Beitrag Hajo Goertz
Deutlicher kann die Kritik an der Praxis des Vatikans nicht ausfallen, Bücher auf den Index zu setzen, also ihre Verbreitung und Lektüre zumindest für Katholiken zu verbieten:
Man findet auf dem Index viele Namen von Autoren, die nie auch nur eine Zeile geschrieben haben; viele, die zwar ein Buch verfasst haben, von dem jedoch kein einziges Exemplar mehr existiert, weil im Mittelalter die Schriften der Häretiker vernichtet wurden; man findet viele Drucker, die Bücher gedruckt haben, von denen sie aber keinesfalls Autoren sein können... Man findet viele, die ausschließlich über säkulare und profane Themen wie Medizin, Anatomie, Geographie oder klassische Literatur geschrieben haben. Man findet auf dem Index sogar eine Reihe hervorragender Katholiken, die aus purem Versehen ... für Protestanten gehalten wurden.
Die Entlarvung der vatikanischen Bücherzensur stammt nicht etwa von einem Außenstehenden. Ein Mitarbeiter der vatikanischen Behörde selbst geht mit der Schwarzen Bücherliste ins Gericht. Der Zensor schreibt Ende des 19. Jahrhunderts einen schonungslosen Brief an den Leiter der Vatikanischen Indexkongregation. Der Absender plädiert freilich nicht für eine Abschaffung des Index – die wird noch rund 75 Jahre, bis 1965, auf sich warten lassen –, sondern für eine entschiedene Entrümpelung der Bücherverbote und eine grundlegende Reform des Verfahrens:
Den umfassenden Anspruch einer Totalkontrolle des Wissens und des Buchmarktes im Geiste der Gegenreformation kann [der Zensor] nicht mehr nachvollziehen. Für ihn sind Index und Inquisition allein für Glaubensfragen zuständig. ... Eine Totalkontrolle des Buchmarktes hatte sich ohnehin als Illusion erwiesen. ... Überdies müsse der Index endlich Anschluss an moderne bibliographische Standards finden und exakte Titelangaben bieten ... Sonst würden Kirche und Kurie sich der Lächerlichkeit preisgeben.
So gibt Hubert Wolf die Schlussfolgerung des hauseigenen Kritikers wieder. Der Münsteraner katholische Kirchenhistoriker hat den Brief im Archiv der vatikanischen Glaubenskongregation gefunden. Er gilt als einer der besten Kenner dieses Horts von Akten, die bis 1998 unter strikter Geheimhaltung bewahrt wurden. Seither ist Wolf regelmäßig zu Gast im Palast des Heiligen Offiziums, der früheren Inquisition, die seit vier Jahrzehnten als "Glaubenskongregation" firmiert. Kardinal Josef Ratzinger, der bis zu seiner Wahl zum Papst Leiter des vatikanischen Behörde für die wahre katholische Lehre war, hat sich für den zumindest wissenschaftlichen Zugang zu dem vorherigen Geheimarchiv eingesetzt. Das Motiv der vatikanischen Kurie ist, wie Wolf in einem Interview vermutete, Horrorgeschichten durch Fakten den Boden zu entziehen:
Das Interesse ist einfach folgendes. ... Man hat ständig Gerüchte, wo Sie nicht die Akten sehen können. Sie spekulieren. Und es ist ... viel sinnvoller: Wir entdecken einmal die Dinge, und publizieren wir sie einmal, kann die Öffentlichkeit sie zur Kenntnis nehmen, und damit ist die Thematik irgendwo abgevespert.
Für Wolf ist damit noch lange nichts abgevespert, im Gegenteil sieht er ein umfangreiches, höchst interessantes Arbeitsfeld vor sich. Der Theologe, ausgezeichnet mit dem Leibniz-Preis, leitet das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte wissenschaftliche Langzeitprojekt "Römische Inquisition und Indexkongregation". Jetzt legt er nach diversen Aufsätzen in Fachzeitschriften eine populäre Zwischenbilanz vor unter dem Titel "Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher". Wolf hat dabei nicht den Eindruck gewonnen, der Vatikan versuche, die wissenschaftliche Bearbeitung zu manipulieren:
"Man kann zum Beispiel aus der vergleichbaren Öffnung des Archivs der Inquisition sehen, dass dort überhaupt keine Dokumente zurückgehalten werden. Sie können alles sehen, was da ist."
