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In der Seele ein Deserteur. Cahiers 1957-1972

Ich habe nur dann geschrieben, wenn ich nichts anderes hätte machen können - aus Notwendigkeit. Ich will sagen, meine Bücher, meine Schriften geben nur teilweise ein Bild von dem, was ich gelebt und auch gesagt habe. Denn ich schreibe nur, wenn ich deprimiert bin, im Zustand der Verlassenheit und der Verzweiflung. Ich könnte sagen, die Verzweiflung in mir ist eine tägliche Erfahrung. Auf französisch ist der Ausdruck ,cafard'; es gibt kein deutsches Wort dafür, vielleicht 'Katzenjammer' oder so ähnlich.

Khosrow Nosratian |
    So klingt die Stimme des rumänischen Schriftstellers Emile Cioran. Er hat den Katzenjammer stilsicher inszeniert. Schon die pointierten Titel seiner Bücher sind Programm. Sie drücken eine alles umfassende Katerstimmung aus: Syllogismen der Bitterkeit , Dasein als Versuchung , Lehre vom Zerfall , Die verfehlte Schöpfung . In seiner Wahlheimat Paris erforschte der berufslose Privatdenker die Nachtseiten des Menschenlebens. Er hat das Hohe Lied der verkrachten Existenz intoniert. Die verfehlten Vorstellungen standen ihm nahe, die nutzlosen Leidenschaften waren ihm vertraut, den vergeblichen Mühen fühlte er sich verwandt. Im Scheitern wollte er den Sinn des Lebens erfasst haben.

    Ich habe immer nur über dieselben Probleme, dasselbe geschrieben. Es ist ein Wiederkäuen, ein unendliches Wiederkäuen von unmöglichen Sachen, von jemandem, der abseits gelebt hat und willentlich unnötig war.

    Zwischen 1957 und 1972 hat Cioran fast täglich Aufzeichnungen verfertigt. Eine Auswahl der 34 Notizhefte ist nun bei Suhrkamp erschienen. Es handelt sich um Sudelbücher der melancholischen Grübelkunst. Schon der erste Kladdeneintrag ist wegweisend.

    Mein Skeptizismus ist vom Taumel nicht zu trennen, ich habe nie verstanden, wie man aus 'Methode' zweifeln kann.

    Also ein Mystiker. Sehr bewusst hat er sich im Abseits des logischen Rationalismus eingerichtet. Er hat den Zweifel aus dem cartesianischen Modell der Gewinnung von Gewissheiten gelöst. Der Taumel usurpiert den archimedischen Punkt in Ciorans Weltsicht.

    Ich bin ein Brüll-Philosoph. Meine Ideen, wenn es überhaupt welche gibt, bellen, sie erklären nichts, sie bersten.

    Der Taumel, der Schrei und der Sturz bilden eine stets erneuerte Sequenz in den Fragmenten Ciorans. Sie beschreiben ein Mosaik aus Trümmern und Ruinen, ein Puzzle aus Schlamm und Scherben.

    Ein haltloser Mensch werden, eine Nutte, im Schlamm absacken. Danach unter der Last und dem Terror der Schande explodieren, und sich fangen, indem man seine eigenen Scherben aufsammelt.

    Solche Zitate ließen sich beliebig vermehren. Sie zeigen Ciorans typischen Habitus. Die Selbstentwertung steuert das Ritual der ekstatischen Konfession. Der Exzess der Erniedrigung ist beinahe zur Routine geworden:

    Meine einzige Ausrede: ich habe nichts geschrieben, das nicht einem tiefen Leid entsprang. All meine Bücher sind eine Zusammenfassung von Prüfungen und Trostlosigkeiten, eine Quintessenz von Qual und Galle, sie alle sind ein und derselbe Schrei.

    Deshalb ist die andere Seite dieser Notate interessanter. Cioran ist ein Intellektueller wider Willen. Der expressive Kotzbrocken drängt seine Urteilskraft in die Rolle des verfemten Parts. Daher muß er Beurteilungen als Bewertungen verkleiden und als Beschimpfungen zu Papier bringen. Das Pamphlet ist seine stilbewusste Geste. Sie verhüllt nur schlecht, dass der Abbruchunternehmer Cioran zugleich im Hochbau wie im Tiefbau tätig ist.

    Ich gebe zu, dass in allem, was ich tue, eine Mischung aus Journalismus und Metaphysik vorhanden ist.

    Die Mixtur ist modern. Wie in einer Zangenbewegung umfasst sie die majestätische Gottheit und die schäbige Bagatelle. Der Extremismus wird im Alltag fruchtbar gemacht. Der gescheite Murrkopf absolviert die täglichen Spaziergänge wie taktische Manöver. Es sind Beutezüge zur Gedankenbeschaffung. Das ist das Betriebsgeheimnis in Ciorans Konzept der verkrachten Existenz. So mobilisiert er alle Kräfte im Spannungsbogen zwischen der Utopie und der Apokalypse.

    Ich habe meine Rettung in der Utopie gesucht und in der Apokalypse ein wenig Trost gefunden.

    Cioran spricht vom 'Martyrium der Luzidität'. Seine Gedankenexperimente sind nicht systematisch. Er attackiert vielmehr die Architektonik der Begriffe. Der Essay ist sein Metier, den Traktat überzieht er mit Spott. Er liefert Ideenskizzen der geschulten Skepsis und Planspiele des gelehrten Nihilismus zugleich. Den Verzicht betrachtet er als Vorzugszeichen der Weisheit.

    Die Weite und Tiefe eines Geistes messen sich an den Leiden, die er auf sich genommen hat, um Wissen zu erlangen. .Wissen' tut keiner, der nicht gelitten hat. Ein scharfsinniger Geist kann ganz und gar oberflächlich sein. Für jeden Schritt auf das Wissen hin muß 'bezahlt' werden.

