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In Deutschland "Nein danke" und anderswo "Ja bitte"?

Befürworter der atomaren Stromerzeugung sehen in dem Atomausstieg Deutschlands eine internationale Isolation. Weltweit gibt es eine Renaissance der Kernkraft. So sind rund um den Globus 441 Atomkraftwerke in Betrieb, 45 werden gebaut und 60 geplant.

Von Alexander Budde | 13.09.2010
    Im Besucherzentrum der Atomanlage Olkiluoto an der Westküste Finnlands lässt sich der Europäische Druckwasserreaktor (EPR) in bunten Schaubildern bestaunen. Leistungsstärker, sparsamer und vor allem sicherer als die vorherigen Baureihen sollen die Reaktoren der dritten Generation sein, rühmt sich der französische Staatskonzern AREVA. Der weltweite Marktführer für Nuklear-Technologie bot den auf 1600 Megawatt ausgelegten Meiler zum garantierten Festpreis von rund drei Milliarden Euro an.

    Doch der intensiven Lobbyarbeit für den Neubau folgten immer neue Hiobsbotschaften, die von unreifen Konstruktionsplänen, Baumängeln unter Zeitdruck und eiligen Interventionen der Aufsichtsbehörde künden. Seit Monaten streiten AREVA und der finnische Energieversorger TVO um die Verantwortung für enorme Folgekosten.

    Gleichwohl haben Regierung und Parlament in Helsinki im Sommer den Bauanträgen für zwei weitere Atomkraftwerke statt gegeben. Und die Finnen stehen mit ihren Atomplänen nicht allein, betonen Fürsprecher der Kernkraft wie Hans Blix. Der frühere Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) sagt der umstrittenen Technologie goldene Zeiten voraus. Allein in China entstehen derzeit 20 Reaktoren. Die britische Regierung treibt die Errichtung von bis zu zehn Anlagen voran. Auch die baltischen Länder wollen sich mit deutscher Hilfe am Standort Ignalina an einen Neubau wagen.

    "Kernkraft ist eine Technologie, die sich stetig weiterentwickelt. Mit wachsendem Strombedarf und dem Klimawandel vor Augen wird das Interesse an der Kernkraft noch zunehmen. In der Schweiz hat man ein Moratorium aufgehoben, Italien und Japan wollen ausbauen, China und Indien machen rasante Fortschritte. Und auch Deutschland wird seine Klimaziele nur erreichen, wenn es kräftig in die Kernkraft investiert."

    Im Vorjahr habe die Kernspaltung nicht mehr als 17 Prozent der weltweiten Stromerzeugung ausgemacht, hält Nils Bøhmer dagegen. Der Atomphysiker erforscht für die norwegische Umweltorganisation Bellona den Zustand russischer Atomanlagen. Veraltete Reaktoren sind nicht nur im Osten ein Problem, sagt Bøhmer. Im weltweiten Durchschnitt hätten die Meiler 24 Betriebsjahre hinter sich. Sie müssten in absehbarer Zukunft ersetzt oder abgeschaltet werden, wodurch die installierte Leistung deutlich sinken würde.

    "Es gibt viel Gerede aber wenig Konkretes. Und das liegt vor allem an den hohen Kosten, die mit dem Bau neuer Atomkraftwerke verbunden sind. Wenn wir die Kernenergie zur Lösung unserer Klimaprobleme nutzen wollten, müssten wir zehn bis 30 Reaktoren im Jahr bauen. Tatsächlich gab es aber einen Stillstand in den letzten Jahren und große Probleme, den Anforderungen an die Sicherheit gerecht zu werden."

    In den USA etwa sei man in den letzten Jahrzehnten über unverbindliche Ankündigungen nicht hinausgekommen, ohne Aussicht auf staatliche Bürgschaften und mit dem ungeklärten Problem der Entsorgung vor Augen, hielten sich die Investoren zurück. Auch das finnische Debakel mache deutlich, dass die Hersteller von Atomkraftwerken nach Jahren der Stagnation derzeit noch nicht in der Lage sind, in der westlichen Welt zu wirtschaftlichen Preisen moderne Meiler zu bauen.

    "Ich vermute, wir werden in den kommenden Jahren einen eher bescheidenen Ausbau erleben. Der Trend geht aber zur Modernisierung und Verlängerung der Laufzeit auf bis zu 60 Jahre. Insofern ist es ein wichtiger Schritt, dass Finnland und Schweden Deponien planen. Andere EU-Länder könnten sich motiviert fühlen, dem Beispiel zu folgen, oder Gelder für eine grenzüberschreitende Lösung bereitzustellen."