Jetzt endlich könne man die Geschichte der Täter schreiben und deren oft vordergründige Interessen erkunden, stellt Wolf fest. Aber auch von den Opfern kannte man bis zur Archivöffnung nur jene, die tatsächlich auf dem Index landeten. Unbekannt blieben zuvor die Autoren, die zwar in Rom denunziert worden waren, über die man verhandelt hat, ohne sich aber letztlich zu einem Verbotsurteil zu entschließen. Von Heinrich Heine wusste man, weil er eben als Freidenker auf der Schwarzen Liste landete. Ebenso war bekannt, dass Leopold von Ranke, der Nestor der Papstgeschichtsschreibung, indiziert war, weil er nicht katholisch, sondern Protestant war. Über Karl May gab es bisher nur Vermutungen. Völlig unbekannt war, dass die vatikanische Kurie sich auch mit dem Knigge, dem Benimm-Papst des 19. Jahrhunderts, beschäftigt hat oder mit Harriet Becher-Stowes "Onkel Toms Hütte". Neben diesen fünf Verfahren beschreibt Wolf weitere vier sehr detailliert im äußerst spannenden zweiten Teil seines Buches.
Bei der systematischen Durchsicht von Akten der Indexkongregation zur Zensur so genannter modernistischer Theologen, die nach der [vorletzten] Jahrhundertwende für eine Versöhnung von Kirche und Moderne in den Bereichen Philosophie, Theologie, Literatur, Politik und Gesellschaft eintraten und daher von Rom äußerst kritisch beobachtet wurden, tauchten völlig unerwartet Spuren zu einem Fall Karl May auf. Durch ein anonymes Schreiben, datiert vom 20. März 1910, war der Schriftsteller in Rom angezeigt worden.
Wolf berichtet, wie er sich auf kriminalistische Spurensuche nach dem anonymen Denunzianten begibt. Ein offenbar reaktionärer Katholik aus dem Kölner Raum zeigt sich besorgt, dass Karl May eine schleichende Unterwanderung und Aufweichung des Katholizismus betreibe, indem er ein konfessionsloses Christentum propagiere. Er hofft deshalb auf eine Indizierung, weil vor allem die Abenteuerromane um Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar sowie die Winnetou-Trilogie der katholischen Jugend zur Lektüre empfohlen werde. Die vatikanischen Gutachter legen dennoch den Fall wegen vermuteter Wirkungslosigkeit eines Interdikts zu den geheimen Akten.
Ein Verbot Karl Mays durch die römische Indexkongregation wäre sicherlich von der Öffentlichkeit mit größtem Interesse aufgenommen worden. Eine Indizierung wäre für seine Anhänger ein Skandal gewesen und hätte das Image der katholischen Kirche in der hitzigen Atmosphäre des beginnenden 20. Jahrhundert weiter beschädigt.
Schlussfolgert Wolf aus den Archivalien. Es geht ihm bei den neun Einzelfällen nicht nur darum darzustellen, warum etwa Heine und Ranke auf den Index kamen. Für nicht weniger interessant hält er jene Verfahren, bei denen die Autoren unbehelligt blieben. Denn er will die Arbeitsweise und oft genug erschreckend unbedarfte Argumentationsführung der Gutachter aufweisen, so dass selbst Päpste, Kardinäle und sogar die Bibel auf die Schwarze Liste kamen.
Bis heute gilt der Index der verbotenen Bücher im kollektiven Gedächtnis als schrecklicher Katalog geistiger Verknechtung, mit dem eine reaktionäre Institution wie die katholische Kirche, die sich im allgemeinen Besitz der Wahrheit dünkte, die Freiheit des Geistes unterdrückte und durch rigide Zensur den literarischen und wissenschaftlichen Fortschritt hemmt. Das vornehmste Medium neuzeitlicher Wissenskultur, das Buch, suchte man so in Rom einer Totalkontrolle zu unterwerfen.
