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In der steinernen Chronik Thüringens

Beschaulich treibt der sommerliche Saale hier unten den fünf Bögen der alten Steinbrücke vorbei. Und wir haben zur historischen Gegenkontrolle auch eine Stadtansicht von Matthäus Merian in der Hand. Sie zeigt uns Saalfeld um 1650. "1650"(?), das wäre zwei Jahre nach Ende des 30-jährigen Krieges. Meister Merian aber lässt in seine Kupferplatte eine Idylle sticheln, so als habe die Soldateska die reiche Stadt an der Saale übersehen.

Von Franz Nussbaum |
    Merian zeichnet uns auch diese Saalebrücke, darüber rollt eine herrschaftliche Kutsche. Ein Nachen treibt auf der Saale, jemand kontrolliert Fischreusen. Und gegenüber beginnt auf steiler Rampe die Stadt. In der Qualität ihrer festen Stadtmauer. Mit .drei- vier- mit fünf Stadttoren, mit der gewaltigen Johanniskirche, dem stolzen Renaissance-Rathaus, das Kloster, die Türme einer befestigten Burg. Damals, eine vermögend aussehende Stadt.
    Lassen sie uns, aus diesem Blickwinkel -hier- gleich die Episode um den Schriftsteller Erwin Strittmatter einflechten. Er hat genau da unten an der Saale gewohnt. Zwischen 1937 und 45 kommt er, 25 Jahre alt, als "Nix" hierher. Wechselt billigste Untermieten und ungelernte Jobs. Und er erlebt in Saalfeld seine ärmlichste Zeit. Was nicht an den Saalfeldern in einem Mitläuferstädtchen im 3. Reich liegen muss. Strittmatter malocht, macht alles, oft mehrere Jobs gleichzeitig. Er ist im heutigen Sinne nie arbeitslos, arbeitet im Billiglohnbereich, kommt auf keinen grünen Zweig. Er zeugt, in unglücklicher Hassliebe verheiratet, zwei Söhne. Erwin Strittmatter wohnt da an den Saalewiesen:
    Ich wohne damals .in einer erbärmlichen Unterkunft, im Viertel der Asozialen, am Rande von "Grottenstadt". Jede Stadt hat eine Ecke mit zwei, drei Häusern, in denen die Ärmsten wohnen. (.) Neben unserer Barackenbehausung liegt hinter Bretterzäunen und hohen Pappeln und Eichen der Städtische Schlachthof. Jeden Morgen dringt von dort Rindergebrüll zu uns herüber, das jeweils von einem flachen Schlag beendet wird.
    Und das sogleich durch ein zweites, ein drittes und durch ein zwanzigstes Rinderbrüllen ersetzt wird. Später kommen die schrillen Schreie der Schweine herüber. Sie enden mit einem etwas gedämpfteren Schlag.
    "Kuh-muh", sagt unser Junge, wenn die von Todesfurcht durchzitterten Schreie der Kühe zu uns herüberkommen. Jedenfalls hört der Junge tausende von Tieren sterben, ehe er Kühe oder Schweine kennengelernt- und gestreichelt hat.

    Das kloppt Strittmatter abends in seine Klappermaschine und wundert sich nicht, dass die Nachbarschaft ihn selber auch für bekloppt hält. Aber es ist jene grandiose Beobachtungsverdichtung, die seine Dichtung dann später so berühmt macht. Er verarbeitet Saalfeld, das er doppelsinnig "Grottenstadt" nennt, auch verspiegelt in zwei Romanbänden. Und es zeichnet das Städtchen Saalfeld aus, dass sie den Strittmatter, aus seinen Aufzeichnungen, Gedichten und durch Recherche bei den Zeitzeugen, in einer höchst lesenswerten Broschüre aufgearbeitet haben. Ein Gedicht, leicht gekürzt:
    Ich hörte den lauen Sommerwind
    geh'n in Blättern und Blüh'n, in den rischelnden Ähren,
    wenn der Tag beginnt und die Nacht verrinnt,
    wenn die Wolken sich ballend gebären.
    Durfte staunend an hellgrünen Wassern steh'n
    und das Leben sich spiegelnd in ihnen seh'n,
    klein und neu sein darin, wie ein Kind.
    Und das alles, alles wird weiter so sein,
    wird mein Sohn und sein Sohn seh'n wie ich:
    Sternenpracht in der Nacht und das Sonnenlicht bei Tag,
    wenn es zitternd durch Baumkronen bricht .

