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"In meinem beruflichen Leben das Ereignis allemal"

Für den US-amerikanischen Journalisten Don Jordan hat der Fall der Mauer eine Normalisierung Deutschlands eingeleitet. Die Jugend bewege sich trotz der historischen Hypothek heute viel unbefangener im Ausland als noch vor 20 Jahren.

Don Jordan im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: In unserem Studio in Berlin begrüße ich Don Jordan, US-Journalist, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt. Guten Morgen, Mr. Jordan!

    Don Jordan: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Die Frage auch an Sie. Was ist Ihre persönliche Erinnerung an den 9. November 89?

    Jordan: Das kann man kaum beschreiben. Ich war damals schon über 20 Jahre in Deutschland und habe ständig berichten müssen und berichtet über die deutsch-deutschen Verhandlungen und die furchtbaren Ereignisse an der Grenze und in Berlin. Ich habe gedacht, ich höre nicht richtig, ich sehe nicht richtig, und habe gedacht, das ist ja ein wunderbarer Tag, und natürlich war ich sehr beschäftigt. Man hatte kaum Zeit, um wirklich das zu verdauen. Das kam erst nachher. Aber es war, ich würde sagen, schon in meinem beruflichen Leben das Ereignis allemal.

    Klein: Wie war das damals? Die amerikanischen Medien fast genauso elektrisiert wie die deutschen?

    Jordan: Oh ja, absolut! Sofort haben die amerikanischen großen kommerziellen Nachrichtensender ihre fünf Millionen Dollar im Jahr-Moderatoren in das damals karge Berlin geschickt, haben sie auf die Mauer hingestellt und ganz dramatisch berichtet. Das war wirklich wahrscheinlich das Ereignis, worüber mehr in Amerika gezeigt wurde und berichtet wurde als alle davor und seitdem.

    Klein: Nach Ihrer Beobachtung, Mr. Jordan, haben wir Deutschen in den vergangenen 20 Jahren ein unverkrampftes, ein im positiven Sinne unbefangeneres Verhältnis zur eigenen Nation entwickelt?

    Jordan: Das glaube ich schon. Seit 20 Jahren hat die deutsche Einigung eine, sagen wir mal, Normalisierung dieses Landes wahrhaftig eingeleitet. Sehen Sie, ich gebe Ihnen schon aus unserem Metier ein Beispiel. Früher war der Presseclub wirklich international. Das war ein Unikum auf der Welt, dass ein Land jeden Sonntag Kritik mehr oder weniger von außen duldete, von fünf Journalisten aus sechs Ländern oder so was, oder sechs Journalisten aus fünf Ländern, und peu a peu ist das eine deutsche Nabelschau geworden, genau wie in England die Sendungen und in Amerika und Frankreich solche sonntäglichen Sendungen eigentlich sich nur mit dem Land der Ausstrahlung beschäftigen. Das ist nur ein Beispiel, aber man merkt auch an der Jugend, dass sie, obwohl sie wissen, dass sie eine schwere historische Hypothek tragen, sich viel unbefangener im Ausland bewegen und sich sofort als Deutsche zu erkennen geben, und das war vor 20, 30 Jahren nicht der Fall.

    Klein: Eine dankbare Bundeskanzlerin haben wir vor einigen Tagen vor dem US-Kongress in Washington gehört. Aber die Hoffnung, der Präsident möge vielleicht persönlich zum Mauerfall-Gedenken kommen, die wurde enttäuscht. Ist das nun gleichgültig, ob er selbst kommt, oder von Hillary Clinton wie nun passiert vertreten wird?

    Jordan: Nein, das glaube ich nicht. Barack Obama ist ja wirklich dabei, eine historische Wende in der amerikanischen Mentalität und Sozialpolitik herbeizuführen. Ich kann mir vorstellen, dass er Tag und Nacht telefoniert, um seine Gesundheitsreform jetzt auch durch den Senat zu kriegen. Das ist gar nicht so sicher. Der Mann hat wirklich in der Innenpolitik so viel zu tun, dass man ihm das entschuldigen muss. Außerdem muss ich ehrlich sagen, Frau Hillary Clinton ist in der Öffentlichkeit ein bisschen in den Hintergrund geraten. Vielleicht war es von ihm sehr gut überlegt, lass sie mal dort ihren großen Auftritt haben, sodass es nicht scheint, als ob Frau Clinton nur eine dritte Geige spielt.