Schreibt Wolf im ersten, kürzeren Teil seiner Publikation. Darin stellt er knapp, nüchtern und sachlich die Geschichte des Index und die Verfahrensweisen der zuständigen vatikanischen Inquisition bzw. ihrer Unterabteilung für die Buchzensur dar, aber auch ihre nur begrenzte Wirksamkeit. Im Schlussteil deutet der Kirchenhistoriker an, dass es noch wichtige offene Fragen gibt:
Die katholische Kirche hat sich ja lehramtlich mit dem Nationalsozialismus durchaus auseinandergesetzt. Er hat nämlich Rosenbergs "Mythos des 20 Jahrhundert", das Ideologie-Hauptbuch, auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Wer das Buch liest, hat, besitzt, kauft oder verschenkt, wird automatisch exkommuniziert. Eine viel höhere Kirchenstrafe gibt’s nicht.
Und wie war das mit Hitlers "Mein Kampf", fragt Wolf. Darüber gäben wahrscheinlich die bisher nicht zugänglichen Teile der Archive der Inquisition und des vatikanischen Staatssekretariats Aufschluss, das damals von Kardinal Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., geleitet wurde.
"Die lehramtliche Reaktion, das ist die Reaktion der Inquisition. Also haben die sich mit Hitlers "Mein Kampf" beschäftigt. Ich weiß es nicht. Indiziert ist nicht. Aber sie können sich trotzdem damit beschäftigt haben. ... Der Kardinalstaatssekretär Pacelli ist ex officio Mitglied der Inquisition. Das heißt, gegen den Willen von Pacelli hätte auch Rosenbergs Mythos nicht indiziert werden können."
Das Lüften der Geheimnisse des Index deckt also nicht nur vier Jahrhunderte vatikanischer Zensurpraxis auf, sondern beleuchtet auch Hintergründe der allgemeinen Kirchengeschichte. Inzwischen hat sich das Instrument des Bücherverbots allerdings erledigt, nicht nur, weil es gegen die Flut der Bücher zu keiner Zeit wirksame Dämme errichten konnte, sondern letztlich, so stellt Wolf am Ende fest, nachdem die Gläubigen sich schon vor der päpstlichen Aufhebung 1965 seiner Vorschriften durch Nichtbefolgung entledigt hatten.
Hajo Goertz über Hubert Wolf: Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher. Ebenfalls im C.H. Beck Verlag München, 302 Seiten zum Preis von 22 Euro und 90 Cent.
Deutlicher kann die Kritik an der Praxis des Vatikans nicht ausfallen, Bücher auf den Index zu setzen, also ihre Verbreitung und Lektüre zumindest für Katholiken zu verbieten:
Man findet auf dem Index viele Namen von Autoren, die nie auch nur eine Zeile geschrieben haben; viele, die zwar ein Buch verfasst haben, von dem jedoch kein einziges Exemplar mehr existiert, weil im Mittelalter die Schriften der Häretiker vernichtet wurden; man findet viele Drucker, die Bücher gedruckt haben, von denen sie aber keinesfalls Autoren sein können... Man findet viele, die ausschließlich über säkulare und profane Themen wie Medizin, Anatomie, Geographie oder klassische Literatur geschrieben haben. Man findet auf dem Index sogar eine Reihe hervorragender Katholiken, die aus purem Versehen ... für Protestanten gehalten wurden.
Die Entlarvung der vatikanischen Bücherzensur stammt nicht etwa von einem Außenstehenden. Ein Mitarbeiter der vatikanischen Behörde selbst geht mit der Schwarzen Bücherliste ins Gericht. Der Zensor schreibt Ende des 19. Jahrhunderts einen schonungslosen Brief an den Leiter der Vatikanischen Indexkongregation. Der Absender plädiert freilich nicht für eine Abschaffung des Index – die wird noch rund 75 Jahre, bis 1965, auf sich warten lassen –, sondern für eine entschiedene Entrümpelung der Bücherverbote und eine grundlegende Reform des Verfahrens:
Den umfassenden Anspruch einer Totalkontrolle des Wissens und des Buchmarktes im Geiste der Gegenreformation kann [der Zensor] nicht mehr nachvollziehen. Für ihn sind Index und Inquisition allein für Glaubensfragen zuständig. ... Eine Totalkontrolle des Buchmarktes hatte sich ohnehin als Illusion erwiesen. ... Überdies müsse der Index endlich Anschluss an moderne bibliographische Standards finden und exakte Titelangaben bieten ... Sonst würden Kirche und Kurie sich der Lächerlichkeit preisgeben.
