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In oder out

Eigentlich gibt es kaum etwas, was für die Mode spricht. Mode wirkt ebenso inhaltsleer wie schnelllebig, das Ganze ist teuer und macht zudem fatalerweise nicht immer schöner! Aber was ist dann der Sinn der Mode?

Von Stephanie Rohde |
    Die Mode ist neu. Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht gültig. Zum einen ist die Suche nach Neuheit der Antrieb einer jeden Mode. Zum anderen ist das Phänomen der Mode selbst noch gar nicht so alt. Im 18. Jahrhundert entstanden ist die Mode ein Phänomen, das nicht außerhalb des Kontextes der Moderne gedacht werden kann. Mode entstand im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche des 18. Jahrhunderts und konnte sich durch die Industrialisierung als Massenphänomen festigen. Früher trug die Mode im Französischen den männlichen Artikel "le mode" und war vornehmlich ein Phänomen, das sich auf Männer bezog. Später wurde sie zum weiblichen Massenphänomen, also "la mode". Die Mode hat ihren Fokus vom Mann auf die Frau verschoben. Und hat sich damit grundlegend gewandelt, erklärt der studierte Philosoph Gert Müller-Tomkins vom Deutschen Mode Institut:
    "Wie die Begrifflichkeit 'le mode/la mode' nahelegt, kommt sie aus dem Französischen; die Mode ist auch zu früheren Zeiten sehr stark von Frankreich und später auch von Italien bestimmt worden, die Französische Revolution hat den Bruch bedeutet. Es ging um die Verbürgerlichung von Mode, letztlich ging es um eine Androgynisierung von Mode. Die Mode wurde in die Breite getragen, der Oberschicht entnommen und auf die sich verbürgerlichende Welt übertragen."

    Die aufkommende Massenproduktion im 19. Jahrhundert führte letztlich dazu, dass die Mode demokratisiert wurde. Sie diente nicht mehr nur als Abgrenzungsmerkmal für die obere Schicht, sondern wurde ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Die Kommunikationssoziologin Elena Esposito von der Universität Bologna beschäftigt sich seit Langem mit Modetheorie. Mode sei erst möglich geworden durch die ständige Suche nach Neuem, die tief in unserer modernen Gesellschaft verankert ist. Und eben erst in dieser modernen Gesellschaft hat der Begriff des Neuen eine positive Bedeutung erhalten, sagt Elena Esposito, denn:

    "Die Neuheit war in alten Gesellschaften etwas Negatives, die Neuheit wurde gefürchtet und vermieden, weil die Neuheit zuerst Störung bedeutet. Es kostet Mühe; alles, was neu ist, zwingt uns, unsere Kriterien und unsere Haltung zu verändern."

    Galt bis zum Ende des Mittelalters die Diktion des Ewigen, wurde das Neue und eben "Nicht-Ewige" das bestimmende Paradigma der Moderne. Neues und Modernes wurden gleichsam synonym verwendet. "Modern sein" wurde ein Wert an sich. Für den deutschen Soziologen Georg Simmel stellte die Mode ein Sinnbild der Moderne dar. Mode bestimme die Gegenwart als Gegensatz zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Alt und Neu. Mode will immer neu sein, fortwährend ist sie ihrer selbst überdrüssig. Doch darin liegt gleichzeitig auch ihr Fluch, meint Elena Esposito:

    " ... weil die Neuheit als solche immer neu werden muss, weil sie sich selbst verbraucht, gerade in dem Moment, wo etwas als neu dargestellt wird, wird es sofort alt. Das produziert eine weitere Paradoxie, ab einem gewissen Punkt ist die Suche nach Neuheit alt. Die Suche nach Überraschung überrascht nicht mehr, weil man gerade das erwartet. Und die Mode muss nach Wegen suchen, dieses Problem zu lösen. Und dann bietet es sich an, nicht nach Schönheit zu suchen, sondern eben nach dem Hässlichen."

    Um neu sein zu können, muss die Mode sich des Alten und Schon-Dagewesenen bedienen. Das absolut Neue kann es also nicht geben. Denn jeder Modebeobachter muss das Alte kennen, um das Neue als solches zu begreifen. Das Verhältnis zwischen Altem und Neuem stellt eine der Paradoxien der Mode dar. Der Wunsch oder die Sucht nach Neuem berührt auch die zweite Paradoxie, mit der sich die Modetheorie beschäftigt. Sie lautet: Beständigkeit durch Wandel. Die Mode wandelt sich ständig. So bietet sie unserer modern Gesellschaft Halt, sagt die Modetheoretikerin Esposito:

    "Das Einzige, worauf wir uns verlassen können, in der Mode aber auch in anderen Bereichen der Gesellschaft, ist, dass die Mode anders wird. Wir wissen heute, dass die Mode sich morgen verändern wird, und das ist das einzige Stabile, was bleibt."

