Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


In der Ruhe liegt die Kraft

Schon der berüchtigte Räuber Schinderhannes ist durch den Soonwald geschlichen, wenn er sich nach Diebstählen und Raubüberfällen unsichtbar machen wollte. Und auch heute kann man im Soonwald verschwinden – für Stunden oder Tage, weit, weit weg vom Alltag.

Von Anke Ulke | 06.06.2010
    Ein Schwarzspecht klopft fleißig Löcher in einen alten Fichtenstamm und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Wo es wenig Menschen gibt, sind die Tiere zu Hause. Im Soonwald versteckt sich die scheue Wildkatze und brütet der bedrohte Schwarzstorch. Beide Tierarten sieht kaum jemand. Wer still ist, kann aber Rotwild oder sogar einen kapitalen Hirsch auf einer Lichtung grasen sehen, erzählt Naturparkführer Rainer Wilms, der oft allein unterwegs ist. Doch wer heftig keuchend nach einem langgezogenen Anstieg mit dem Rad auch noch plaudernd die Karte wälzt, bleibt einsam. Dafür gibt es geografischen Durchblick

    "Sie haben jetzt fast den höchsten Punkt erreicht, am Meilerspring, Wir sind jetzt oben auf dem Kamm und werden jetzt auf dem Rennweg, gen Westen fahren, bis wir eine Abfahrt haben und können dann runterfahren zur Bollinger Eiche, das ist die älteste und größte Eiche im Soonwald und die werden wir uns angucken und werden sie vermessen und mal sehen, ob sie im letzten Jahr noch gewachsen ist."

    Unten am Wanderparkplatz Glashütte ging es los. Glashütten hat es einige gegeben im Soonwald. Und Raubbau am Holz, damals vor rund 300 Jahren. Denn zur Glasschmelze brauchte man viel Pottasche. Aus sehr viel Holzkohle. Vom Soonwald blieb damals kaum etwas übrig:

    "Bei Seesbach gibt’s den Verbotenen Soon, da war Betreten verboten und Holzabbau verboten, weil dort Holz stehen gelassen wurde, um vernünftiges Bauholz zu haben. Dass dicke Stämme da waren, lange Stämme, dass was da war, so man was draus bauen konnte, weil ansonsten war es ja so schlimm, dass sogar die Baumstümpfe und das Laub, alles wurde aus dem Wald geschafft und dadurch wurde der Boden immer ärmer, wurde sauer und das führte dahin, dass bei den Wiederforstungsmaßnahmen die dann 1800 anfingen, Fichten gepflanzt wurden, weil die noch mit dem Boden zurecht kamen."

    Bis Sturmtief Wiebke kam und zahllose Fichten knickte wie Streichhölzer. Seitdem wird der Soonwald wieder mehr und mehr zum abwechslungsreichen Mischwald.

    Weiter geht’s zur mächtigen Bollinger Eiche, die nach einem alten Förster benannt ist und die in den letzten 250 bis 300 Jahren schon vieles gesehen und vor allem überlebt hat. Das Prachtstück ist nicht mehr ganz rüstig, die Eiche hat einige trockene Äste und ist von Moos bedeckt. Doch sie steht noch und trotzt Wind und Wetter. Rainer Wilms zückt das Maßband:

    "Das Messen passiert in einem Meter Höhe, Sie halten fest, dann werden wir mal um den Baum herumgehen und werden sehen, ob sie vom letzten Jahre noch zugelegt hat, okay? Halten wir mal hin, haben wir einen Meter, halte fest, um den Baum gehen, so da sind mer! Da komm ich wieder, so sehen Sie, 5,43 Meter, das ist doch schon eine stolze Länge, Umfang für einen Baum."

    Nach Worscht, Weck und einem kleinen Schluck Woi geht es weiter auf holperigen Waldwegen, bis zu einer verwunschenen Lichtung, einem früheren Hutewald mit alten Eichenbäumen, unter denen die Bauern einst ihre Rinder und Schweine mästen konnten. Zum Schluss führt die Tour lange bergab, Rainer Wilms wuchtet die Räder aufs Auto und fährt zurück nach Gebroth, zur Fruchtkelterei Merg, am Rande des Großen Soonwaldes, für eine kurze Erfrischung.

    "Was sollen wir zuerst probieren. Fangen wir beim Appelsaft an, Rainer komm, trinken mer, Apfelsaft tut dir nix. Quitten ist besonders (..) der Saft hat einen besonderen Geschmack. Die Zähne rutschen dann nicht mehr so richtig über die Lippe, oder die Lippe nicht mehr über die Zähne, und dann hat mer die Quittenpower. Das trinken viele Leut gern, die nicht so süß trinken, sondern lieber herbere Sachen trinken wollen. Probiert mal."

    Die Fruchtsäfte und -gelees von Merg sind Landschaft, die man trinken und essen kann. Es gibt Dornröschen-, Quitten- und Holundergelees, Apfelkirschsaft und für die Damen süßen Holunderwein. Alles aus heimischen Früchten, die Bauern und Privatleute aus der Umgebung abliefern. Der Verein Soo-Nahe vermarktet Produkte der Region, Biobauern, Winzer, Gasthöfe und sogar ein Naturkräutergarten sind Mitglieder. Rolf Merg hat sich seinen kleinen Betrieb in 20 Jahren nebenher aufgebaut. Und ist stolz auf seine Maschinen, die seltene Sorten wie Bohnapfel, Kaiser Wilhelm, oder Winterrambur schonend zu Saft verarbeiten:

    "Wir liegen hier auf einer Höhenlage von 365 Metern, das ist über uns der große Soonwald mit 20 Kilometern Ausdehnung und wir hier auf unserer Höhe haben besondere Obstsorten, alte Streuobstsorten mit säurereichen Äpfeln. Das gibt einen besonderen Saft, der sehr gern getrunken wird."