    Klein: Direkt nach Merkels dankbarer Rede im Kongress entschied der Konzern General Motors gegen den Verkauf von Opel. Viele hier haben den Amerikanern das tatsächlich als Verrat ausgelegt, Obama hätte sie vorwarnen müssen, und es klang so ein bisschen wie, das hat sie jetzt davon, dass sie so überschwänglich freundlich war im Kongress. Wer hat da jetzt was falsch verstanden nach Ihrer Wahrnehmung?

    Jordan: Es ist natürlich ein Fauxpas, wenn es stimmt, dass Obama nicht vorher informiert worden ist, denn die amerikanische Regierung ist mittlerweile der Hauptgesellschafter dieser Firma geworden. Ich nehme ihm ab, dass er nicht informiert wurde. Aber außerdem, wissen Sie, die Deutschen haben nicht richtig zugehört. Seit einem Jahr deutet General Motors andauernd an, dass sie eigentlich nicht verkaufen wollen und dass sie die Technologie von Opel schätzen und brauchen. Wer genau hingehört hat, wusste, dass das nicht so über die Bühne gehen würde. Also ich war nicht überrascht.

    Klein: Die Kanzlerin hat vor dem Kongress auch davon gesprochen, dass es nun Mauern niederzureißen gelte, zum Beispiel die uns noch trennen von einer globalisierten Wirtschaftsordnung. Haben Sie den Eindruck, sie macht jetzt Ernst damit? Die Reaktionen schienen das ja nicht unbedingt anzudeuten.

    Jordan: Wissen Sie, es gibt verschiedene Mentalitäten, die das eigentlich verhindern, besonders in der Finanzpolitik. Wenn Amerikaner wohlhabend werden, dann wollen sie immer mehr haben, dann wollen sie die Münzen aufeinanderstapeln und immer reicher werden. Das ist in Amerika Gang und Gebe. In Europa ist das etwas anders, besonders in Deutschland. Da will man mehr Sicherheit haben. Man begnügt sich mit weniger, aber dafür setzt man mehr Wert auf Sicherheit. Das ist ein Mentalitätsunterschied, der von Frau Merkel für ihre Menschen zu Hause, ihre Wähler berücksichtigt werden muss, und Obama kann nicht das amerikanische Finanzsystem oder Wirtschaftssystem so verändern, wie das vielleicht mancher Europäer sich wünschen würde.

    Klein: Wie würden Sie dennoch unter dem Strich auch im Lichte der jüngsten Ereignisse das Verhältnis zwischen Deutschen und Amerikanern 20 Jahre nach dem Mauerfall beschreiben?

    Jordan: In jedem Fall besser als vor fünf Jahren. Frau Merkel hat wirklich gute Arbeit geleistet, indem sie das sehr angespannte Verhältnis, was Herr Schröder hinterlassen hatte, gekittet hat. Frau Merkel ist sicherlich – das deutet die Körpersprache und der Gesichtsausdruck von den beiden an, wenn sie sich treffen – nicht so warmherzig verbunden mit Herrn Obama wie sie es mit Herrn Bush aus irgendwelchen, mir unverständlichen Gründen war, aber es war so, die haben sich sehr gut verstanden, aber ich glaube, dass die Amerikaner genau wissen, dass sie Deutschland in Europa als Motor des Friedens und der Stabilität dringend brauchen, und ich glaube, Frau Merkel und auch Herr Westerwelle erkennen, dass ein starkes transatlantisches Bündnis vital für die beiderseitigen Interessen ist.

    Klein: Don Jordan war das, US-Journalist, der seit Jahrzehnten hier in Deutschland lebt. Ich bedanke mich für das Gespräch, Mr. Jordan.