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In der Tiefsee auf der Lauer

Biologie. - Erst seit der Zufall Kadaver von wahren Monstern in die Netze von Fischern spülte, nehmen Biologen altes Seemannsgarn ernst. Doch auf den Zufall wollen sie sich nicht mehr verlassen und gehen stattdessen mit Tiefseerobotern auf die Pirsch nach seltenen Kreaturen.

Von Wolfram Koch |
    Eine Ölplattform nördlich von Schottland. Windstärke 8, die Wellen brechen sich an den Stützpfeilern, Gischt peitscht über den Hubschrauber-Landeplatz. Hunderte Meter unter der Wasseroberfläche ist davon nichts zu merken. Zwei Scheinwerfer durchbrechen die Finsternis der Tiefsee. Sie gehören zu einem ROV. ROV steht für Remote Operated Vehicle - einen ferngelenkten Unterwasserroboter. Die Techniker auf der Plattform benutzen ein ROV zu vielen Arbeiten in großer Tiefe. Plötzlich huscht ein Tier durch den Lichtkegel. Geistesgegenwärtig schwenkt Techniker Steve die Kamera und zeichnet es mit dem Videorecorder auf. Die Aufnahme ist für das Nationale Ozeanografische Zentrum in Southampton an Englands Südküste bestimmt. Dort beschäftigt sich Ian Hudson besonders mit den Lebewesen der Tiefssee. Ihr Lebensraum ist bis heute wenig erforscht, denn Forschungsexpeditionen in große Tiefen sind sehr teuer. Selbst dann, wenn nur ferngelenkte Tauchboote in die Finsternis absteigen. Das brachte den Meeresbiologen Hudson vor einigen Jahren auf die Idee, für seine Forschung Unterwasserroboter der Betreiber von Ölplattformen zu nutzen:

    "Während der täglichen Arbeit nutzt die Öl- und Gasindustrie Unterwasser-Roboter, um die Operationen auf dem Meeresgrund zu beobachten und ganz bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Wenn so ein Gerät nun nicht benötigt wird, dann kommen wir an Bord und nutzen es für eine Weile, um bestimmte Spezies im marinen Lebensraum zu beobachten. Wir können experimentieren und auch Proben sammeln mit diesen Unterwasser-Robotern."

    Wenn keine Forscher an Bord sind, filmen die Techniker bizarr aussehende Lebewesen entlang der Ölplattform. Welches Detail dabei wichtig ist, haben sie in Schulungen bei den Biologen in Southampton gelernt. Für die Forscher lohnt sich diese Kooperation mit der Industrie:

    "Der Vorteil für uns ist die große Zahl der Beobachtungsgeräte. Zählt man die Anzahl der wissenschaftlichen Unterwasser-Roboter in der Welt zusammen, kommen wir auf ein paar Handvoll, während die Industrie über 500 davon hat. Die Zusammenarbeit verschafft uns den Zugang zu 200 bis 300 Roboter weltweit. Mittel, die ein Forscher normal nie haben würde."

    In Southampton laufen die Fäden zusammen. Hier werten die Meeresbiologen das Material aus. Fast jedes Band in den vergangenen Monaten fördert neue Erkenntnisse aus einer Welt zu Tage, die schlechter erforscht scheint als der Mond.

    "Ich denke die interessanteste Entdeckung ist die Vielfalt des Lebens an den Plätzen, die wir untersucht haben. Als wir zum Beispiel in Australien ankamen, erzählten uns Kollegen den Pazifik, dass es dort nicht mehr marines Leben gäbe als im Atlantik. Aber innerhalb einer Stunde Beobachtung mit einem Roboter identifizierten wir neue Arten und Lebensräume, die wir so niemals vermutet hätten. Das öffnete die Augen der Leute für die Artenvielfalt der Tiefsee."

    So entdeckten die Meeresbiologen einen Fisch, der in etwa 600 Metern Tiefe auf dem sandigen Meeresgrund steht. Brust- und Schwanzflosse sind nach unten stabförmig verlängert. Auf diesem Dreibein steht das Tier wie auf einem Fotostativ und wartet bequem auf seine Beute. Aber nicht alle Organismen lassen sich mit den Robotern vor Ort identifizieren. Taucht in den Videos etwas Ungewöhnliches auf, so schickt Ian Hudson die Sequenz per Internet zu Spezialisten überall auf der Welt. Diese helfen dann mit ihrem Fachwissen bei der Einordnung. Das Forschungsziel des britischen Meeresbiologen für die kommenden Jahre sind noch größere Tiefen bis 3000 Meter. Dazu möchte Ian Hudson das Forschungsnetz der Bohrinseln weiter ausbauen. Es soll sich auf alle Weltmeere erstrecken, in denen nach Öl gebohrt wird. Das neueste Projekt geht nach Norwegen zum Kontinentalschelf. Hier lagert in großen Tiefen unter hohem Druck Methanhydrat. In dessen Umfeld erhoffen die Forscher völlig neue Lebensformen zu finden.