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In Kopenhagen fällt das Urteil über den kurdischen Sender Roj TV

Dem dänischen Ableger von Roj TV wird vorgeworfen, Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Türkei zu unterhalten. Das hatte den Entzug der Sendelizenz zur Folge. Im April begann der Prozess in Kopenhagen, heute soll das Urteil fallen.

Von Marc-Christoph Wagner | 10.01.2012
    Der Hans-Christian-Andersen-Boulevard im Zentrum Kopenhagens. Vor dem Haus mit der Nummer 39 rollt der Feierabendverkehr vorbei. Die Jalousien der geräumigen Wohnung im Erdgeschoss sind geschlossen. Von außen erinnert wenig daran, dass sich hier eine Institution befindet, die politisch und diplomatisch enorme Sprengkraft birgt: Der kurdische Fernsehsender Roj TV.

    Die dänische Lizenz des kurdischen Senders sorgt seit Jahren für ernsthafte Spannungen in den türkisch-dänischen Beziehungen. Als Ministerpräsident Erdogan im November 2005 Kopenhagen besucht, bleibt er einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem damaligen dänischen Regierungschef Anders Fogh Rasmussen fern. Denn unter den Journalisten befindet sich auch eine Vertreterin von Roj-TV. Rasmussen ist sichtlich irritiert, bleibt in der Sache aber hart:

    "Natürlich muss man zwischen Kulturen respektvoll miteinander umgehen. Andererseits müssen wir darauf bestehen, dass wir in Dänemark eine sehr weitgehende Presse- und Meinungsfreiheit haben. Und innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens kann sich jeder so äußern, wie er möchte."

    Der Druck auf Kopenhagen bleibt enorm. Nicht nur die Türkei, sondern auch die USA fordern immer wieder die Schließung des kurdischen Fernsehsenders. Insgesamt drei Mal untersucht der zuständige Medienrat Vorwürfe, Roj-TV mache Propaganda für die PKK – Beweise dafür finden sich aber nicht. Erst als Rasmussen im Frühjahr 2007 gegen den anhaltenden Widerstand der türkischen Regierung zum NATO-Generalsekretär gewählt wird, beginnt die dänische Staatsanwaltschaft gegen Roj-TV zu ermitteln. Selbst dänische Politiker wie der außenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten Jeppe Kofoed vermuten ein abgekartetes Spiel, ein Zugeständnis, das die türkische Unterstützung für Rasmussen an der NATO-Spitze ermöglicht haben soll:

    "Natürlich, wenn es Beweise gibt für eine Kooperation zwischen Roj-TV und der PKK, die ja auf der Terrorliste der EU und der USA steht, dann müssen sich die Gerichte der Sache annehmen und der Sender muss geschlossen werden. Solange es diese Beweise aber nicht gibt, darf gesendet werden, und dann müssen wir daran festhalten, dass die Presse- und Meinungsfreiheit schwerer wiegt, als der außenpolitische Druck unserer Verbündeten."

    Roj-TV selbst weist jegliche Verbindung zur PKK zurück. Der Geschäftsführer der Muttergesellschaft, Imdat Yilmaz, betont die kulturellen Verdienste des Senders:

    "Die jahrzehntelange Unterdrückung der Kurden in der Türkei hat dazu geführt, dass viele von ihnen die eigene Sprache vergessen haben. Mit Roj-TV hat sich das geändert, viele haben Kurdisch beim Fernsehen gelernt."

    Zudem sei Roj-TV ein Medium, so Yilmaz, in dem sich auch türkische Regierungskritiker immer wieder äußern dürften – Kritiker, die türkische Medien angeblich zensierten. Insofern sei Roj-TV auch ein Vorkämpfer für die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei selbst. Und überhaupt, so der Sprecher des Kurdischen Forums in Dänemark, Serdal Benli, dürfe man nicht vergessen, wie die türkische Regierung mit der kurdischen Minderheit im Lande umgehe. Die PKK allein als Terrorgruppe abzustempeln, das sei zu einseitig:

    "Meines Erachtens ist die PKK eine Widerstandsbewegung vergleichbar mit dem ANC in Südafrika. Es gibt eine Redensar , die besagt, Terroristen in den Augen des einen seien Freiheitskämpfer in den Augen des anderen. "

    Eine Auffassung, der der dänische Europaabgeordnete Jens Rhode deutlich widerspricht:

    "Es ist nicht lange her, dass die PKK drei deutsche Bergsteiger entführte . Schon diese Tatsache und die Aussage der PKK, alle Touristen in den kurdischen Gebieten seien potenzielle Ziele, machen es schwer, in der Organisation etwas anderes als eine Terrorgruppe zu sehen."

    Rhode ist Parteigenosse und enger politischer Weggefährte des heutigen NATO-Generalsekretärs Rasmussen. Und obwohl sich Rhode selbst als – Zitat – "Meinungsfreiheitsfundamentalist" bezeichnet, ist auch er für den Prozess gegen Roj-TV eingetreten.

    "Ich denke, das liegt im Interesse aller Seiten – auch im Interesse von Roj-TV selbst. Wir brauchen Klarheit. Nicht zuletzt deutsche Gerichte haben ja konstatiert, dass es eindeutige Beweise für eine Zusammenarbeit und für Geldströme zwischen der PKK und Roj-TV gibt. Im globalen Zeitalter kann man derlei nicht ignorieren, schon gar nicht, wenn Dänemark nicht als Schwachstelle im internationalen Kampf gegen den Terror aufgefasst werden wolle."