Beatrix Novy: Zuerst ist hier zu reden über Jörg Immendorff , dessen Tod heute bekannt geworden ist. Wir hören ihn erst noch einmal selbst, mit Worten, die auch ein Vermächtnis sein könnten:
"Ich will eine Glaubwürdigkeit, ich will vernünftige Sachen. Ich möchte, dass es integer ist, ich möchte Verbindlichkeit haben. Ich möchte die Zeit, die mir der Herrgott hier auf der Erde schenkt, zivilisiert, sinnvoll und mit einer gehörigen erotischen Energie verbringen und nicht rumdümpeln. Ich will nicht meine Zeit vergeuden an Zombies oder an Robotern."
Diese Zeit ist abgelaufen. Der Maler Jörg Immendorff ist tot, mit nur 61 Jahren gestorben an einer schweren Krankheit, die ihn seit Jahren zu lähmen drohte. Aber dies gleich als Frage an meinen Kollegen Stefan Koldehoff, die ihn doch nicht ganz lähmen konnte.
Stefan Koldehoff: Nein, er war zwar körperlich sehr gebrechlich zum Schluss, er hat aber bis zum Schluss auch weiter gemalt. Der letzte große Auftritt war ja die Präsentation des Porträts des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, das Immendorff noch versprochen und auch gemalt hatte. Das ging aber schon nur noch mit Hilfe von Assistenten und mit Schablonen, die nach Immendorffs Angaben vorgefertigt wurden, und dann haben Helfer diese Bilder nach seinen ganz konkreten Weisungen ausgeführt.
Novy: Was wir eben gehört haben, war ein Interview, das Sie mit ihm geführt haben. Unter welchen Bedingungen entstand das?
Koldehoff: Immendorff war zu dem Zeitpunkt schon sehr krank, er saß im Rollstuhl, er wurde ständig von einer Mitarbeiterin in seinem Atelier, deswegen auch der Hall in den O-Tönen, betreut. Er konnte sich keine Zigarette mehr alleine anstecken.
Novy: Rauchte aber?
Koldehoff: Er rauchte nach wie vor, auch das, ja. Und es war eigentlich ein sehr lebendiges Interview, denn das Atelier von Jörg Immendorff befand sich in seinem Wohnhaus. Seine junge Frau, seine kleine Tochter waren mit dabei. Also die Lebensfreude, so kitschig und so klischeebeladen das jetzt auch klingt, die Lebensfreude schien er behalten zu haben, auch wenn er genau wusste, dass diese Krankheit, die er hatte, letztlich tödlich enden würde.
Novy: Kommen wir auf ihn als Künstler und auf seinen Werdegang zu sprechen. Er gilt vielen als politischer Maler, dann aber auch wieder als Malerfürst, als Staatskünstler, all diese Bezeichnungen hat man ihm gegeben. Das mit der Politik ist vielleicht erst mal was für den Anfang, wenn man bedenkt, dass die Kunstszene doch in Teilen eine Avantgarde der 68er-Bewegung gewesen ist. Hatte Immendorff da eine Rolle gespielt?
Koldehoff: Das hat er, aber das hat er vorher schon getan, nicht erst seit '68. Das hat er dann in dem Interview auch gesagt, sicherlich noch mal einiges verstärkt bei ihm. Er hat auf der anderen Seite aber auch gesagt, was sich an gewalttätigen Aktionen, auch an Terrorismus letztlich aus diesem neuen politischen Bewusstsein der 68er ergab, das hätte er eigentlich gar nicht gebraucht, das sei bei ihm vorher schon vorhanden gewesen. Er war eigentlich Hauptschullehrer, Kunsterzieher, hat dann in den 60er Jahren angefangen, an der Kunstakademie erst Bühnenbild, später dann Malerei und Kunst bei Joseph Beuys zu studieren und war immer gleichzeitig auch politisch engagiert. in der APO, der Außerparlamentarischen Opposition und in maoistischen Splittergruppen wie der KPDML. Das hat letztlich dann auch zur Auseinandersetzungen natürlich mit der Akademie geführt.
Novy: Da hat er ja auch gesagt: Hört auf zu malen!
Koldehoff: Ja, das ist eins seiner bekanntesten Bilder, und das Bild, so sagt er oder sagte er das jedenfalls selbst, von dem Joseph Beuys sagte, das ist dein erstes tolles Bild, ein durchgestrichener Garderobenständer und unten drunter dann eben dieser Satz. Er hat sich auch mit dem Akademiebetrieb, später war er selbst Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, zunächst überhaupt nicht einverstanden erklärt. Er hat da seine eigene Akademie in der Akademie gegründet, die sogenannte LIDL-Akademie, auch das hat wieder zu großem Ärger geführt. Also all das, was Sie vorhin gesagt haben - politischer Kopf, sicherlich Mitglied der 68er-Beweggung -, all das ist er gewesen. Man vergisst aber manchmal häufig, dass er einfach auch ein großartiger Maler war, der seine Vorbilder sehr genau konnte, der mit ihnen stundenlang über Goya, über Hogarth, über Manet, über andere reden konnte und nicht nur über deren Bilder, sondern auch über deren geistesgeschichtlichen Hintergrund, und dem es selbst ganz wichtig war, immer wieder, immer wieder in die deutsche Kunstszene den Diskurs hineinzutragen. Er wollte nicht nur über Farben, über Preise, über Formen reden, er wollte über Inhalte sprechen. Und auch dazu hat er mir einmal in einem Interview gesagt:
"Erwarten Sie von der bildenden Kunst keine direkten einpackbaren Botschaften, nein, Sie sind gefragt, der Betrachter. Das Bild kann dem Betrachter dann etwas geben, wenn der Betrachter bereit ist, das für sich zuzulassen und die Verantwortung für sich selber erkennt. Sodann macht Kunst Sinn."