    Aus dieser Ökonomie hat sich Cioran nicht davongeschlichen. Die scharfe Selbstkritik an einem seiner berühmtesten Bücher zieht eine fatale Bilanz:

    3. Dezember 1965. Ich korrigiere gerade die Fahnen der ,Lehre des Zerfalls' für die Reihe 'Idees'. Dieses Buch, in das ich alle meine Fehler investiert habe, enttäuscht mich trotzdem bitter! Ich finde es kotzlangweilig, voller Wiederholungen, schwerfällig unter einem flinken Anschein, 'überholt','zu lyrisch und ärgerlich 'spätromantisch'. Im Grunde bin ich ein Nachzügler der Romantik, den allein sein Zynismus rettet.

    Paul Celan hatte die Übertragung der .Lehre des Zerfalls' besorgt. Sein Tod hat Cioran tief getroffen. Der zynische Grobian liefert ein Glanzstück feinsinniger Menschenkunde:

    Ein zauberhafter und unmöglicher Mann, unerbittlich, mit Anwandlungen von Sanftmut, den ich gerne mochte und dem ich aus dem Weg ging aus Angst, ihn zu verletzen, denn alles verletzte ihn. Jedesmal, wenn ich ihn traf, war ich auf der Hut, und ich überwachte mich so sehr, dass ich nach einer halben Stunde ganz erschöpft war.

    Ciorans Liebeserklärungen an das verfehlte Leben atmen spätromantisches Pathos. Lustvoll breitet er das Unglück aus, rühmt das Elend, preist die Armut:

    Ich habe immer wie ein ,Passant' gelebt, in der Wollust der Besitzlosigkeit. Kein Gegenstand war jemals ,meins', ich verabscheue das ,mein'. Ich schaudere, wenn ich jemand sagen höre, 'meine' Frau. Ich bin metaphysisch ein Junggeselle.

    Mit der Pariser Intelligenz pflegt Cioran kaum Kontakt. Der Literaturbetrieb stößt ihn ab. Der Jargon einer aus "Marx, Freud, Heidegger" zusammengebrauten Ideologiekritik sagt ihm nichts. Paul Valerys "gezierte Sprache" findet er blutleer. Aus seinen Vorbehalten schmiedet er eine Maxime:

    Auf die Anonymität hinarbeiten, sich bemühen, zurückzutreten, den Schatten und das Dunkel pflegen - das ist mein einziger Vorsatz. Zurück zu den Einsiedlern! Mit den Resten an Ehrgeiz und Stolz, die ich noch besitze, mir eine Einsamkeit errichten, in der Seele ein Kloster bauen.

    Das klingt wie ein Manifest der weltflüchtigen Askese. Doch der Cioran der Nachkriegszeit, zieht nur die Konsequenz aus seinem rechtsextremen Engagement bei der rumänischen ,Eisernen Garde'. Die Cahiers verbrämen das als juvenile "Verwirrungen". Dazu hat Hans-Peter Kunisch im Sommerheft der Zeitschrift ,Literaturen' das Nötige gesagt. Aber auch er betont: Seine Nachkriegswerke gehören zu den besten Lehrmeistern unangepassten Denkens, die es gibt. ('Literaturen', 7/8)

    Unangepasst - das ist das Stichwort. So gehen das Unscheinbare und das Hochbedeutsame für Cioran Hand in Hand, wenn der Kopfarbeiter das Handwerk lobt.

    Zehn Tage Gartenarbeit. Das ist mehr wert als zehn Tage in der Bibliothek. Umgraben oder schmökern - meine Wahl ist längst getroffen. Obendrein hantiere ich lieber mit der Schaufel als mit einer Feder.

    Und nach dem Besuch einer Klee-Ausstellung schreibt er:

    Eine Stunde der Verzauberung. Hübsch und zugleich tief, poetisch und durchdacht. Selten hat mich eine Ausstellung so beglückt.

    Cioran war nie ein Etablierter. 25 Jahre in billigen Hotelzimmern haben ihn geprägt - das Leben aus dem Koffer, ein oder zwei Anzüge. Die Lebensführung der Sekurierten und Saturierten empfand er als bedrohlich. Zum Schreiben brauchte er die Fährnis der unsteten Vagabundenvita, den Passantenstatus der metaphysischen Junggesellenmaschine. So konnte er seiner mystischen Passion frönen, der .Wollust des Unlösbaren'.

    Flaubert hat einmal gesagt: Ich bin ein Mystiker und ich glaube an nichts. Dies Wort ist wie ein Stempel auf mein Leben, wie soll ich sagen. Und in dieser Unvereinbarkeit sind alle Widersprüche, die ich gelebt habe, einbegriffen. Mystiker zu sein heißt, an der Grenze gelangt zu sein, und zugleich sich nicht zu beteiligen. Ich finde mich in der Welt als ein Mensch, der sich an nichts beteiligt.

    Wissen Sie, ich habe immer in Widersprüchen gelebt und nicht darunter gelitten. Denn wäre ich ein Systematiker gewesen, ich hätte dann lügen, eine Lösung finden müssen. Doch ich habe das Unlösbare angenommen, und ich muss sagen, ich empfinde sogar eine gewisse Wollust, die Wollust des Unlösbaren.


    Wie haben Sie das gemacht, Monsieur Cioran? Einige Antworten sind in den Cahiers enthalten. Der Leser, der der Schneckenspur des ,unendlichen Wiederkäuers' folgt, wird reich beschenkt:

    Ruhig daherziehen wie eine Schnecke und Spuren hinterlassen, bescheiden, strebsam und im Grunde teilnahmslos ... in der heiteren Wollust und in der Anonymität.