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In der Ruhe liegt die Kraft

Psychologie. - Geht es auf Weihnachten zu, hält es die lieben Kleinen kaum mehr, und wird in Verstecken nach den Geschenken gefahndet. Dabei gilt Geduld unter Anthropologen als eine rein menschliche Tugend. Das sollte vielleicht revidiert werden, denn eine Untersuchung belegt, dass Menschenaffen auch Nervenstärke beweisen können.

Von Kristin Raabe |
    Einen Geduldstest zu finden, der bei Affen und Menschen gleichermaßen funktioniert war erst mal gar nicht so einfach. Jeffrey Stevens vom Berliner Max-Planck-Institut überlegte einfach, was seine Versuchspersonen besonders gerne essen:

    "Wir haben Ihnen die Wahl gelassen zwischen zwei Stückchen Schokolade und sechs Stücken Schokolade. Die kleinere Menge gab es sofort, auf die sechs Stückchen Schokolade mussten unsere Versuchspersonen allerdings zwei Minuten warten. Dasselbe haben wir dann mit den Schimpansen gemacht. Zwei Weintrauben jetzt oder sechs Weintrauben zwei Minuten später. Wenn wir Menschen also tatsächlich so geduldig sind, dann müssten wir die Menschenaffen in diesem Test schlagen, denn natürlich können wir zwei Minuten warten."

    Um sicher zu gehen, dass seine menschlichen Studienteilnehmer nicht aus Angst vor zuviel Kalorien die kleinere Portion Schokolade wählten, bot ihnen Jeffrey Stevens auch kalorienarme Alternativen an. Außerdem fragte er seine Testpersonen, ob sie hungrig waren. Wer angab, völlig satt zu sein, schied aus. Soweit der amerikanische Biologe es einschätzen konnte, waren die Versuchsbedingungen für Menschen und Menschenaffen absolut vergleichbar. Umso überraschender war dann allerdings das Ergebnis der Geduldsexperimente.

    "Tatsächlich kam bei unserem Experiment heraus, dass die Schimpansen in 75 Prozent der Fälle zwei Minuten lang auf die sechs Weintrauben gewartet haben, während die Menschen nur in 25 Prozent der Fälle auf ihre sechs Stückchen Schokolade warteten. Sie waren also nicht nur nicht gerade supergeduldig, sondern sogar weniger geduldig als die Schimpansen in dieser besonderen Testsituation."

    Eng mit den Schimpansen verwandt sind die Bonobos, trotzdem waren sie in den Tests viel ungeduldiger. Aber dafür hat der amerikanische Biologe eine Erklärung.

    "Bonobos essen in ihrer natürlichen Umgebung Gras und kleine Pflanzen, die am Boden wachsen. Sie sind also ständig von Nahrung umgeben und müssen nie auf Essen warten. Die Schimpansen sind eher auf Früchte spezialisiert. Die wachsen aber nicht überall, zwischen den einzelnen Fruchtbäumen müssen sie Distanzen überwinden. Sie müssen auf dem Weg von einem Futterbaum zum nächsten also geduldig sein. Aufgrund der Unterschiede in ihrer Lebensweise hatten wir schon vor unseren Experimenten die Hypothese aufgestellt, dass Schimpansen geduldiger sind als Bonobos. Und das war dann auch tatsächlich der Fall."

    Die Erklärung für die Ungeduld der menschlichen Versuchspersonen in dem Experiment ist allerdings nicht ganz so leicht. Möglicherweise hatten unsere frühsten Vorfahren eine ähnliche Lebensweise wie die Bonobos, die auch genetisch enger mit den Menschen verwandt sind als die Schimpansen. Als Jeffrey Stevens denselben Test mit Geld durchführte, zeigten sich seine Versuchspersonen schon deutlich geduldiger.

    "Symbolische Belohnungen wie Geld können anscheinend den starken menschlichen Impuls, der Zukunft nicht zu trauen, entkoppeln. Nahrung ist etwas, dass wir jetzt brauchen, wir können sie nicht ohne weiteres lagern. Jedenfalls war in unserer evolutionären Vergangenheit die Lagerung von Lebensmitteln ein großes Problem. Nahrung ist also etwas, dass wir sofort verwerten wollen, weil wir es meistens so schnell nicht wieder bekommen."

    Anscheinend hat daran auch die Erfindung von Kühlschränken und Gefrierboxen nichts geändert.