Novy: Sein Lebensweg entspricht ja dem Bild des Rebellen, des Revolutionärs, der seinen Platz dann langsam in der Gesellschaft aber einnimmt und findet und dann sogar super anerkannt ist. Ist das alles so gewesen bei Immendorff ?
Koldehoff: Ja, aber spät erst, und zwar sehr spät. Selbst als das neue Reichstagsgebäude in Berlin mit Kunst ausgestattet werden sollte, hat man Jörg Immendorff bewusst übergangen offenbar wegen seiner politischen Agitation in den frühen Jahren und seines Engagements. Er war der wenigen großen und auch guten deutschen Maler, die dort keine Werke platzieren durften, im Gegensatz zu anderen. Das ist umso unverständlicher, als eigentlich dieses Deutschland, das er geliebt hat, an dem er aber auch gelitten hat, sein ganz großes Thema gewesen ist. Wenn man sich beispielsweise diesen grandiosen "Café Deutschland"-Zyklus anguckt, 43 Bilder, die ab 1978 entstanden sind: Immendorff hat mir dazu gesagt, entstanden sind aus Sehnsucht, weil er Freunde wie den Maler A. R. Penck, der damals in der DDR lebte, nicht so sehen konnte, wie er das wollte, jemand, der sich immer wieder dem Thema Deutschland, Trennung, mögliche Wiedervereinigung, da reicht plötzlich eine Hand durch die gemalte Mauer auf seinen "Café Deutschland"-Bildern und Bertolt Brecht guckt aus dem Himmel zu und schmunzelt, der das alles immer, immer, immer auf dem Schirm gehabt hat, dass man so jemanden eigentlich erst in den letzten zehn Jahren mit ganz großen Ausstellungen geehrt hat, das ist bis heute unverständlich.
"Ich will eine Glaubwürdigkeit, ich will vernünftige Sachen. Ich möchte, dass es integer ist, ich möchte Verbindlichkeit haben. Ich möchte die Zeit, die mir der Herrgott hier auf der Erde schenkt, zivilisiert, sinnvoll und mit einer gehörigen erotischen Energie verbringen und nicht rumdümpeln. Ich will nicht meine Zeit vergeuden an Zombies oder an Robotern."
Diese Zeit ist abgelaufen. Der Maler Jörg Immendorff ist tot, mit nur 61 Jahren gestorben an einer schweren Krankheit, die ihn seit Jahren zu lähmen drohte. Aber dies gleich als Frage an meinen Kollegen Stefan Koldehoff, die ihn doch nicht ganz lähmen konnte.
Stefan Koldehoff: Nein, er war zwar körperlich sehr gebrechlich zum Schluss, er hat aber bis zum Schluss auch weiter gemalt. Der letzte große Auftritt war ja die Präsentation des Porträts des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, das Immendorff noch versprochen und auch gemalt hatte. Das ging aber schon nur noch mit Hilfe von Assistenten und mit Schablonen, die nach Immendorffs Angaben vorgefertigt wurden, und dann haben Helfer diese Bilder nach seinen ganz konkreten Weisungen ausgeführt.
Novy: Was wir eben gehört haben, war ein Interview, das Sie mit ihm geführt haben. Unter welchen Bedingungen entstand das?
Koldehoff: Immendorff war zu dem Zeitpunkt schon sehr krank, er saß im Rollstuhl, er wurde ständig von einer Mitarbeiterin in seinem Atelier, deswegen auch der Hall in den O-Tönen, betreut. Er konnte sich keine Zigarette mehr alleine anstecken.
Novy: Rauchte aber?
Koldehoff: Er rauchte nach wie vor, auch das, ja. Und es war eigentlich ein sehr lebendiges Interview, denn das Atelier von Jörg Immendorff befand sich in seinem Wohnhaus. Seine junge Frau, seine kleine Tochter waren mit dabei. Also die Lebensfreude, so kitschig und so klischeebeladen das jetzt auch klingt, die Lebensfreude schien er behalten zu haben, auch wenn er genau wusste, dass diese Krankheit, die er hatte, letztlich tödlich enden würde.