    Wer Äpfel liefert, bekommt einen Apfelpass und kann sein Obst dann nach und nach abtrinken – gezahlt wird nur der Arbeitslohn. Ein System, von dem beide, Lieferant und Produzent profitieren. Am nächsten Tag geht es auf Kräuterwanderung. Feste Schuhe und dicke Jacken sind nützlich, wenn man von Naturführerin Sandra Minninger lernen möchte, wie Brennnessel wirkt, Schlüsselblume heilt und Bärlauch schmeckt. Kräuter gibt es im ganzen Jahr, die meisten wachsen im Frühling, wie das Scharbockskraut, einst hilfreich gegen Skorbut, denn die kleinen Blättchen haben sehr viel Vitamin C. Doch sobald sich erste Blüten zeigen heißt es – Finger weg!

    "Sobald die Pflanze blüht ist Ende. Das heißt, sie wird sehr scharf und vor allen Dingen giftig. Das ist ganz wichtig zu wissen, die darf man nur vor der Blüte sammeln."

    Tabu sind auch die süß duftende orange-gelbe Echte Schlüsselblume und heimische Orchideenarten wie Helm-Knabenkraut, oder Bocks-Riemenzunge, denn sie stehen unter Naturschutz. Doch Sandra Minninger hat auch Tipps für Pflanzen die wachsen wie Heu und bei Insektenstichen helfen:

    "Wenn Sie mal wirklich gestochen werden sollten, dann ist bestimmt in nächster Nähe auch ein Spitzwegerichblatt zur Hand, das nehmen sie dann, drücken es und legen es mit dem Blattsaft direkt auf die betroffene Stelle und eigentlich wirkt das ganz gut. Auch bei Halsweh und Heiserkeit, nimmt man ein Blättchen und wäscht das, legt’s in den Mund und kaut darauf rum und meistens nach einigen Minuten tritt dann schon eine Besserung ein."

    Am plätschernden Gräfenbach gibt es ein Picknick mit selbstgemachtem Kräuterquark auf Roggenbrot und einen feinen Birnenbrand. Die Gäste sind begeistert vom Quark der Saison):

    "Quark, Paprika, Olivenöl, Bärlauch, Löwenzahn und ein bisschen Gundermann, der noch nicht geblüht hat, Salz Pfeffer, gut vermischt, die Farbe ist vom Öl und Paprika. Wie schmeckt er? Superb. Besser geht es nicht. – Der Bärlauchquark ist superlecker, sehr erfrischend und schmeckt sehr angenehm nach Bärlauch."

    Nur für Frühaufsteher, heißt es am nächsten Morgen um sieben! Der Lehrer und Hobbyornithologe Karl-Heinz Fuldner ist zusammen mit Irene Gellweiler auf Vogelstimmenfang. Am Ufer der Nahe, in die der Soonwald ausläuft, schmettern rund um die Ewaldschen Klärteiche in Bad Sobernheim alltägliche und seltene gefiederte Sänger um die Wette

    "Ist das jetzt die Sumpf-, Kohl-, oder Weidenmeise?"

    "Dieses dididi, ist typisch für die Weidenmeise."

    "Und hier links? Guck mal, die putzt sich so richtig schön gerade da im Morgenlicht."

    "Die sind kaum auseinander zu halten, oder? Auf die Entfernung? Die Weidenmeise hat ein bisschen stumpferes Schwarz auf der Kappe oben drauf, bisschen breiter und bisschen massiger, weil dieses twitt twitt macht nur die Weidenmeise. Daran hab ich sie gleich erkannt."

    Grasmücken, Rotkehlchen, Singdrosseln – etwa 80 verschiedene Arten gibt es noch rund um die einstigen Klärteiche – allen voran – die Nachtigall.

    "Außerdem ist die Singdrossel im Hintergrund und die Mönchsgrasmücke. Die Nachtigall dominiert aber – dieses Schlagen – und Schluchzen."

    Vor wenigen Jahren führten die Klärteiche der Ewaldwerke noch Wasser, da gab es bis zu 120 Arten. Doch seitdem es die neue Kläranlage gibt, sind die Teiche trocken, viele Vögel kommen nicht mehr. Karl-Heinz Fuldner:

    "Das ist der größte dieser Klärteiche, da steht am meisten von dem Schilf noch drin, das ist halt sehr schade, dass der fast überhaupt kein Wasser mehr enthält, wir möchten gern Wasser reinpumpen mit einer solarbetriebenen Pumpe, damit sich da das Schilf regenerieren kann und neu entwickeln kann."

    Rohrammer, Teichrohrsänger, Sumpfrohrsänger – sie alle könnten wiederkommen, wenn Firma und Vogelschützer zusammenarbeiten würden.

    Die Nachtigall trällert steinerweichend und Karl-Heinz Fuldner träumt den Traum vom Vogelbiotop. Vielleicht hilft der betörend schöne Gesang des schlicht-braunen Sperlingsvogels bei der Überzeugungsarbeit. Natur liebende Frühaufsteher und neugierige Besucherinnen würden sich sicherlich freuen auf kostenlose Konzerte zwischen Wald und Weide am Rande des Soonwaldes.