So gibt Hubert Wolf die Schlussfolgerung des hauseigenen Kritikers wieder. Der Münsteraner katholische Kirchenhistoriker hat den Brief im Archiv der vatikanischen Glaubenskongregation gefunden. Er gilt als einer der besten Kenner dieses Horts von Akten, die bis 1998 unter strikter Geheimhaltung bewahrt wurden. Seither ist Wolf regelmäßig zu Gast im Palast des Heiligen Offiziums, der früheren Inquisition, die seit vier Jahrzehnten als "Glaubenskongregation" firmiert. Kardinal Josef Ratzinger, der bis zu seiner Wahl zum Papst Leiter des vatikanischen Behörde für die wahre katholische Lehre war, hat sich für den zumindest wissenschaftlichen Zugang zu dem vorherigen Geheimarchiv eingesetzt. Das Motiv der vatikanischen Kurie ist, wie Wolf in einem Interview vermutete, Horrorgeschichten durch Fakten den Boden zu entziehen:
Das Interesse ist einfach folgendes. ... Man hat ständig Gerüchte, wo Sie nicht die Akten sehen können. Sie spekulieren. Und es ist ... viel sinnvoller: Wir entdecken einmal die Dinge, und publizieren wir sie einmal, kann die Öffentlichkeit sie zur Kenntnis nehmen, und damit ist die Thematik irgendwo abgevespert.
Für Wolf ist damit noch lange nichts abgevespert, im Gegenteil sieht er ein umfangreiches, höchst interessantes Arbeitsfeld vor sich. Der Theologe, ausgezeichnet mit dem Leibniz-Preis, leitet das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte wissenschaftliche Langzeitprojekt "Römische Inquisition und Indexkongregation". Jetzt legt er nach diversen Aufsätzen in Fachzeitschriften eine populäre Zwischenbilanz vor unter dem Titel "Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher". Wolf hat dabei nicht den Eindruck gewonnen, der Vatikan versuche, die wissenschaftliche Bearbeitung zu manipulieren:
"Man kann zum Beispiel aus der vergleichbaren Öffnung des Archivs der Inquisition sehen, dass dort überhaupt keine Dokumente zurückgehalten werden. Sie können alles sehen, was da ist."
Jetzt endlich könne man die Geschichte der Täter schreiben und deren oft vordergründige Interessen erkunden, stellt Wolf fest. Aber auch von den Opfern kannte man bis zur Archivöffnung nur jene, die tatsächlich auf dem Index landeten. Unbekannt blieben zuvor die Autoren, die zwar in Rom denunziert worden waren, über die man verhandelt hat, ohne sich aber letztlich zu einem Verbotsurteil zu entschließen. Von Heinrich Heine wusste man, weil er eben als Freidenker auf der Schwarzen Liste landete. Ebenso war bekannt, dass Leopold von Ranke, der Nestor der Papstgeschichtsschreibung, indiziert war, weil er nicht katholisch, sondern Protestant war. Über Karl May gab es bisher nur Vermutungen. Völlig unbekannt war, dass die vatikanische Kurie sich auch mit dem Knigge, dem Benimm-Papst des 19. Jahrhunderts, beschäftigt hat oder mit Harriet Becher-Stowes "Onkel Toms Hütte". Neben diesen fünf Verfahren beschreibt Wolf weitere vier sehr detailliert im äußerst spannenden zweiten Teil seines Buches.
Bei der systematischen Durchsicht von Akten der Indexkongregation zur Zensur so genannter modernistischer Theologen, die nach der [vorletzten] Jahrhundertwende für eine Versöhnung von Kirche und Moderne in den Bereichen Philosophie, Theologie, Literatur, Politik und Gesellschaft eintraten und daher von Rom äußerst kritisch beobachtet wurden, tauchten völlig unerwartet Spuren zu einem Fall Karl May auf. Durch ein anonymes Schreiben, datiert vom 20. März 1910, war der Schriftsteller in Rom angezeigt worden.
