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"In der Altstadt von Göttingen gibt es plötzlich keine Straßen mehr"

Mobilität.- Apple legt eigentlich großen Wert darauf, dass seine Anwendungen besonders einfach zu bedienen sind. Umso verwunderlicher ist es, dass diese Maxime bei der neuen Karten-App eher nicht eingehalten wurde.

Wissenschaftsjournalist Marcus Schuler im Gespräch mit Manfred Kloiber |
    Manfred Kloiber: Da hat sich Apple ganz schön blamiert, mit seiner neuen Karten-App für Smartphones und Tablets. Seit Tagen muss sich das kalifornische Unternehmen herbe Kritik gefallen lassen. Auslöser war ein Update des iOS-Betriebssystems für mobile Geräte von Version 5 auf 6. Marcus Schuler, Apple umgibt sich ja gerne mit dem Image kinderleicht zu bedienender Anwendungen. Aber was ist da wohl schief gelaufen?

    Marcus Schuler: Auslöser für das bislang einmalige Debakel war das Software-Update, das Sie gerade angesprochen haben. Das Unternehmen hatte dieses für seine Smartphone- und Tablet-Nutzer in der vergangenen Woche zur Verfügung gestellt. iOS 6, so die Versionsnummer des Betriebssystems, bringt einige positive Neuerung mit sich, wie zum Beispiel eine Verbesserung beim Datenschutz: Man kann jetzt zum Beispiel sehen, welche Apps auf welche Daten im Telefon zugreifen. Neu ist aber auch eine Karten-App. Und diese App hat Apple selbst programmiert. Das Unternehmen greift dabei nicht mehr auf die Karten des Suchmaschinen-Unternehmens Google zurück und dessen Daten dazu, sondern es bedient sich verschiedener Anbieter wie beispielweise dem holländischen Geodaten-Unternehmen TomTom.

    Kloiber: Und die Daten vom TomTom – sind die jetzt fehlerhaft oder was funktioniert nicht mehr?

    Schuler: Die Karten der holländischen Firma scheinen nicht das Problem zu sein. Vielmehr liegt die Ursache wohl in der Datenbank von Apple selbst. In dieser sind nämlich alle geografischen Daten gespeichert und diese Daten werden über die Karten von TomTom gelegt und mit ihnen verknüpft. Konkret: Teile von Berlin liegen plötzlich in Brandenburg. In der Altstadt von Göttingen gibt es plötzlich keine Straßen mehr. Auch die Navigationsfunktion scheint schlecht programmiert: Wer in Kopenhagen am Flughafen vorbeifährt, dem wird möglicherweise eine Route über das Rollfeld des Flughafens empfohlen. Und Sarajevo hat plötzlich keinen Fluss mehr. In Köln werden Geschäfte angezeigt, die es schon seit Jahren nicht mehr. Diese Liste ließe sich für viele hundert Orte weltweit fortsetzen. Zum Teil entpuppen sich die Fehler aber erst, wenn man eine bestimmte Vergrößerungsstufe einschaltet und die Satellitenbild-Funktion aktiviert.

    Kloiber: Was sagt denn Apple selbst zu dieser Panne? Wie konnte es diesem Unternehmen passieren, das ja auf extrem hohe Benutzerfreundlichkeit so großen wert legt?

    Schuler: Bei Apple gibt man sich dieser Tage sehr, sehr kleinlaut. Man arbeite mit Hochdruck an einer Verbesserung der Datengenauigkeit. Wenn man realistisch ist, müssen viele Millionen Benutzer auch in den kommenden Tagen weiterhin mit diesen Unzulänglichkeiten in der App leben. Google hat Jahre dafür gebraucht, um die Genauigkeit seines Kartenmaterials in der heutigen Qualität zu erreichen. Das Suchmaschinen-Unternehmen hat mittlerweile für mehr als 26 Millionen Straßen-Kilometer in 187 Ländern in seiner Navigationsdatenbank die entsprechenden Hinweise hinterlegt. Anfangs, so erzählt man bei Google, hat man wohl viele Daten zunächst nur als Lizenz eingekauft und sie dann nach und nach mit eigenen Satellitenaufnahmen, mit Daten der Streetview-Autos und durch die händische Eingabe verbessert. Insgesamt besteht solch eine Datenbank für Navigationsdaten nach Schätzungen aus mehreren Peta-Bytes. Auch sammelt das Unternehmen, ebenso wie Apple, anonymisierte Daten von den Smartphones und versucht dadurch, die Genauigkeit ständig zu verbessern.

    Kloiber: Da fragt man sich natürlich: Warum musste Apple das Rad neu erfinden? Oder andersrum gefragt: Warum ist Apple nicht einfach beim Kartenmaterial von Google – das ja funktionierte – geblieben?

    Schuler: Es gibt das Gerücht, dass die Lizenz von Google für die Nutzung seiner Karten-App auch noch für das nächste Jahr weitergelaufen wäre. Also bis rein in 2013. Das Technologie-Blog The Verge berichtet, dass man bei Apple aber im Juni entschieden habe, sich von dem Konkurrenten loszusagen. Google produziert ja selbst ein Konkurrenz-Betriebssystem für Handys und Tablets: Android. Bei Google selbst gibt es jetzt widersprüchliche Äußerungen: Angeblich arbeite das Unternehmen an einer eigenen App, die sie den Apple-Nutzern bis zum Jahresende zur Verfügung stellen will. Der ehemalige CEO des Unternehmens, Eric Schmidt, hat aber genau das dementiert und gesagt, man habe mit den Arbeiten an der neuen Karten-App noch gar nicht begonnen. Wenn Google tatsächlich eine Karten-App für das konkurrierende iOS-System erstellt, so spekuliert man, müsste sich Apple öffentlich erklären, dass es nämlich solch eine Anwendung für sein System überhaupt zulässt.