurückgepfiffen hat, obwohl es auch in der Politik immer Leute gegeben hat - ich denke jetzt zum Beispiel an den Noch-EU-Kommissar Bolkestein, der schon Anfang der 90er gesagt hat "Wir haben ein Problem mit unserer Integrationspolitik, die funktioniert nicht." Oder an den linken Publizisten Paul Pfeffer, der schon in den 90er Jahren vom multikulturellen Drama in den Niederlanden gesprochen hat. Also wir sollten nicht so tun, als ob die Diskussion erst jetzt angelaufen wäre, die Spannungen waren schon länger da. Aber es ist zum ersten Mal - und das ist neu - eine Ratlosigkeit spürbar, weil man schon das Gefühl hatte, wir sind auf dem richtigen Weg und jetzt ist das geschehen und es droht noch eine weitere Eskalation.
Müller: Der Politikwissenschaftler Friso Wielenga war das, Direktor am Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität in Münster. Vielen Dank für das Gespräch und auf Widerhören.
Wielenga: Auf Wiederhören.
Müller: Herr Wielenga, was ist denn faul beim Nachbarn?
Wielenga: Also die Niederlande sind ratlos. Wir haben in den letzten Jahren nach dem Mord an Pim Fortuyn eine heftige und auch kontroverse Debatte geführt über die richtige Integrationspolitik. Die ist härter geworden, auch restriktiver geworden und viele meinten, "Ihr seid doch vielleicht jetzt auf dem richtigen Weg, auch mehr Zwang auszuüben, die Integration mehr aufzuerlegen" und jetzt ist dieser Mord geschehen, der sich so natürlich nicht verhindern ließ und er hat die Verletzbarkeit der Niederlande deutlich gemacht. Er hat die Frage aufgeworfen, wie wir derartige Taten in Zukunft verhindern können und man hat festgestellt, das wird sehr, sehr schwierig sein.
Müller: Sind die Niederlande radikaler geworden?
Wielenga: Die Niederlande sind tatsächlich weniger liberal geworden, als sie es immer waren oder als sie vielleicht auch immer dachten, dass sie es waren. Sehr oft war die niederländische Liberalität auch ein Ausdruck von Desinteresse, das man meinte "Ihr macht was ihr wollt und wir machen was wir wollen" und wir wollen uns nicht in die Quere kommen. Das wurde dann als Liberalität verkauft. Insofern sollte man die niederländische Liberalität ein bisschen relativieren. Aber es ist tatsächlich so, das gesellschaftliche Klima ist härter geworden. Neue Umfragen, die natürlich auch unter dem Eindruck der Emotionen der letzten Woche stehen, zeigen, dass 40 Prozent der Niederländer hoffen, dass sich die Muslime in den Niederlanden nicht länger zu Hause fühlen, was natürlich im Grunde impliziert, "Ihr solltet besser gehen." 80 Prozent meinen, die Integrationspolitik muss noch deutlich härter werden und insofern steht das Klima tatsächlich auf der Kippe und es kann noch weiter kippen, wenn sich die Gewalt weiter zuspitzt, was ja nicht ausgeschlossen ist. Andererseits kann man sagen, dass Leute wie van Gogh Ausdruck einer Diskussionskultur sind in der man sagt, alles ist erlaubt.
Müller: Das heißt vorher war die Diskussionskultur lange Zeit verschlossen, geschlossen?
Wielenga: Das würde ich für die Niederlande so nicht sagen. Van Gogh ist im Grunde schon seit zehn bis 15 Jahren ein Provokateur. Vor zehn Jahren hatte er große Auseinandersetzungen mit Leon de Winter und mit der jüdischen Gemeinschaft in den Niederlanden, die er sehr stark beleidigt hatte. Er hatte auch ständig Probleme mit den Sozialdemokraten. Insofern steht das, was er über Muslime gesagt hat in einer Tradition von Sachen, der immer schon gesagt hatte.
Müller: Sie haben eben die Frage so beantwortet - wenn ich das richtig zusammenfassen darf und wenn ich es richtig verstanden habe - im Grunde hat sich die Gesellschaft in gewissen Teilen schon radikalisiert, man will eine härtere Gangart haben, gerade auch in der Integrationspolitik. Radikaler geworden auch, weil vorher bewusst oder unbewusst zu liberal?
Wielenga: Man meinte bis Ende der 90er Jahre, dass die Integrationspolitik gut sei, weil man sie tatsächlich relativ liberal und offen gestaltet hat. Nun ist auch die in den letzten Jahren in Kritik geraten, insofern hat man auch Abstand genommen von der alten liberalen Politik. Und insofern ist das, was jetzt geschieht auch etwas, was schon länger im Gange war.
Müller: Also die Politik war liberaler als die Bevölkerung?
Wielenga: Ich glaube, dass die Bevölkerung die Politik gerade in den letzten drei oder vier Jahren zurückgepfiffen hat, obwohl es auch in der Politik immer Leute gegeben hat - ich denke jetzt zum Beispiel an den Noch-EU-Kommissar Bolkestein, der schon Anfang der 90er gesagt hat "Wir haben ein Problem mit unserer Integrationspolitik, die funktioniert nicht." Oder an den linken Publizisten Paul Pfeffer, der schon in den 90er Jahren vom multikulturellen Drama in den Niederlanden gesprochen hat. Also wir sollten nicht so tun, als ob die Diskussion erst jetzt angelaufen wäre, die Spannungen waren schon länger da. Aber es ist zum ersten Mal - und das ist neu - eine Ratlosigkeit spürbar, weil man schon das Gefühl hatte, wir sind auf dem richtigen Weg und jetzt ist das geschehen und es droht noch eine weitere Eskalation.
Müller: Der Politikwissenschaftler Friso Wielenga war das, Direktor am Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität in Münster. Vielen Dank für das Gespräch und auf Widerhören.
Wielenga: Auf Wiederhören.
