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In der Welt des Buches

Wenn Literaturkritiker über Literaturkritiker sprechen, dann werden schon mal die Leviten gelesen - so geschehen im Münchner Literaturhaus. Die Kritiker auf der Seite der Verlierende, der Bedeutungsschwund der Rezensionen und das Fehlen der großen Persönlichkeiten war im allgemeinen Lamentieren oft zu hören. Doch die osteuropäischen Kritiker mochten in den Klagesang nicht einstimmen.

Von Knut Cordsen |
    Schon komisch, wenn Literaturkritiker sich gegenseitig die Leviten lesen. Als Hohepriesterin der hehren Form der guten alten Literaturkritik gerierte sich Sigrid Löffler, Chefredakteurin des Magazins "Literaturen" und einst Mitglied des "Literarischen Quartetts", in München. Sprach, freilich ohne Namen zu nennen, von "Kumpanei" und "Meinungskartellen" innerhalb der Literaturkritik, und davon, wie dämlich es sei, Bücher zu skandalisieren, die noch nicht einmal erschienen sind. "In der Radauzone" befände sich die Kritik, sie liefere sich ohne Not dem "Vorabdrumherummel" der Verlage aus. Löffler warf ihren Kollegen vor, nurmehr "Service-Journalismus" zu betreiben und "Stichflammenberichterstattung", die das Interesse an einem Buch kurzzeitig aufflackern ließe und dann wieder verlöschen.

    "Es ist allerorten zu beobachten, wie die Literaturkritik selbst an ihrer Entlegitimierung mitarbeitet. Allzu oft lassen sich Kritiker in die Vermarktungsinteressen der Verlage einspannen, lassen sich als Warenausrufer von Büchern instrumentalisieren, die dank riesigem Werbeaufwand den Markt ohnehin dominieren. Oft formulieren Kritiker keine kritischen Urteile mehr, sondern blurbs, also griffige testimonials, die die Verlage dann dankbar aufgreifen und für ihre Buchwerbung dann vor oder hinten oder überall aufdrucken können auf die Bücher. Wenn die Kritiker ohnehin nur noch schreiben über Bücher, die sich ohnehin gut verkaufen und alles vernachlässigen, was innovatorisch, avantgardistisch, literarisch schwierig, hermetisch, nicht marktgängig ist, dann machen sie sich selber zu Werbetextern der Verlage, zu markthörigen Rhapsoden des Mainstream. Und das führt dazu, dass ihre Glaubwürdigkeit bei der Leserschaft schwindet."

    Einen "Bedeutungsschwund" der Literaturkritik stellte Löffler fest. Dieser Diagnose konnte Svante Weyler aus Stockholm nur zustimmen. Der heutige Verleger war einst Kritiker bei schwedischen Zeitungen.

    "Ich habe den Eindruck, die Kritiker haben die Initiative in der Literaturwelt verloren. Und ich denke, viele Kritiker haben damit Probleme. Die Kritiker sind also auf der Seite der Verlierenden, - welche Reaktionen kommen da aus diesen Reihen? Phantomschmerzen. Es schmerzt, diese Rolle verloren zu haben, es schmerzt, die Initiative verloren zu haben, es kommt aus den Reihen der Kritiker Trotz, viel Lärm, es kommt auch Publikumsbeschimpfung aus diesen Reihen, aber es kommt v.a. Unsicherheit, eine große Unsicherheit der eigenen Rolle und der eigenen Tätigkeit."

    Das unisono angestimmte Stöhnen darüber, dass es die führenden "Großkritiker" nicht mehr gäbe und an deren Statt viele "Kleinkritiker" getreten seien, dass die "Überproduktionskrise" des Buchmarkts mit seinen zigtausend Neuerscheinungen pro Jahr auch auf die Literaturkritik abfärbe, das blieb Sache der westeuropäischen Kritiker. Die osteuropäischen Literaturkritiker mochten in den selbstreferentiellen Klagesang nicht einstimmen. Schon allein deshalb, weil Literaturkritik dort nahezu gar nicht existiert, wie der ukrainische Übersetzer, Essayist und Publizist Jurko Prochasko mit viel Humor erzählte.

    "Es ist inzwischen eine Generation von Lesern bei uns groß geworden, die nicht einmal ahnt, dass es so etwas gibt wie Literaturkritik, die völlig schuldlos Bücher liest, sich freut ob der Tatsache, dass die Bücher überhaupt existieren und die überhaupt nicht erwartet, dass diese Bücher besprochen werden im Fernsehen oder in Zeitungen. Andererseits bin ich mir für hier sicher, für den Westen mit dieser Überproduktion von Texten, dass die Literaturkritik auch dann existieren würde, wenn gar keine Bücher mehr geschrieben würden. Die Bücher würden weiterhin besprochen, das ist doch eine Überlegung wert."

    Mit dieser Bemerkung machte Prochasko klar, in welchem "Paradies" der Literaturkritik seine Kollegen in Deutschland und auch in Frankreich leben. Da mag Frank Nouchi, der Direktor von Le Monde des Livres, lamentieren über die "Verfilztheit" und die Mauscheleien des Literaturbetriebs in Paris und die "Explosion der Laienkritik" in den Internet-Blogs bemängeln - eigentlich ist sie ganz fit, die "LitCrit", wie sich die Literaturkritik keck abkürzte in München. Das Rezensionswesen: noch nicht am verwesen.