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In den USA heißt es eher: Forschung oder Lehre

Auch wenn die US-amerikanischen Universitäten im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der modernen deutschen Universitäten nach Humboldtschen Ideal gegründet wurden: Die Einheit von Forschung und Lehre ist dort keineswegs selbstverständlich.

Von Beatrice Uerlings |
    Nach drei Jahren Forschung, endlich die ersten, viel versprechenden Ergebnisse: Annelise Barron hat ein künstliches Molekül geschaffen, das, so hofft sie, eines Tages zur Behandlung von Lungeninfektionen eingesetzt werden kann. Zeit, den Erfolg zu genießen, hat die Chemieprofessorin an der Northwestern University in Chicago jedoch nicht. Die nächste Vorlesung ist noch nicht vorbereitet, und draußen vor dem Labor warten schon zwei Studenten, deren Doktorarbeit sie betreut.

    Szenen aus einem Berufsalltag, wie ihn auch die deutschen Akademiker nur allzu gut kennen. Es ist ein permanenter Wettlauf gegen die Uhr, ein ständiges Hin und Her zwischen Lehr- und Forschungsauftrag. Auffallend ist jedoch, dass Annelise Barron die Überbelastung gerne in Kauf nimmt, Klagen kriegt man von ihr nicht zu hören.

    Ich habe vielleicht zu viel Energie. Ich verwirre die Leute, weil ich immer von einem Thema zum anderen springe.

    Keine Frage: Die Professorin weiß es zu schätzen, dass sie an einer Universität beschäftigt ist, wo sie neben ihrer Lehrtätigkeit auch forschen kann. Das ist in den USA alles andere als selbstverständlich. Zwar gab es Ende des 19. Jahrhunderts Bemühungen, die deutsche Einheit von Forschung und Lehre auf die amerikanischen Hochschulen zu übertragen; doch da das Bildungswesen in den USA nicht zentral staatlich geregelt ist, haben sich diese nur bedingt durchgesetzt.

    Das System unterscheidet bis heute zwischen Forschungsuniversitäten und reinen Lehranstalten: An den so genannten "Colleges", die nur den klassischen Ausbildungsgang bis zum ersten akademischen Grad anbieten, wird nicht geforscht.

    Hinzu kommt: Viele Forschungsuniversitäten in den USA finanzieren sich aus Drittmitteln und das meiste Geld kriegt, wer ein hohes Ranking hat. Erfahrene Professoren werden deshalb nicht selten von ihrer Lehrpflicht befreit, damit sie sich voll und ganz auf das konzentrieren können, was die Universität nach außen hin repräsentiert.

    Daran hat sich auch Volker Lehman erst einmal gewöhnen müssen. Der deutsche Biologe arbeitet seit kurzem an der City University of New York. Von seiner Forschertätigkeit in Jena ist ihm dort nur wenig geblieben. Auf dem Schreibtisch häufen sich Korrekturen und Seminarabläufe ... lauter Sachen, die sein Doktorvater nicht mehr zu machen braucht.

    Zum Thema Einheit von Forschung und Lehre in den USA muss man sagen, dass es die, so wie wir sie in der Form in Deutschland kennen, gar nicht gibt. Das ist einfach sehr stark separiert innerhalb einer Uni. Die Professoren haben nicht den Auftrag beides zu machen. Das sind hauptsächlich Topforscher, deren Aufgabe darin besteht zu forschen. Sie werden eingekauft, weil sie große Namen haben und spektakuläre Forschung betreiben. Hier geht es einfach um viel Prestige: die Leute publizieren und das ist dann, was letztendlich die Universität nach außen repräsentiert. Die Lehre wird von Aushilfsprofessoren, Lehrbeauftragten oder Studenten gemacht. Teil des amerikanischen Ausbildungssystems, wenn man ein PHD in den USA macht, ist, dass man ab einem bestimmten Zeitpunkt anfängt Undergraduates zu unterrichten, also Leute die in den ersten Jahren ihres Studiums sind, und sich damit die Erfahrung und Lehrmethoden aneignet.

    Ein weiterer, transatlantischer Unterschied: Die ältesten und renommiertesten US- Universitäten in den Staaten sind private Einrichtungen und unterstehen keinem Forschungsauftrag im Interesse der Öffentlichkeit. Ob Harvard, Yale oder Stanford: Sie alle werden wie Firmen gemanaged und vermarkten deshalb einen großen Teil des Wissens, das sie kreieren. Noch einmal Volker Lehman:

    Als ein wichtige Einkommensquelle hat sich mittlerweile das Patentieren von Forschung, die an Universitäten stattfindet, herauskristallisiert. Das ist zum Beispiel auf dem Gebiet der Biotechnologie der Fall, bei der Medikamentenentwicklung, wo sich die Einkommen auf Patente auf bis zu Hunderte Millionen von Dollar belaufen können. Aus dieser Logik heraus erklärt sich auch, in welche Richtung vor allem geforscht wird: Medizin hat sich als Schwerpunkt etabliert. Das Forschungsbudget hat sich in den letzten 5 Jahren auf 25 Milliarden Dollar verdoppelt. Und ja, in dem Sinne verhält sich eine Uni eigentlich nicht mehr anders als eine normale pharmazeutische Firma, die ihre Erfindungen patentiert.

    Aus der Sicht von Wirtschaft und Wissenschaft hat sich das System bewährt: Die USA stehen unangefochten an der Spitze der internationalen Forschung, die meisten Nobelpreisträger sind Nordamerikaner, und auch die meisten Patentinhaber. Mit der Lehre sieht es allerdings anders aus: Die fähigsten Akademiker wandern in die Privatwirtschaft oder zu den Eliteuniversitäten ab. Die Kluft zwischen einer kleinen Bildungselite und einer Masse von schlecht ausgebildeten Hochschulabgängern vergrößert sich zusehends. Auch darüber gibt es klügste Studien u.a. aus: Harvard ...