    Der Soziologe Hartmut Rosa hat die Moderne als Beschleunigungsgesellschaft bezeichnet, in der die technische sowie soziale Entwicklung zunehmend schneller voranschreiten. Dem Gefühl, im Geschwindigkeitsrausch mitgerissen zu werden, kann die Mode etwas entgegensetzen, obwohl sie dieses Gefühl gleichzeitig befördert. Mode bietet Stabilität und Identifikation. Mittels Mode vermag der moderne Mensch, sein "Ich" in immer neuen Versionen zu bewahren und seine eigene Identität zu variieren. Doch dieser Wunsch, individuell zu sein, ist bei genauerer Betrachtung auch paradox. Denn absolut individuell sein kann man nicht, man muss sich immer an anderen orientieren.

    "Sie möchten möglichst ähnlich anders aussehen. Das heißt, es geht um Eingrenzung und Ausgrenzung in der Mode. Sie möchten dazugehören, aber nicht in der Masse untergehen. Individualität und Vermassung sind zwei Pole, die einander anziehen, wenn ganz bestimmte modische Milieus Produkte für sich erkannt haben, führt das zu einer Verbreitung und diese Verbreitung führt zum Überdruss am Überfluss dieses ästhetischen Angebots und dieses führt dann wieder zurück auf das individuelle Bedürfnis, anders aussehen zu wollen."

    Die Modetheorie sieht sich vor drei Paradoxien gestellt: Das Neue ist nur durch das Alte möglich, die Mode ist nur im Wandel beständig und originell ist man nur, wenn man kopiert. Besonders bemerkenswert für Esposito ist dabei,

    " ... dass wir in unserer Originalitätssuche gerade wie alle anderen sind. Aber wir müssen uns nicht mit diesen Paradoxien auseinandersetzen, weil die Mode zum Glück beständig wechselt. Bevor wir das merken, ist die Mode schon wieder eine andere, die brillant, einmalig und originell aussieht."

    Doch was ist dann eigentlich Mode. Lässt sich Mode angesichts dieser Vergänglichkeit überhaupt greifen?

    "Die Inhalte, dass sie bequem, schön oder günstig sind, können das Modische an der Mode nicht erklären. Die Mode beansprucht auch nicht, schön oder richtig und bequem zu sein. Die Mode hat kein Kriterium, muss auch keines haben, außer dieser merkwürdigen Eigenschaft, dass sie 'in' ist. Die Unterscheidung der Mode ist in/out."

    Angenommen, Mode wäre bloße Form ohne Inhalt, so könnte sie dennoch weiterhin den Zeitgeist transportieren. Die Mode ist also eine Form, wie man die gesellschaftliche Entwicklung beobachten kann. Einer, der die Mode schon seit Längerem beobachtet, ist der Modedesigner Lars Paschke von der Universität der Künste in Berlin. Er versteht die Mode als ein Phänomen, das trotz ihrer Inhaltsleere viel über die Gesellschaft sagen kann. So geht Paschke beispielsweise davon aus, dass die Menschen der massenproduzierten Ware bald überdrüssig sein werden:

    "Ich denke, dass die Sehnsucht, nach was Speziellem, Persönlichen, vielleicht auch Verletzlichen, vielleicht auch nach was ungestüm Produzierten herrscht, etwas, was nicht schnell nachzuproduzieren ist. Einfach durch diese Übermasse an Produkten, mit denen wir konfrontiert sind, die Läden sind so überfüllt, dass es eigentlich keinen Grund mehr gibt für diese Waren. Und ich denke, da liegt viel Potenzial drin, dass Menschen sich sehnen nach einem Kleidungsstück, dass mit einem weiterlebt, langlebig, und auf der anderen Seite, was nicht schnell imitiert werden kann."

    Kleidung zu tragen, die nicht vergänglich ist, dafür aber einzigartig ist, könnte als Gegenbewegung zur Sucht nach dem Immerneuen gesehen werden. Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit könnte auch ein Statement gegen die ständige Überproduktion der Modeindustrie sein. Damit wäre die Modeindustrie dort angekommen, wo sie niemals sein wollte: Sie wäre "OUT".