Novy: Kommen wir auf ihn als Künstler und auf seinen Werdegang zu sprechen. Er gilt vielen als politischer Maler, dann aber auch wieder als Malerfürst, als Staatskünstler, all diese Bezeichnungen hat man ihm gegeben. Das mit der Politik ist vielleicht erst mal was für den Anfang, wenn man bedenkt, dass die Kunstszene doch in Teilen eine Avantgarde der 68er-Bewegung gewesen ist. Hatte Immendorff da eine Rolle gespielt?
Koldehoff: Das hat er, aber das hat er vorher schon getan, nicht erst seit '68. Das hat er dann in dem Interview auch gesagt, sicherlich noch mal einiges verstärkt bei ihm. Er hat auf der anderen Seite aber auch gesagt, was sich an gewalttätigen Aktionen, auch an Terrorismus letztlich aus diesem neuen politischen Bewusstsein der 68er ergab, das hätte er eigentlich gar nicht gebraucht, das sei bei ihm vorher schon vorhanden gewesen. Er war eigentlich Hauptschullehrer, Kunsterzieher, hat dann in den 60er Jahren angefangen, an der Kunstakademie erst Bühnenbild, später dann Malerei und Kunst bei Joseph Beuys zu studieren und war immer gleichzeitig auch politisch engagiert. in der APO, der Außerparlamentarischen Opposition und in maoistischen Splittergruppen wie der KPDML. Das hat letztlich dann auch zur Auseinandersetzungen natürlich mit der Akademie geführt.
Novy: Da hat er ja auch gesagt: Hört auf zu malen!
Koldehoff: Ja, das ist eins seiner bekanntesten Bilder, und das Bild, so sagt er oder sagte er das jedenfalls selbst, von dem Joseph Beuys sagte, das ist dein erstes tolles Bild, ein durchgestrichener Garderobenständer und unten drunter dann eben dieser Satz. Er hat sich auch mit dem Akademiebetrieb, später war er selbst Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, zunächst überhaupt nicht einverstanden erklärt. Er hat da seine eigene Akademie in der Akademie gegründet, die sogenannte LIDL-Akademie, auch das hat wieder zu großem Ärger geführt. Also all das, was Sie vorhin gesagt haben - politischer Kopf, sicherlich Mitglied der 68er-Beweggung -, all das ist er gewesen. Man vergisst aber manchmal häufig, dass er einfach auch ein großartiger Maler war, der seine Vorbilder sehr genau konnte, der mit ihnen stundenlang über Goya, über Hogarth, über Manet, über andere reden konnte und nicht nur über deren Bilder, sondern auch über deren geistesgeschichtlichen Hintergrund, und dem es selbst ganz wichtig war, immer wieder, immer wieder in die deutsche Kunstszene den Diskurs hineinzutragen. Er wollte nicht nur über Farben, über Preise, über Formen reden, er wollte über Inhalte sprechen. Und auch dazu hat er mir einmal in einem Interview gesagt:
"Erwarten Sie von der bildenden Kunst keine direkten einpackbaren Botschaften, nein, Sie sind gefragt, der Betrachter. Das Bild kann dem Betrachter dann etwas geben, wenn der Betrachter bereit ist, das für sich zuzulassen und die Verantwortung für sich selber erkennt. Sodann macht Kunst Sinn."
Novy: Sein Lebensweg entspricht ja dem Bild des Rebellen, des Revolutionärs, der seinen Platz dann langsam in der Gesellschaft aber einnimmt und findet und dann sogar super anerkannt ist. Ist das alles so gewesen bei Immendorff ?
Koldehoff: Ja, aber spät erst, und zwar sehr spät. Selbst als das neue Reichstagsgebäude in Berlin mit Kunst ausgestattet werden sollte, hat man Jörg Immendorff bewusst übergangen offenbar wegen seiner politischen Agitation in den frühen Jahren und seines Engagements. Er war der wenigen großen und auch guten deutschen Maler, die dort keine Werke platzieren durften, im Gegensatz zu anderen. Das ist umso unverständlicher, als eigentlich dieses Deutschland, das er geliebt hat, an dem er aber auch gelitten hat, sein ganz großes Thema gewesen ist. Wenn man sich beispielsweise diesen grandiosen "Café Deutschland"-Zyklus anguckt, 43 Bilder, die ab 1978 entstanden sind: Immendorff hat mir dazu gesagt, entstanden sind aus Sehnsucht, weil er Freunde wie den Maler A. R. Penck, der damals in der DDR lebte, nicht so sehen konnte, wie er das wollte, jemand, der sich immer wieder dem Thema Deutschland, Trennung, mögliche Wiedervereinigung, da reicht plötzlich eine Hand durch die gemalte Mauer auf seinen "Café Deutschland"-Bildern und Bertolt Brecht guckt aus dem Himmel zu und schmunzelt, der das alles immer, immer, immer auf dem Schirm gehabt hat, dass man so jemanden eigentlich erst in den letzten zehn Jahren mit ganz großen Ausstellungen geehrt hat, das ist bis heute unverständlich.