Shejla Kameric war damals ein bosnisches Mädchen - sie gehört zu jener Generation, die im Krieg und mit dem Krieg aufgewachsen ist, eine junge, gutaussehende Frau, die heute als Künstlerin in der Ausstellung des Museum Fridericianum in Kassel vertreten ist. Sie hat das Graffiti, das von einem der niederländischen Soldaten stammt, fotografiert und über ein großes Selbstportrait belichtet - ein Bild mit emblematischem Charakter für diese ganze Ausstellung.
Für Shejla Kameric hängt dieses Bild freilich unmittelbar mit der Erinnerung an das Massaker von Srebrenica zusammen, das von den UNPROFOR-Truppen damals nicht verhindert werden konnte, manche meinen sogar, dass es gar nicht verhindert werden sollte. Das Graffiti aber wirft ein Licht nicht nur auf die Frauenverachtung unter den Soldaten, sondern auf die Verachtung des Balkan an sich durch die erhabenen Westeuropäer. Oder, mit den Worten des Philosophen Slavoj Zizek: "Der Balkan, das sind immer die anderen."
Mit der Präsentation von jungen Künstlern und Intellektuellen aus dieser Region kann man womöglich immer nur alles falsch machen: Zeigt eine Ausstellung die von Bürgerkrieg und Massakern blutig eingefärbten Werke von Künstlern, die ihre Bilder nach alter Tradition als politischen Protest verstehen, fängt man sich lauter politisch korrekte und betroffene Besucher ein, die das Leid in aller Welt beklagen. Der Kunstbetrieb aber wendet sich indigniert ab und erklärt das Ganze für regionale Kunst, die wegen der besonders schlimmen Lage in der Gegend nicht mit den internationalen Qualitätsstandards zu messen sei. Präsentiert man hingegen jene Künstler, die als international marktfähig gelten, beteiligt man sich dadurch automatisch an einem Prozess, den die meisten Künstler vor Ort als eine Art Kolonialisierung durch den westlichen Kunstbetrieb begreifen.
Das Museum Fridericianum und die Stadt Kassel haben das erkannt und beschreiten nun eine Art Mittelweg. Mit viel Emphase erklärt man sich zum "Zentrum für die Kunst Südosteuropas". Man zeigt hier 88 teils bekannte, teils aber auch völlig unbekannte Künstler aus 12 Ländern, darunter aber auch "westliche" wie Griechenland und die Türkei ebenso wie andererseits die Enklave Kosovo. Umgeben wird das Ganze von einem ausufernden Rahmenprogramm an Tagungen, Filmen, Diskussionen und Aktionen.
Unausweichlich drängt sich dabei die jüngste, blutige Geschichte des ehemaligen Jugoslawien in den Vordergrund. Allein von dort stammen weit mehr als ein Drittel aller Künstler der Ausstellung. Ein Hauptthema, von dem in verschiedenen Formen vor allem berichtet wird, nicht umsonst nennt sich die Ausstellung im Untertitel auch "Eine Reportage". Und sicherlich ist die Installation "Balkan Baroque" der schon international bekannten Serbin Marina Abramovic ein Hauptwerk: ein riesiger Haufen blank geputzter Knochen in einem schummrigen Raum, während auf einem kleinen Monitor mit ohrenbetäubender Lautstärke zu sehen ist, wie die Künstlerin in einem blutigen Kittel diese Knochen abschabt und reinigt. Überflüssig zu erwähnen, dass die Luft in diesem Raum ein übriges zur sinnlichen Evidenz dieser Installation tut.
Aber man ist hier darum bemüht, die Geschichte einer ganzen Region zu differenzieren. Die Ausstellung verweist immer wieder auf jene Traditionen der politischen und religiös inspirierten Kunst, die zu Zeiten kommunistischer Regime nur jenseits der Öffentlichkeit gediehen, als künstlerischer Widerstand, der vom westlichen Kunstbetrieb damals wenig beachtet wurde. Und der einmal für die Lage in Ex-Jugoslawien sensibilisierte Blick fällt auch auf die Nachbarregionen: Rumänien, während des zweiten Weltkriegs erst unter faschistischer, dann kommunistischer Drangsalierung, hat ebenfalls einen epochalen Kollaps hinter sich, wovon Cosmin Gradinaru mit einer Reihe ironischer Fotografien berichtet: Lauter bäuerliche Pferdefuhrwerke, die schrottreife, verrostete Autokarosserien meist westlicher Modelle transportieren: Modernisierung auf rumänisch.
Der Bulgare Nedko Solakov, der bald nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Sofia in die USA ging und inzwischen wie Abramovic zu den "global players" des Kunstmarktes gehört, hat sich seinerseits einen Reim auf seine kaputte Heimat gemacht. Auf einer großen, weißen Wand, die sonst ach so viele repräsentative Kunstwerke über Furcht und Elend des bulgarischen Volkes hätte aufnehmen können, hat er mit Filzstift die schlichte Mitteilung an das Publikum hinterlassen, dass dies keine "documenta" und daher das Publikum dieser Ausstellung für seine internationale Karriere bedeutungslos sei, weshalb ihm die Arbeit an einem Kunstwerk eigens für diese Schau zu anstrengend gewesen wäre. Damit ist in der Tat alles gesagt: über die Rolle von Kunst und Künstlern an der europäischen Peripherie, die von Bürgerkriegen zerfressen ist; über den westlichen Kunstmarkt und über sein leicht voyeuristisches Publikum - und über eine Ausstellung, die schwierig genug ist, um eine Reise wert zu sein.
