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In Moskau erschossen

Mehr als 7000 Personen unterschiedlicher Nationalitäten sollen in den 50er Jahren nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Memorial im Moskauer Butyrka-Gefängnis erschossen worden sein. Darunter - in den Jahren 1950-53 - fast 1000 Deutsche. In der Landesvertretung Thüringen wird das Schicksal der verschleppten Deutschen in einer Ausstellung gezeigt.

Von Sigrid Hoff |
    Bilder vom Friedhof Donskoje im Südwesten Moskaus: Angehörige, die an einem im vorigen Jahr aufgestellten Gedenkstein Blumen niederlegen, die schmuck restaurierte Friedhofskapelle, die nichts mehr davon verrät, dass hier in den 1950er Jahren die im Moskauer Butyrka-Gefängnis erschossenen Opfer des Stalinismus eingeäschert und anschließend auf dem Donskoje-Friedhof in Massengräbern verscharrt wurden. Mehr als 7000 Personen unterschiedlicher Nationalitäten sollen es nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Memorial gewesen sein, darunter – in den Jahren 1950-53 – fast 1000 Deutsche.

    Die Ausstellung nennt erstmals Namen, zeigt Fotos von Opfern, schildert Schicksale, darunter das des spektakulären Entführung des Juristen Dr. Walter Linse aus West-Berlin oder auch es Studentenführers Arno Esch und präsentiert Dokumente. Die meisten Verhaftungen verliefen ohne öffentliche Aufmerksamkeit, Helfershelfer des sowjetischen Geheimdienstes waren Mitarbeiter des 1950 gebildeten Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, die als Volkspolizisten getarnt auftraten. Die Anklage lautete in den meisten Fällen: antisowjetische Propaganda und Spionageverdacht. So erging es dem Landwirt Werner Haase, Stadtverordneter in Bad Freienwalde und Mitglied der LDPD. Er wurde 1951 verhaftet, jahrelang erhielt die Familie kein Lebenszeichen. Tochter Gudrun, damals ein kleines Kind, kann sich an die Stimmung nach dem Verschwinden des Vaters gut erinnern:

    "Es war eine gewisse Unruhe, es war eine Angst, Menschen verschwanden, ich wohnte im Raum um Berlin, da war das gar nicht so selten, das war 1951 – wie ein Schock, und alles schwieg."

    Erst jetzt weiß die Tochter: Werner Haase war in Moskau wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt und bereits im Mai 1952 in Moskau erschossen worden. Sein Schicksal und das rund eintausend weiterer Verschleppter aus Deutschland hat die russische Menschenrechtsorganisation "Memorial" gemeinsam mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und dem Berliner Geschichtsforschungsinstitut "Facts & Files" aufgedeckt. Mitarbeiter Jörg Rudolph über die Arbeit der Sowjetischen Militärtribunale:

    "Die Sowjetischen Militärtribunale waren fliegende Gerichte, das Urteil erfolgte handschriftlich, auch aus Geheimhaltungsgründen, der Häftling musste unterschreiben und durfte in der gleichen Nacht ein Gnadengesuch schreiben. 7 Prozent der Gnadengesuchte wurden positiv beschieden. Gnade hieß: 25 Jahre Arbeitslager. "

    Doch noch sind nicht alle Fragen beantwortet, denn nur für kurze Zeit konnten die Akten in den russischen Archiven eingesehen werden, die Angaben überprüft werden. Hans-Herrmann Hertle ist Mitarbeiter im Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam. Hier wird gerade eine Dauerausstellung über das Potsdamer Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße vorbereitet, wo zwischen 1949 und 1953 auch viele Verfolgte des Stalin-Terrors inhaftiert waren, bevor sie nach Moskau verschleppt wurde, darunter das Ehepaar Köhler, die zu den Gründungsmitgliedern der Potsdamer CDU gehörten.

    Die westlichen Geheimdienste, darunter der BND, könnten ebenfalls dazu beitragen, um die Hintergründe für die Verhaftungen und die Vorwürfe der Spionage, aufzuklären. Doch bislang blieb diese Unterstützung aus. Auch wenn die Opfer inzwischen von der russischen Hauptmilitärstaatsanwaltschaft rehabilitiert wurden, wünschen sich die Angehörigen, endlich auch über die Umstände, die zur Verhaftung führten, umfassend informiert zu werden.

    "Die Ausstellung in der Landesvertretung Thüringen in Berlin-Mitte, Mohrenstr. 64 ist täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet und noch bis zum 29. März zu sehen. Außerdem ist im Berliner Metropol-Verlag ein Buch erschienen, Hrg. Von Arsenij Roginskij, Jörg Rudoph, Frank Drauschke und Anne Kaminsky unter dem Titel "Erschossen in Moskau – Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Fridhof Donskoje 1950-1953" ein Buch dazu erschienen. Es kostet 22 Euro."