    Erwin Strittmatter und seine Lichtbilder. Wir kommen in die Stadt der "steinernen Chronik Thüringens" und stehen in der Blankenburgerstrasse. Das war und ist die Prachtstraße, mit zwei Stadttoren begrenzt, die extra breite, die mittelalterliche Handels- und Marktstraße. Dirk Henning.
    " Auf beiden Seiten konnte man oft sehr gut handeln, in der Tat. Vor allem konnte man auf beiden Seiten, kann es noch heute, wunderbar einkehren, übernachten, sich erholen von den Strapazen der Reise. Deshalb sind entlang dieser breiten Durchgangsstraße die meisten Gasthöfe schon im Mittelalter entstanden."

    Die Städte, die Endhaltepunkte, das war Nürnberg und Leipzig, auf der anderen Seite. Diese imposanten Handels- und Messestädte: Ja was war es (?) eine Kupfer- Salz-, Handelstrasse, Heerstraße?

    " Von allem etwas, im Grunde. Es war einer der Hauptverbindungen durch Deutschland, durch das alte Reich. Auf der alles gehandelt wurde, was zwischen dem großen Zentrum Nürnberg, wie Sie schon sagen, und dem Messeplatz Leipzig verbraucht wurde. Und wer nach Saalfeld kam, egal von Norden oder von Süden, hatte entweder den Thüringer Wald schon hinter sich oder noch vor sich, die Überquerung. Und das war natürlich auch ein wichtiger Grund, warum man hier noch ein letztes Mal, entweder Luft holte, auftankte, im wahrsten Sinne. Oder sich eben von den Strapazen der Tage vorher erholt. Es ging direkt hinter der Stadt ins Gebirge. "
    In dieser Straße hier stehen die alten, wirklich reichen, repräsentativen Handelshäuser. Man liest hier an den Toren Jahreszahlen wie 1180. Das ist Barbarossas Zeit. Das heißt, die Steine dieses Hauses mögen den Einzug des Kaisers Rotbart und seiner Entourage gesehen haben. Die Herolde, die Ritter als Bodygards, Bischöfe, der ganze höfische Wanderzirkus, Wichtigtuer, die Quartiermeister. Aber der Siedlungsraum Saalfeld hat noch ältere Wurzeln. Eine nicht mehr sichtbare Reichs-Pfalz aus der Zeit Otto des Großen. Das war jene große slawischen Missionierungsoffensive des Kölner Erzbischofs Anno, einem durchaus umtriebigen Machtpolitiker, der "heilig" gesprochen wurde.
    " Und dieser Anno hat das Benediktinerkloster gegründet und mit Mönchen aus der Kölner Region, aus Siegburg und Sankt Pantaleon in Köln besetzt. Noch lange-, über hundert Jahre bevor die eigentliche, heutige Stadt entstanden ist. Es war zum einen Grenzgebiet zu den Slawen, die mehrheitlich noch nicht christianisiert waren. Das Benediktinerkloster, das dann hier entstand, 1071, bestand bis zur Reformation und war zum Schluss der größte Grundbesitzer in Ostthüringen. Ein ausgesprochen reiches Kloster mit riesigen Gebäuden und mit entsprechendem Einkommen auch. Und auch deshalb war es eines der bevorzugten Ziele in der Reformation, im Bauernkrieg. Um gestürmt zu werden. "
    Wir betrachten das große Viereck des Saalfelder Marktplatzes. Sehen das prächtige Renaissance-Rathaus, mit seinen Erkern und dem vorgebauten Treppenturm. Diese Visitenkarte reicher Bürger, genannt die Pfeffersäcke, dieses Bauvorhaben konnte während des 30-jährigen Krieges finanziert und gebaut werden, Was man sich kaum vorstellen will. Es sind jene Zeiten, wo eine ansässige Familie den Beinamen die "Fugger von Saalfeld" tragen. So bekommt "die steinerne Chronik Thüringens" .auch Namen und Gesichter. Und die Fugger von Saalfeld und andere Familien investieren damals hier am Ort in lukrativem Bergbau, Silbererz.

