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In Krümmel nichts Neues

Strahlenschutz. - Vor knapp einem Jahr stellten Wissenschaftler in einer KIKK genannten Studie fest, dass sich in einem 5-Kilometer-Radius um Kernkraftwerke das statistische Risiko von bis zu fünf Jahre alten Kindern erhöhe, an Leukämie zu erkranken. Das Bundesumweltministerium beauftragte daraufhin die Strahlenschutzkommission, diese Studie zu bewerten und vor allem die Frage zu beantworten, ob die von Kernkraftwerken ausgehenden Strahlung für das Ergebnis verantwortlich sein kann. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich fasst die Ergebnisse zusammen, die heute in Berlin vorgestellt wurden.

    Pasch: Dagmar Röhrlich, wie sieht es denn aus, das Ergebnis?

    Röhrlich: Man hat keine Antwort auf die Frage [Ob Kernkraftwerke für die erhöhten Leukämiezahlen verantwortlich seien, d. Red.] bekommen und konnte da nur verkünden, dass die Studie vernünftigerweise, wie es dort so schön heißt, auch nicht dafür geeignet war, eine Antwort zu ergeben. Sondern dass diese Studie von ihrem Design her nur erbringen konnte, das, was man schon wusste, also eigentlich Altbekanntes nur schlagzeilenträchtig vorstellen konnte.

    Pasch: Bereits bekanntes?

    Röhrlich: Ja, die Strahlenschutzkommission erklärt, dass ja schon bekannt gewesen sei, dass in der Nähe von Kernkraftwerken verstärkt Kinder, kleine Kinder, an Krebs, an Leukämie erkranken, sonst hätte man die Studie nicht gemacht. Krümmel ist da das Schlagwort.

    Pasch: Was war denn unvernünftig an dem Design?

    Röhrlich: Die Studie hat anscheinend eine ganze Reihe von Schwächen. Unvernünftig sei beispielsweise gewesen, einfach nur auf den Abstand zu gehen und nicht das individuelle, die individuelle Strahlenbelastung miteinzubeziehen. Oder die natürliche Strahlenbelastung, die ist ja um ein Vielfaches höher als das, was aus den Kernkraftwerken herauskommt. Und wenn jetzt das, was aus den Kernkraftwerken rauskommt, für die in der KIKK-Studie gefundenen Krebserkrankungen bei Kindern verantwortlich gewesen wäre, dann hätte die Strahlung 1000 Mal höher sein müssen, nach heutigen Erkenntnissen. Wenn man sagt: Gut, heutige Erkenntnisse! Vielleicht ist sie ja sehr viel wirksamer, als wir uns das denken. Da sagen dann die Forscher von der Strahlenschutzkommission: Wenn die so geringe Strahlenbelastung, die beim Kernkraftwerk rauskommt, solche Folgen hat, dann müssten in der Fläche von Deutschland sehr viel mehr Kinder an Leukämie erkranken als sie das tun. Da stimmt also irgendetwas nicht.

    Pasch: Ist das denn der einzige Kritikpunkt?

    Röhrlich: Ein wichtiger Kritikpunkt war, dass der Zeitpunkt, der in diese Statistik eingegangen ist, der der Diagnose ist. Aber der ist natürlich im Grunde genommen völlig uninteressant, sondern es ist der interessant, wann ist die Krankheit ausgelöst worden. Das lag dann Monate oder vielleicht sogar Jahre zurück, kann sogar schon während der Schwangerschaft passiert sein. Das sollte eigentlich im zweiten Teil der Studie erfasst werden, aber der konnte nicht durchgeführt werden, weil die betroffenen Eltern nicht mehr geantwortet haben.

    Pasch: Wo liegt das Problem?

    Röhrlich: Ja, zum einen sind es sehr wenige Fallzahlen. Das ist für die Familien ganz schrecklich, aber es ist für so eine Statistik, so etwas Herzloses wie eine Statistik, einfach zu wenige statistische Fälle, um gute Daten zu erbringen. Zum anderen entsteht Leukämie ja nicht nur wegen der Strahlung, sondern Fungizide können eine Rolle spielen, Pestizide, sogar ob mein Kind jetzt im Kindergarten ist oder nicht. Wenn es immer nur in der Familie ist, ist das Risiko höher als bei Kindern, die in den Kindergarten gehen. Was man auch herausgefunden hat, jetzt bei einer Nachbewertung der Zahlen aus der KIKK-Studie, das war sehr interessant: man hat die KIKK-Werte verglichen mit Informationen, die noch im Kinderkrebsregister in Mainz vorhanden sind, nämlich ländlicher Raum/städtischer Raum. Und da hat man festgestellt, wenn ein Kernkraftwerk im ländlichen Raum liegt, dass dann die Fallzahl höher liegt als bei einem Kernkraftwerk, das in einem mehr städtisch ausgeprägten Gebiet liegt. Da könnte so also auch einen Zusammenhang geben.

    Pasch: Wie sieht es denn international aus?

    Röhrlich: Ja, also weder in Frankreich noch in Großbritannien, wo ähnliche Studien durchgeführt worden sind, hat man irgendwelche Zusammenhänge gefunden, und man hat auch die dort vorhandenen Studien, ja, nach KIKK-Methoden ausgewertet, hat auch nichts gefunden.

    Pasch: Was bleibt? Umziehen?

    Röhrlich: Nein. Das macht keinen Sinn. Nächste Woche wird im "Deutschen Ärzteblatt" eine Untersuchung erscheinen, wo das Leukämierisiko deutschlandweit berechnet worden ist. Der Durchschnitt liegt bei eins. Und da haben Kernkraftwerke 1,4 Punkte. Da könnte man sagen, oh Gott, 40 Prozent mehr, das ist gefährlich. Aber dann muss man auch betrachten, dass es Gebiete gibt, wo es bei 3,5 oder 3,6 liegt. Die sind auch heute erhöht, in fünf Jahren können die völlig unauffällig sein. Wir haben da ganz einfach etwas vor uns, was wir… Wenn wir einfach nur wegziehen, können wir vom Regen in die Traufe kommen, und wir können überhaupt nicht beurteilen, was wo geschieht.