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Für Shejla Kameric hängt dieses Bild freilich unmittelbar mit der Erinnerung an das Massaker von Srebrenica zusammen, das von den UNPROFOR-Truppen damals nicht verhindert werden konnte, manche meinen sogar, dass es gar nicht verhindert werden sollte. Das Graffiti aber wirft ein Licht nicht nur auf die Frauenverachtung unter den Soldaten, sondern auf die Verachtung des Balkan an sich durch die erhabenen Westeuropäer. Oder, mit den Worten des Philosophen Slavoj Zizek: "Der Balkan, das sind immer die anderen."
Mit der Präsentation von jungen Künstlern und Intellektuellen aus dieser Region kann man womöglich immer nur alles falsch machen: Zeigt eine Ausstellung die von Bürgerkrieg und Massakern blutig eingefärbten Werke von Künstlern, die ihre Bilder nach alter Tradition als politischen Protest verstehen, fängt man sich lauter politisch korrekte und betroffene Besucher ein, die das Leid in aller Welt beklagen. Der Kunstbetrieb aber wendet sich indigniert ab und erklärt das Ganze für regionale Kunst, die wegen der besonders schlimmen Lage in der Gegend nicht mit den internationalen Qualitätsstandards zu messen sei. Präsentiert man hingegen jene Künstler, die als international marktfähig gelten, beteiligt man sich dadurch automatisch an einem Prozess, den die meisten Künstler vor Ort als eine Art Kolonialisierung durch den westlichen Kunstbetrieb begreifen.
Das Museum Fridericianum und die Stadt Kassel haben das erkannt und beschreiten nun eine Art Mittelweg. Mit viel Emphase erklärt man sich zum "Zentrum für die Kunst Südosteuropas". Man zeigt hier 88 teils bekannte, teils aber auch völlig unbekannte Künstler aus 12 Ländern, darunter aber auch "westliche" wie Griechenland und die Türkei ebenso wie andererseits die Enklave Kosovo. Umgeben wird das Ganze von einem ausufernden Rahmenprogramm an Tagungen, Filmen, Diskussionen und Aktionen.
Unausweichlich drängt sich dabei die jüngste, blutige Geschichte des ehemaligen Jugoslawien in den Vordergrund. Allein von dort stammen weit mehr als ein Drittel aller Künstler der Ausstellung. Ein Hauptthema, von dem in verschiedenen Formen vor allem berichtet wird, nicht umsonst nennt sich die Ausstellung im Untertitel auch "Eine Reportage". Und sicherlich ist die Installation "Balkan Baroque" der schon international bekannten Serbin Marina Abramovic ein Hauptwerk: ein riesiger Haufen blank geputzter Knochen in einem schummrigen Raum, während auf einem kleinen Monitor mit ohrenbetäubender Lautstärke zu sehen ist, wie die Künstlerin in einem blutigen Kittel diese Knochen abschabt und reinigt. Überflüssig zu erwähnen, dass die Luft in diesem Raum ein übriges zur sinnlichen Evidenz dieser Installation tut.
Aber man ist hier darum bemüht, die Geschichte einer ganzen Region zu differenzieren. Die Ausstellung verweist immer wieder auf jene Traditionen der politischen und religiös inspirierten Kunst, die zu Zeiten kommunistischer Regime nur jenseits der Öffentlichkeit gediehen, als künstlerischer Widerstand, der vom westlichen Kunstbetrieb damals wenig beachtet wurde. Und der einmal für die Lage in Ex-Jugoslawien sensibilisierte Blick fällt auch auf die Nachbarregionen: Rumänien, während des zweiten Weltkriegs erst unter faschistischer, dann kommunistischer Drangsalierung, hat ebenfalls einen epochalen Kollaps hinter sich, wovon Cosmin Gradinaru mit einer Reihe ironischer Fotografien berichtet: Lauter bäuerliche Pferdefuhrwerke, die schrottreife, verrostete Autokarosserien meist westlicher Modelle transportieren: Modernisierung auf rumänisch.
Der Bulgare Nedko Solakov, der bald nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Sofia in die USA ging und inzwischen wie Abramovic zu den "global players" des Kunstmarktes gehört, hat sich seinerseits einen Reim auf seine kaputte Heimat gemacht. Auf einer großen, weißen Wand, die sonst ach so viele repräsentative Kunstwerke über Furcht und Elend des bulgarischen Volkes hätte aufnehmen können, hat er mit Filzstift die schlichte Mitteilung an das Publikum hinterlassen, dass dies keine "documenta" und daher das Publikum dieser Ausstellung für seine internationale Karriere bedeutungslos sei, weshalb ihm die Arbeit an einem Kunstwerk eigens für diese Schau zu anstrengend gewesen wäre. Damit ist in der Tat alles gesagt: über die Rolle von Kunst und Künstlern an der europäischen Peripherie, die von Bürgerkriegen zerfressen ist; über den westlichen Kunstmarkt und über sein leicht voyeuristisches Publikum - und über eine Ausstellung, die schwierig genug ist, um eine Reise wert zu sein.
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