    Und auf diesem Marktplatz und auch quer durch die Blankenburgerstraße wird am kommenden-, am nächsten Samstag die größte Kaffeetafel Thüringens gedeckt werden. Und "Kaffee und Kuchen" sind Stichwort einer Geschichte in dem kleinen Kaffee, direkt neben dem Rathaus.

    Es wirbt mit einem Foto. 1988. Der damalige "Westkanzler" Helmut Kohl kommt am Sonntag, 29. Mai 1988, also bevor die Götterdämmerung in der DDR mit einer friedlichen Wende beginnt, kommt Kohl zu einem kurzen Sonntagsspaziergang am frühen Nachmittag in Saalfeld an. Wir sehen ein weiteres Foto in einem Zeitungsartikel. Es zeigt Hannelore Kohl in einem leichten Sommerkleid mit Sonnenbrille. Dahinter einer der Kohlsöhne und der Bonner Regierungssprecher Friedhelm Ost. Und ich lese hier ein Kohl-Zitat "Eine der bewegensten Reisen, die Hannelore und ich in unserem Leben gemacht haben". Die Umstände, knapp gerafft
    Das Ehepaar Kohl war auf persönliche Einladung Honeckers zu einer 3-tägigen- und ausdrücklich "privat" deklarierten Reise in die DDR gekommen. Sie besuchen mit zwei Autos in kleinster Begleitung und ohne Protokoll, Scheinwerfern und Presse Gotha, Erfurt, Weimar und Dresden. Leipzig, die Geburtsstadt von Hannelore Kohl, ist bewusst ausgeklammert worden. Kohls haben auf die freie Auswahl der Reiseziele bestanden. Sie wird gleichwohl von rund eintausend zivilen Begleitern des Ministeriums für Staatssicherheit beschattet und abgeschirmt.
    So lauert die aufgeregte Abteilung "Horch und Guck" an allen Autobahn-abfahrten und Brücken und äugt nach schweren, schwarzen Limousinen Stuttgarter Bauart. Es solle verhindert werden, dass es zu unkontrollierten Sympathiegesten der Werktätigen und Bauern kommen könne.

    Um es abzukürzen. Kohls Autos, Blinker raus, runter von der Autobahn, schlängeln sich entlang der Saale in den sonntäglichen Trabbi-Zweitakter-Verkehr.
    Sie halten 30 Minuten später am sommerlich ruhigen Marktplatz von Saalfeld an. Kohl und Gefolge bestellen Kaffee und suchen Kuchen an der Selbstbe-dienungstheke aus. Werden erkannt.
    Unterdessen rotieren informierte SED-Kreissekretäre. Tun, was solche Kreaturen auch bei einer unverhofften Honecker-Visite in Neunkirchen/Saar getan hätten. Meldung nach oben, verzweifelt auf Anweisungen warten. Kohls plaudern mit Leuten über die wirtschaftliche Lage in der DDR. Er soll auf die Frage, was "er" denn in dieser Stadt mache (?) geantwortet haben: Diese Reise ist für jeden in der DDR gut, auch für Sie. Kohl nimmt leutselig oder aus Berechnung ein Kleinkind auf den Arm. Dann sprechen ihn auch zwei Ausreisewilligen an, die er an Regierungs-sprecher Ost verweist. Um 15.00 Uhr ist der Staatsbesuch in Saalfeld beendet. Die Westkarossen steuern aus der Stadt raus. Deutsch-deutsche Chronik vor 19 Jahren.
    Wir steuern die spätgotische Johanneskirche an.auch sie ist steinerne Chronik Thüringens. .

    Und wir kommen in eine Konzertprobe. Georg Friedrich Händel mit Pauken und Trompeten und Kammerchor und historischen Instrumenten, unter der Leitung von Michael Schönheit. Michael Schönheit ist Saalfelder und heute Cheforganist der Leipziger Gewandhaus Orgel.