Wolf berichtet, wie er sich auf kriminalistische Spurensuche nach dem anonymen Denunzianten begibt. Ein offenbar reaktionärer Katholik aus dem Kölner Raum zeigt sich besorgt, dass Karl May eine schleichende Unterwanderung und Aufweichung des Katholizismus betreibe, indem er ein konfessionsloses Christentum propagiere. Er hofft deshalb auf eine Indizierung, weil vor allem die Abenteuerromane um Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar sowie die Winnetou-Trilogie der katholischen Jugend zur Lektüre empfohlen werde. Die vatikanischen Gutachter legen dennoch den Fall wegen vermuteter Wirkungslosigkeit eines Interdikts zu den geheimen Akten.
Ein Verbot Karl Mays durch die römische Indexkongregation wäre sicherlich von der Öffentlichkeit mit größtem Interesse aufgenommen worden. Eine Indizierung wäre für seine Anhänger ein Skandal gewesen und hätte das Image der katholischen Kirche in der hitzigen Atmosphäre des beginnenden 20. Jahrhundert weiter beschädigt.
Schlussfolgert Wolf aus den Archivalien. Es geht ihm bei den neun Einzelfällen nicht nur darum darzustellen, warum etwa Heine und Ranke auf den Index kamen. Für nicht weniger interessant hält er jene Verfahren, bei denen die Autoren unbehelligt blieben. Denn er will die Arbeitsweise und oft genug erschreckend unbedarfte Argumentationsführung der Gutachter aufweisen, so dass selbst Päpste, Kardinäle und sogar die Bibel auf die Schwarze Liste kamen.
Bis heute gilt der Index der verbotenen Bücher im kollektiven Gedächtnis als schrecklicher Katalog geistiger Verknechtung, mit dem eine reaktionäre Institution wie die katholische Kirche, die sich im allgemeinen Besitz der Wahrheit dünkte, die Freiheit des Geistes unterdrückte und durch rigide Zensur den literarischen und wissenschaftlichen Fortschritt hemmt. Das vornehmste Medium neuzeitlicher Wissenskultur, das Buch, suchte man so in Rom einer Totalkontrolle zu unterwerfen.
Schreibt Wolf im ersten, kürzeren Teil seiner Publikation. Darin stellt er knapp, nüchtern und sachlich die Geschichte des Index und die Verfahrensweisen der zuständigen vatikanischen Inquisition bzw. ihrer Unterabteilung für die Buchzensur dar, aber auch ihre nur begrenzte Wirksamkeit. Im Schlussteil deutet der Kirchenhistoriker an, dass es noch wichtige offene Fragen gibt:
Die katholische Kirche hat sich ja lehramtlich mit dem Nationalsozialismus durchaus auseinandergesetzt. Er hat nämlich Rosenbergs "Mythos des 20 Jahrhundert", das Ideologie-Hauptbuch, auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Wer das Buch liest, hat, besitzt, kauft oder verschenkt, wird automatisch exkommuniziert. Eine viel höhere Kirchenstrafe gibt’s nicht.
Und wie war das mit Hitlers "Mein Kampf", fragt Wolf. Darüber gäben wahrscheinlich die bisher nicht zugänglichen Teile der Archive der Inquisition und des vatikanischen Staatssekretariats Aufschluss, das damals von Kardinal Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., geleitet wurde.
"Die lehramtliche Reaktion, das ist die Reaktion der Inquisition. Also haben die sich mit Hitlers "Mein Kampf" beschäftigt. Ich weiß es nicht. Indiziert ist nicht. Aber sie können sich trotzdem damit beschäftigt haben. ... Der Kardinalstaatssekretär Pacelli ist ex officio Mitglied der Inquisition. Das heißt, gegen den Willen von Pacelli hätte auch Rosenbergs Mythos nicht indiziert werden können."
Das Lüften der Geheimnisse des Index deckt also nicht nur vier Jahrhunderte vatikanischer Zensurpraxis auf, sondern beleuchtet auch Hintergründe der allgemeinen Kirchengeschichte. Inzwischen hat sich das Instrument des Bücherverbots allerdings erledigt, nicht nur, weil es gegen die Flut der Bücher zu keiner Zeit wirksame Dämme errichten konnte, sondern letztlich, so stellt Wolf am Ende fest, nachdem die Gläubigen sich schon vor der päpstlichen Aufhebung 1965 seiner Vorschriften durch Nichtbefolgung entledigt hatten.
Hajo Goertz über Hubert Wolf: Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher. Ebenfalls im C.H. Beck Verlag München, 302 Seiten zum Preis von 22 Euro und 90 Cent.