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In der dunklen Nische

Die meisten der weltweit rund 1000 Bienenarten arbeiten von Sonnenaufgang bis -untergang. Einige indische Bienen aber sind Nachtschwärmer: Sie bleiben tagsüber im Bau und gehen nach Einbruch der Dunkelheit auf Pollensuche. Dabei haben sie sich keineswegs auf Pflanzen verlegt, die nur nachts blühen, wie indische Biologen herausgefunden haben.

Von Joachim Budde | 18.09.2013
    Wie drei Tropfen Bernstein glänzen die Ocelli, die Punktaugen auf der Stirn der indischen Holzbiene Xylocopa tranquebarica. Zusammen mit den besonders großen und lichtempfindlichen Facettenaugen erlauben sie es den Insekten sich nachts hervorragend zu orientieren, sagt Dr. Hema Somanathan. Die Biologin vom Indian Institute of Science, Education, and Research in Kerala, im Südwesten des Landes, beschäftigt sich seit Jahren mit diesen Bienen.

    "Wir wissen nicht, wie genau sie funktionieren, aber diese Ocelli müssen einfache Augen sein. Bei Insekten, die im Dunkeln aktiv sind, sind sie besonders groß - wie bei den Holzbienen. Sie sind sogar in stockfinsteren Neumondnächten unterwegs, finden Blüten und navigieren durch den Wald zu ihrem Nest, einem winzigen Loch in einem Baum. Sie müssen wirklich sehr gut sehen können."

    Diese Holzbienen sind etwa viermal so groß wie Honigbienen, ihr Hinterleib ist deutlich runder. Sie leben im Westgaths, einer Gebirgskette, die sich die Westküste Indiens entlangzieht. Anders als Honigbienen sind die Holzbienen Einzelgänger, sie bohren Baumstämme an und legen in diese Tunnel ihre Eier.

    Auf der Suche nach dem Grund, warum die Holzbiene diese dunkle ökologische Nische besetzt, haben sich Somanathan und ihre Kollegen auch den Speiseplan der Insekten angesehen.

    "Wir haben erwartet, dass sie einzigartige Ressourcen benutzen. Doch sie verwenden die gleichen Pflanzen wie die tagaktiven Bienen. Warum also sind diese Holzbienen nachts unterwegs?"

    Hema Semanathan vermutet, dass Fressfeinde Xylocopa tranquebarica im Laufe der Evolution in die Nacht gedrängt haben. Denn genau wie verwandte Holzbienenarten nistet sie in Bäumen einer bestimmten Art, sagt die Biologin.

    "Wir haben uns die Holzqualität dieser Baumart angesehen, die Härte des Holzes, ihr spezifisches Gewicht. Die tagaktiven Holzbienenarten nisten in Bäumen mit festerem Holz, sie haben die nachtaktive Art vermutlich aus diesen guten Bäumen verdrängt."

    Die schlechten Bäume bieten weniger Schutz gegen die grün gefiederten Asiatischen Bartvögel, die mit ihren stabilen Schnäbeln die Gänge der Holzbienen aufpicken.

    "Und dann fressen sie die Brut und die Nahrungsvorräte. Die erwachsenen Holzbienen kommen aus dem Nest heraus und greifen die Vögel an, um sie zu vertreiben. Weil diese Bienen häufiger Opfer solcher Nesträuber werden als die tagaktiven Arten, vermuten wir, dass sie tagsüber zu Hause bleiben, um ihr Nest zu schützen und sich deshalb im Laufe der Evolution nach und nach auf ein Leben in der Nacht verlegt haben."

    Die Analyse ihrer Nahrungspflanzen hat außerdem ergeben, dass diese Bienen eine wichtige Rolle im Ökosystem spielen, sagt Hema Semanathan:

    "Zum einen bestäuben die Holzbienen zahlreiche Gemüsesorten. Zum anderen können sie bis zu 25 Kilometer weit fliegen, weil sie so groß sind, darum sind sie besonders effektiv. Außerdem sorgen die Bienen dadurch für Genfluss: Die Wälder im Westgaths werden immer stärker zerstückelt. Diese Bienen transportieren Pollen zwischen den isolierten Waldflächen hin und her. Ich glaube, dass ihr Potenzial als Bestäuber stark unterschätzt wird."