    Ein Halleluja auf die Johanniskirche. Wir kommen zu den Schnitzereien der "Saalfelder Schule", quasi zur "geschnitzten Chronik Thüringens". Wir wechseln dazu zum ehemaligen Saalfelder Franziskaner Kloster. Die Franziskaner kommen 70 Jahre nach Barbarossa in die Stadt, werden gerne als eine Art "Sozialamt" für damalige Harz IV Empfänger verstanden. Heute ist das Kloster das städtische Museum und besitzt mehrere Altäre der "Saalfelder Schule"
    " Maler und Bildschnitzer. Weil, beides braucht man um solche Altäre herzustellen. Und in dieser Zeit, eigentlich so seit 1480 in etwas, bis 1520, 40 Jahre lang war Saalfeld tatsächlich das Zentrum zur Herstellung solcher Altäre und Heiligenfiguren. Vorher war eines der Zentren Erfurt gewesen. Erfurt ging politisch und wirtschaftlichen zu diesem Zeitpunkt aber bergab. Und viele Meister sind aus diesem Grunde nach Saalfeld gewechselt. Hier waren zum einen die Auftragslage gut, zum anderen die wirtschaftliche Entwicklung sehr gut, nicht zuletzt durch Bergbau und durch den Handel. Eben auch um diese Zeit war die Stadt sehr reich geworden."

    Ein Marienaltar, in Gold gekrönt, mit Zepter. Ein Jesuslein, der eine Traube trägt. Es sind nicht mehr die steifen Säulenheiligen.

    " Grade für Saalfeld wichtig waren Schüler von Tilmann Riemenschneider Die auch aus dem Fränkischen hier her gefunden sind und damit auch viele Einflüsse von dort mitgebracht haben. Und Riemenschneider ist ja nun derjenige, welcher in der deutschen Bildschnitzkunst, der eben genau diese Bewegtheit der Figuren reingebracht hat, der also wirklich realistische Figuren schuf, die mit den starren Heiligen der Gotik nichts mehr zu tun haben. "

    So darf man das Museum .das Lexikon- oder sogar die "Festplatte" thüringischer Kultur-Geschichte nennen.

    Und dieses konzertante Spiel kommt von 25 Glocken auf dem Bergfriedpark. Und Sie kennen die Melodie ? An der Saale hellem Strande. Auf dieser Anhöhe über dem Saaletal baut sich vor 80 Jahren ein Schokoladenfabrikant (die Marke "Mauxion") baut er sich eine repräsentative Villa mit Park. Und er baut sich hier einen kleinen Holzturm für diese Glocken. Sie werden heute von Hand gespielt, angeschlagen und sind dann weit über dem Saaletal zu hören.

    Und diese Glocken locken uns etwas weiter in einen Feenwald. Wir kennen ja alle diese Träume, dass uns eine Fee bei der Hand nimmt und uns drei Wünsche freigibt. Und so folgen wir ihr unter Tage, in die Unterwelt eines Erzstollens, wo vor 500 Jahren die Saalfelder Knappen an Silbererz-Adern gehämmert und geschuftet haben.
    " Es wird erzählt, schon seit langer Zeit, dass unweit von Saalfeld in einem Berg eine zauberhafte Fee wohne. Wer sie sieht, so sagt man, dem geschehe ein Wunder. Viele Bergleute begaben sich in den Berg, um nach der Fee zu suchen. Dabei stieß einer von denen an seinen Grubenlampe. Und im Fallen erleuchtete sie die ganze Grotte. Die Männer sahen ganz hinten etwas unbeschreiblich Schönes. Die herrlichsten Tropfsteine, die in tausend Farben glänzten und glitzerten. Und seit der Zeit nennt man diese Grotten die Feengrotten. "
    Und wirklich, auch uns öffnet sich, mit unsichtbaren bunten Lampen angeleuchtet.eine Wasserfläche, in der sich wunderliche Zapfen einer gewaltigen Tropfsteinhöhle spiegeln. Und man meint 10 Meter in die ewige Tiefe eines Wassers herunterblicken zu können. Und romantische Naturen träumen, gleich wird wohl ein verwunschener Prinz, hoffentlich kein Frosch oder eine Schlager-Prinzessin auf einem güldenen Kahn und gezogen von Lohengrins Lieblingsschwänen um die Ecke gleiten. Oder man kann sich hier unten auf Liegen in einem Heilstollen einer klassischen Inhalationskur in den Feengrotten unterziehen. Das mindestens über 10 Tage, nahezu staubfrei, frei von allen Umwelt Allergien. sein Immunsystem und seine Raucher Lungen und oder die chronischen Bronchien kurieren. Ohne Risiken und Nebenwirkungen. Das ist wohl der wichtigste Wunsch, den die "Grottenfee vom Dienst" uns in Saalfeld erfüllen wird.