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In der Fremde

Fremde in der Heimat von Toblerone und Alpen, Banken und Seen sind für die Eidgenossen eine vergleichsweise neue Erfahrung. Das Historische Museum Basel geht in einer Ausstellung nun der Rolle der Schweiz als Einwanderungsland auf den Grund.

Von Christian Gampert | 25.09.2010
    Die alte Grenzstadt Basel, ein Ort des Handels, der Kultur, der Universität, heute auch der Industrie und der Banken, verdankt vieles den Zugewanderten – Erasmus von Rotterdam oder Hans Holbein, die lange hier lebten, werden von der Stadt gern vereinnahmt. Es gibt aber auch die, die gehen mussten, aus religiösen Gründen oder aus wirtschaftlicher Not. Entscheidend ist die 1529 auch in Basel siegreiche Reformation: die Altgläubigen mussten weichen. Wenig später aber suchten Protestanten vor allem aus Oberitalien Schutz in Zürich – und in Basel. Die Kuratorin Margret Ribbert:

    "Basel ist bekannt dafür, dass es in der Zeit der Gegenreformation viele Glaubensflüchtlinge aufgenommen hat; sie haben das Seidenbandgewerbe, überhaupt Textilindustrie in großem Maßstab nach Basel gebracht. In dieser Ausstellung sieht man aber auch, dass Basel selbst auch Glaubensflüchtlinge kreiert hat, indem nämlich mit Einführung der Reformation diejenigen, die beim alten Glauben blieben, die Stadt verlassen haben. Das waren natürlich die Angehörigen der verschiedenen Orden; also Mönche und Nonnen sind von Basel weggegangen. Genauso ist der Bischof und das Domkapitel ins Exil gegangen."

    Der Ort der Ausstellung selbst, die Barfüßerkirche, die heute das Historische Museum beherbergt, wurde damals von den katholischen Mönchen verlassen und später als Salzlager benutzt. Andere gingen aus purer Neugier oder des Geldes willen, Handelsherren und Forschungsreisende, die sich zumeist in großformatigen Porträts verewigen ließen. Das taten aber auch manche Zugewanderte, Buchdrucker, Seidenbandfabrikanten, die Know-how mitbrachten, in Basel ihr Glück machten und eingebürgert wurden. Auch politische Flüchtlinge waren willkommen; die Basler Juden dagegen blieben französische Bürger.

    Die Schwierigkeit der eher kleinteilig vorgehenden Ausstellung, die viel Geduld und Lesearbeit verlangt, ist die simple Tatsache, dass es aus den unteren Schichten so wenige Exponate gibt. Die höheren Stände sind mit großartigen Reiseapotheken aus dem 18.Jahrhundert vertreten, mit Stammbüchern, Büsten und Bildnissen ihrer Diplomaten und Gelehrten – der aus Berlin immigrierte Germanist Wilhelm Wackernagel war Basler Ortsheiliger, und die Mathematiker-Familie Bernoulli machte in Basel nur Zwischenstation. Vom armen Bäckergesellen dagegen sieht man höchstens das Wanderbuch, von den Schauspieltruppen die Plakate, von der Auswanderungsagentur nach Amerika die Anzeigen. Tagelöhner und Fabrikarbeiter stehen nur in Adressbüchern, sonst gibt es wenig.

    Es gibt aber Zeugnisse von der Basler Mission, die ab 1815 die protestantisch-pietistische (auch süddeutsche) Elite in alle Welt schickte, die Menschheit zu bekehren – aber ist das Migration? Heimweh hatten offenbar vor allem die, die ganz unfreiwillig die Heimat verließen – eine Basler Dissertation von Johannes Hofer untersucht diese weitverbreitete Krankheit schon1688, allerdings mit abstrusen Thesen.

    Heimweh hatten sicher jene Italiener, die den Schweizern ab Ende des 19. Jahrhunderts Straßen und Tunnelröhren durch die Alpen gruben und schließlich auch in Basel Brücken, Bahnhöfe und Eisenbahnlinien bauten. Margret Ribbert:

    "Die ganze Stadt wuchs in kurzer Zeit enorm stark. Es gab unendliche viele Baustellen in der Stadt. Und all diese vielen italienischen Bauarbeiter, die sich auch sehr stark gewerkschaftlich zusammengeschlossen haben, die sind mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wieder nach Italien zurückgegangen. Deshalb denkt man an sie gar nicht mehr, weil ihre Spuren sich weitgehend verloren haben."

    Aber Ende der 1950er-Jahre kamen die Italiener wieder und arbeiteten in Fabriken und im Straßenbau. Und diesmal blieben sie: In Basel leben jetzt die zweite und dritte, schwyzerdütsch sozialisierte Generation – und viele andere Nationalitäten. Die Ausstellung aber verneigt sich am Ende vor all jenen, die in der Fremde gestorben sind – vielleicht doch auch in einer heimatlichen Fremde: Eine ganze Fotowand zeigt Grabsteine unterschiedlichster Sprachen auf dem Basler Friedhof "am Hörnli".